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Mit einem plötzlichen Krachen flog Thorns Tür auf. Ein Matrose kam herein. Thorns Botschaftsräte und die Sekretärin folgten ihm. Thorn war aschgrau, er konnte sich nicht bewegen, und über das Gesicht des Priesters liefen Tränen.

»Stimmt hier irgend etwas nicht, Sir?« fragte der Marinesoldat.

»Ihre Stimme klang so merkwürdig«, fügte die Sekretärin hinzu. »Und die Tür war verschlossen.«

»Ich möchte, daß dieser Mann hinausbegleitet wird«, sagte Thorn. »Und sollte er jemals wieder hier auftauchen … dann möchte ich, daß man ihn ins Gefängnis steckt.«

Niemand bewegte sich. Auch der Soldat zögerte, Hand an einen Priester zu legen. Langsam drehte sich Tassone um und ging zur Tür. Dort blieb er stehen und wandte sich noch einmal an Thorn.

»Nehmen Sie Christus an«, flüsterte er traurig. »Trinken Sie jeden Tag Sein Blut.«

Dann ging er. Der Soldat folgte ihm. Alle andern blieben in betretenem Schweigen stehen.

»Was wollte er überhaupt?« fragte jemand.

»Ich weiß es nicht«, flüsterte Thorn, während er dem Priester nachblickte. »Er ist verrückt.«

Auf der Straße vor dem Botschaftsgebäude lehnte sich Haber Jennings an ein Auto und überprüfte seine Ersatzkamera, nachdem er die zerbrochene sanft in ein Etui gebettet hatte. Plötzlich sah er, daß ein Marinesoldat den Priester die Vordertreppe hinunterbegleitete. So kam er zu zusätzlichen Schnappschüssen, als der Priester langsam davonging. Der Wachtposten entdeckte Jennings. Er ging auf ihn zu und musterte ihn geringschätzig.

»Haben Sie mit dem Ding da heute nicht schon genug Ärger gehabt?« fragte er und deutete auf die Kamera.

»Genug Ärger!« lächelte Jennings. »Davon kann ich nie genug kriegen.«

Und schon hatte er zwei weitere Aufnahmen von dem Marinesoldaten gemacht, ehe dieser wieder zum Botschaftsgebäude zurückging. Dann wechselte Jennings die Objektive aus und sah sich nach dem kleinen Priester um. Er richtete das Teleobjektiv auf ihn, schaute durch den Sucher und drückte auf den Auslöser.

*

Spät an diesem Abend saß Jennings in seiner Dunkelkammer und betrachtete seine Beute. Neugierig und verwirrt sah er sich den Film an. Um ganz sicher zu sein, daß seine Ersatzkamera funktionierte, hatte er eine Rolle von sechsunddreißig Bildern mit verschiedenen Belichtungszeiten aufgenommen. Drei Bilder waren nicht in Ordnung. Es war übrigens der gleiche Defekt, wie er ihn vor einiger Zeit auf dem Bild mit der unglücklichen Chessa entdeckt hatte. Diesmal tauchten diese sonderbaren Flecken auf den Fotos auf, die er von dem Priester gemacht hatte … dieses sonderbare Ding auf der Emulsion – nun erschien es gleich an mehreren Stellen! Er kam zweimal hintereinander vor, bei den nächsten beiden Schnappschüssen nicht, dann wieder, und zwar genau an derselben Stelle wie zuvor. Noch seltsamer war, daß diese verflixte Stelle sich auf das Objekt zu beziehen schien, denn der seltsame Schleier hing über dem Kopf des Priesters, als ob er in Wirklichkeit dort gewesen wäre.

Jennings nahm fünf Bilder aus dem Wasser und studierte sie aufmerksam. Zwei Aufnahmen des Priesters mit dem Soldaten, zwei Aufnahmen des Soldaten allein, dann Fotos vom Priester, die er mit dem Teleobjektiv gemacht hatte.

Auf den beiden Bildern des Soldaten kein Fleck! Er tauchte bei der letzten Aufnahme wieder auf, allerdings war er diesmal kleiner, weil ja auch dieser Geistliche in den Hintergrund des Bildes gerückt war. Wie damals war es eine Art Heiligenschein, doch jener hatte das Gesicht der Kinderschwester unkenntlich gemacht, dieser hier aber war länglich und entsprach genau der Kopfform des Priesters. Das Schleiergebilde um den Kopf der Kinderschwester hatte eine merkwürdige Ruhe, eine Art friedlichen Gefühls ausgestrahlt, doch jenes über dem Kopf des Priesters war dynamisch, als ob es in Bewegung wäre. Es glich einem geisterhaften Speer, der den Priester in den Boden zu schmettern schien.

