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»Aber der Junge ist ganz verrückt nach ihm, Sir, und ich glaube, er braucht ihn.«

»Ich werde entscheiden, ob und wann er einen Hund braucht.«

»Kinder können sich auf Tiere verlassen, Sir. Immer. In jeder Beziehung.«

Sie sah ihn an, als ob sie noch etwas auf dem Herzen hätte, das sie ihm sagen wollte.

»Wollen Sie mir noch etwas sagen?«

»Ich möchte nicht anmaßend sein, Sir.«

In ihrem Blick war zu lesen, daß sie nicht aufgeben würde, bis sie es gesagt hatte.

»Nun rücken Sie schon mit der Sprache heraus, Mrs. Baylock. Ich möchte es gern hören.«

»Ich sollte lieber nicht, Sir. Sie haben ohnehin genug Sorgen …«

»Ich habe gesagt, ich möchte es gern hören.«

»Na ja … bloß … daß das Kind ein bißchen einsam ist.«

»Warum sollte der Junge einsam sein?«

»Seine Mutter … äh … ich will damit sagen, sie akzeptiert ihn nicht.«

Thorn wich zurück. Die Bemerkung hatte ihn sichtlich getroffen.

»Sehen Sie?« sagte sie. »Ich hätte es lieber nicht sagen sollen.«

»Sie akzeptiert ihn nicht?«

»Sie scheint ihn nicht zu mögen. Und er fühlt das auch.«

Thorn war sprachlos. Er wußte nicht, was er sagen sollte.

»Manchmal denke ich, daß er nur mich hat«, fügte die Frau hinzu.

»Und ich denke, daß Sie sich irren!«

»Und jetzt hat er diesen Hund. Er liebt den Hund. Bitte, nehmen Sie ihm den Hund nicht weg.«

Thorn sah hinunter auf das gewaltige Tier und schüttelte dann den Kopf. »Ich mag diesen Hund nicht«, sagte er. »Morgen bringen Sie ihn ins Tierasyl!«

»Tierasyl?« keuchte sie. »Aber dort werden sie ihn töten!«

»Jedenfalls muß er hier raus. Morgen will ich ihn nicht mehr hier sehen.«

Mrs. Baylocks Züge verhärteten sich, und Thorn wandte sich ab. Frau und Hund beobachteten ihn, wie er den langen Flur hinunterging, und ihre Augen waren voller Haß.

5

Thorn hatte eine schlaflose Nacht verbracht. Er saß auf der Terrasse des Schlafzimmers und rauchte eine Zigarette nach der anderen, obwohl ihn deren Geschmack anekelte. Aus dem Zimmer hinter sich hörte er Katherines Stöhnen, und er fragte sich, gegen welchen Dämon sie in ihrem Schlaf kämpfte. War es jener alte Dämon der Depression … war er zurückgekommen, um sie zu verfolgen? Oder rollten die schrecklichen Ereignisse dieses Tages vor ihrem geistigen Auge noch einmal ab?

Um selbst nicht mehr daran denken zu müssen, um sich abzulenken, begann er zu spintisieren. Er floh ins Reich der Fantasie, um von seinen Sorgen loszukommen. Er dachte über Träume nach – über die Möglichkeit, ob ein Mensch die Träume eines anderen sehen könne. Schließlich war bekannt, daß die Gehirntätigkeit etwas mit Elektrizität zu tun hatte; es waren hier Impulse im Spiel – so ähnlich wie bei einer Bildübertragung des Fernsehens. Vielleicht gab’s bei den Menschen wirklich solche ›Übertragungsmöglichkeiten‹? Man konnte sich das gut vorstellen. Zum Beispiel die Träume … man müßte sie speichern können – etwa mit Hilfe eines Videorecorders, so daß der Träumer sie beim Erwachen gleich noch einmal im Detail wiedergeben und erleben könnte. Armer Jeremy Thorn – wie oft bist auch du von Alpträumen heimgesucht worden, doch am nächsten Morgen war alles verflogen. Wie ausgelöscht. Fort jede Einzelheit! Geblieben war nur ein Gefühl allgemeinen Ungehagens.

Abgesehen davon, daß man auf eine solche Weise Träume analysieren könnte – wie unterhaltsam müßte es sein, könnte man manche dieser gespeicherten Träume noch einmal erleben. Allerdings auch: wie gefährlich!

Die Träume großer Menschen könnten in Archiven für die künftigen Generationen gespeichert werden. Was hatte zum Beispiel Napoleon geträumt? Oder Hitler? Oder Lee Harvey Oswald? Vielleicht wäre die Ermordung Kennedys verhindert worden, wenn man Oswalds Träume gekannt hätte. Was war schließlich in unserer Zeit unmöglich? Oder was würde in künftigen Zeiten möglich sein?

Auf diese Weise verbrachte Thorn die Stunden bis zum Morgen.

*

Als Katherine erwachte, war ihr verletztes Auge geschwollen, und ehe Thorn das Haus verließ, schlug er ihr vor, einen Arzt aufzusuchen.

Es war das einzige, was sie miteinander sprachen. Katherine war sehr schweigsam. Thorn beschäftigte sich damit, über die Dinge nachzudenken, die der Tag brachte. Er mußte die letzten Vorbereitungen für seine Reise nach Saudi-Arabien treffen, doch er hatte das Gefühl, daß er besser nicht fliegen sollte.

Er hatte Angst. Angst um Katherine. Angst um Damien, Angst um sich selbst. Aber er wußte nicht, warum. Unheil lag in der Luft, und er hatte das Gefühl, daß das Leben plötzlich brüchig geworden war. Nie zuvor hatte er sich mit dem Tod beschäftigt; denn so weit wollte und konnte er nicht in die Zukunft schauen. Und dennoch war es genau das, was ihn jetzt beunruhigte: daß sein Leben irgendwie in Gefahr war.

In der Limousine, auf dem Weg zur Botschaft, machte er flüchtige Notizen über Versicherungspolicen und geschäftliche Angelegenheiten, die im Falle seines Todes für die Erben wichtig waren. Er tat es leidenschaftslos und ohne klare Vorstellung, daß es etwas war, was er nie zuvor getan, woran er nicht einmal gedacht hatte.

Erst als er fertig war, erschreckte dieser Vorgang ihn, und er saß mit gespanntem Körper da, während sich das Auto der Botschaft näherte. Ihm war, als müsse jeden Augenblick etwas passieren.

Steifbeinig entstieg Thorn dem Wagen. Er wartete, bis sein Chauffeur gewendet hatte und zum Heimweg startete.

Und dann sah er sie auf sich zukommen: zwei Männer, von denen einer Aufnahmen machte und der andere Fragen abschoß, als sie ihn erreicht hatten. Thorn ging auf die Botschaft zu, doch sie stellten sich ihm in den Weg. Er versuchte, ihnen auszuweichen und schüttelte immer nur den Kopf als Antwort auf ihre Fragen.

»Haben Sie schon den heutigen Reporter gelesen, Mr. Thorn?«

»Nein, hab’ ich nicht …«

»Da steht ein Artikel drin über Ihr Kindermädchen, über die Kleine, die vom Dach gesprungen ist …«

»Ich habe nichts davon gesehen!«

»In dem Artikel steht, sie hätte eine Notiz hinterlassen.«

»Unsinn.«

»Könnten Sie mal hierher schauen, bitte?« Es war Haber Jennings mit der Kamera, der schnell auf den Auslöser drückte.

»Was soll das eigentlich?« fragte Thorn, als ihm Jennings in den Weg trat.

»Ist es wahr, daß die Kleine etwas mit Drogen zu tun hatte?« fragte der andere.

»Unsinn!«

»In dem Bericht des Leichenbeschauers steht aber, daß eine Droge in ihrem Blut nachgewiesen wurde.«

»Es war ein Medikament gegen eine Allergie«, antwortete Thorn durch seine zusammengepreßten Zähne. »Sie hatte Allergien …«

»Aber in dem Bericht steht, es hätte sich um eine Überdosis gehandelt.«

»Könnte das auch Ihre Meinung sein?« fragte Jennings.

»Würden Sie mir bitte aus dem Weg gehen!«

»Hören Sie, Sir, ich tu’ nur meinen Job.«

Thorn trat zur Seite, aber sie waren sofort wieder bei ihm.

»Hat sie Drogen genommen, Mr. Thorn?«

»Ich habe Ihnen gesagt …«

»In dem Artikel steht …«

»Es ist mir völlig gleich, was in dem Artikel steht!«

»Das ist ja prima!« sagte Jennings. »Dann bewahren Sie sich mal Ihre gute Meinung!«

Eine Kamera war jetzt seinem Gesicht so unverschämt nahe, daß Thorn einfach drauflos schlug. Also landete das Gerät ziemlich unsanft am Boden, und alle standen sie für einen Augenblick sprachlos da. Man hätte meinen können, der Blitz sei in sie gefahren.

»Das Wort Respekt scheint nicht in Ihren Wortschatz zu gehören«, sagte Thorn scharf.

Jennings kniete sich hin und sah ihn von unten an.

»Tut mir wirklich leid«, meinte Thorn mit zitternder Stimme. »Schicken Sie mir eine Rechnung über den Schaden.«