Jennings griff nach einem Joint und setzte sich hin, um darüber nachzudenken. Er hatte einmal gelesen, daß Filmemulsion sich bei extremer Hitze genauso verhielt wie bei Lichteinfall. Der Artikel erschien in einem fotografischen Magazin und handelte von geisterhaften Erscheinungen, die sich auf einem Film gezeigt hatten, der in einem der berühmtesten Spukhäuser Englands aufgenommen worden war. Der Verfasser, ein Experte der Fotografie, hatte gemeint, daß bei verändernder Temperatur sich auch die Verbindungen des Nitrats verändern und erklärt, daß bei Experimenten im Laboratorium starke Hitze die gleiche Wirkung auf Filmemulsion gehabt habe wie Licht.

Hitze war Energie, und Energie war Hitze, und wenn sich unter gewissen Umständen der Energiehaushalt im menschlichen Körper verändert, dann konnte das bei filmischen Aufnahmen zutage treten. Aber die Energie, von der in dem Artikel gesprochen wurde, bezog sich nicht auf den menschlichen Körper.

Was war die Bedeutung von Energie, die sich nur an der Außenseite einer menschlichen Gestalt befand? War es nur ein Zufall oder hatte es irgendwelche Bedeutung? Hatte es etwas mit externen Einflüssen zu tun oder war diese Energie vielleicht aus Angstgefühlen entstanden, die jemand durchlebte?

Daß Angst oder Unruhe Energie schuf, das war das Prinzip des Polygrafen, den man für Lügendetektoren verwendete. Diese Energie war von Natur aus elektrisch. Elektrizität war auch Hitze. Vielleicht strahlte die Hitze, die durch eine ungewöhnliche Angst oder Unruhe im menschlichen Körper entstand, durch das menschliche Fleisch aus und konnte fotografiert werden, weil diese Menschen sich im Zustande eines großen Streß befanden.

Es waren erregende Überlegungen, die Jennings anstellte, und er durchforschte seine Aufzeichnungen, bis er die Bestellnummer des höchstempfindlichen Filmes fand, des TRI-X-600. Dieser Film war so empfindlich, daß man selbst bei Kerzenlicht noch Momentaufnahmen machen konnte. Wahrscheinlich war er auch der hitzeempfindlichste …?

*

Am nächsten Morgen kaufte Jennings die TRI-X-600-Filme und dazu die passenden Filter, um im Freien mit dem Film experimentieren zu können. Die Filter ließen kein Licht durch, möglicherweise aber Hitze, und er würde eine bessere Chance haben, das zu finden, wonach er suchte.

Er brauchte Menschen im Zustand des äußersten Streß, und so ging er denn in ein Hospital und machte heimlich Aufnahmen auf einer Station, wo die Moribunden lagen.

Die Ergebnisse waren enttäuschend, denn obwohl er zehn Filmrollen verknipst hatte, tauchte nicht ein einziger Flecken auf. Nun war es völlig klar – was auch immer diese Flecken bedeuten mochten –, sie hatten nichts mit dem Wissen um den nahenden Tod zu tun.

Jennings war enttäuscht, doch er verzagte nicht, denn er spürte instinktiv, daß er einem hochinteressanten Phänomen auf der Spur war. In seiner Dunkelkammer machte er weitere Abzüge von den Aufnahmen des Priesters und der Kinderschwester.

Er experimentierte mit verschiedenen Abzugspapieren, indem er jede Körnung untersuchte. Bei der Vergrößerung stellte es sich heraus, daß tatsächlich etwas da war. Mit bloßem Auge konnte man es nicht sehen, aber das Nitrat hatte reagiert.

Dies alles nahm ihn eine gute Woche in Anspruch. Dann aber beschloß er, sich wieder ausschließlich um Thorn zu kümmern. Der Botschafter war zu einer ganzen Reihe von Vorträgen eingeladen worden, und bei solchen Anlässen hatte Jennings leichtes Spiel. Thorn besuchte die Universität. Er war zum Frühstück bei einer Versammlung bedeutender Geschäftsleute eingeladen. Er inspizierte ein oder zwei Fabriken, und jedermann konnte ihn sehen.

Rhetorik und Diktion des Botschafters waren ausgezeichnet, er sprach lebhaft, und er schien die Gunst der Zuhörer zu gewinnen, wo immer er auftauchte.

Wenn das seine Stärke war, dann war es das Wertvollste, das ein Politiker, der Karriere machen wollte, überhaupt haben konnte. Er sprach die Leute an, und sie glaubten ihm, ob es sich nun um Arbeiter oder um Unterprivilegierte handelte, denn der Botschafter schien sich aufrichtig für ihre Belange zu interessieren.