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»Wir sind in so vieler Hinsicht geteilt«, hörten sie ihn sagen. »In Alte und Junge, in Reiche und Arme … aber was am wichtigsten ist, in diejenigen, die eine Chance haben und diejenigen, die keine haben. Aber die Demokratie gibt jedem die Möglichkeit, etwas zu erreichen. Und ohne eine solche Möglichkeit wäre das Wort Demokratie eine Lüge!«

Wenn er unterwegs war, um solche Reden zu halten, dann stellte er sich dem Publikum zur Verfügung, dann machte er oft große Anstrengungen, um den Kontakt mit Menschen herzustellen, die er in der Menge entdeckte und die auf irgendeine Weise gehandikapt waren.

Er schien das Abbild eines Champions zu sein, aber noch viel wichtiger als seine eigenen Fähigkeiten war die Tatsache, daß er den Leuten die Fähigkeit zum Glauben einflößte.

In Wahrheit jedoch war es ein wenig anders. Der Eifer, auf den die Leute reagierten, war aus der Verzweiflung geboren. Thorn hatte das Gefühl, unbewußt ständig auf der Flucht zu sein, und er benutzte seine öffentlichen Verpflichtungen, um seinem persönlichen Kummer zu entfliehen, denn ein wachsendes Vorgefühl eines Unheils verfolgte ihn, wohin er auch gehen mochte.

Zweimal hatte er in der Menge, die ihm bei seinen Reden zuhörte, die vertraute schwarze Kutte entdeckt, und er begann zu fühlen, daß der kleine Priester ihn verfolgte.

Natürlich sprach er mit niemandem darüber, denn er fürchtete, seine Fantasie spiele ihm einen Streich. Trotzdem begann er sich immer mehr damit zu beschäftigen. Seine Blicke glitten über die Gesichter der Leute, wenn er zu ihnen sprach, und er hatte Angst vor dem Auftauchen des Priesters, wenn er sich irgendwo länger aufhielt.

Tassones Worte bedeuteten ihm nichts mehr. Offensichtlich war der Mann geisteskrank – ein religiöser Eiferer, der sich auf eine Figur der Öffentlichkeit konzentrierte, und die Tatsache, daß seine Besessenheit Thorns Kind einschloß, konnte höchstens Zufall sein. Dennoch aber verfolgten ihn die Worte des Priesters, ob er es nun wollte oder nicht. So unmöglich sie waren, sie tauchten immer wieder in Thorns Kopf auf, und er kämpfte ständig dagegen an, ihnen irgendwelches Gewicht beizumessen.

Er hatte bereits daran gedacht, daß der Priester möglicherweise ein potentieller Attentäter sein könnte, denn in den Fällen Lee Harvey Oswald und Arthur Bremmer hatten die Attentäter versucht, zuvor persönlichen Kontakt mit ihrem Opfer aufzunehmen, so wie es der Priester getan hatte.

Aber er verwarf diesen Gedanken wieder. Er konnte sich nicht länger so bewegen wie er sich eigentlich hätte bewegen müssen, wenn er das Gefühl hatte, daß der Tod in der Menge auf ihn lauerte.

Dennoch aber blieb der Priester bei ihm; am Tage und in seinem Schlaf, bis Thorn schließlich erkannte, daß der Mann eine Zwangsvorstellung von ihm geworden war, genauso wie er vielleicht für diesen Mann. Tassone war das Raubtier, Thorn die Beute. Er fühlte sich, wie eine Feldmaus sich fühlen mußte, da sie ständig in der Furcht lebte, daß hoch über ihr ein Raubvogel kreiste.

Nach außen war in Pereford alles ruhig. Aber in den Tiefen unausgesprochener Gefühle loderten die Feuer der Angst.

Thorn und Katherine sahen sich nicht oft. Jeder ging seinen Verpflichtungen nach.

Wenn sie zusammen waren, sprachen sie über alltägliche Dinge und vermieden alles, was Kummer verursachen konnte. Katherine widmete Damien mehr Zeit, wie sie es versprochen hatte, aber es vergrößerte nur ihre Distanz, denn das Kind verbrachte die Stunden mit ihr schweigend.

Es schien die Zeit nicht abwarten zu können, bis Mrs. Baylock zurückkehrte.

Bei seiner Kinderfrau konnte er lachen und spielen. Katherine gegenüber war er verschlossen. Enttäuscht suchte sie Tag für Tag nach neuen Wegen, um das Schneckenhaus zu durchbrechen, in dem er zu stecken schien.

Sie kaufte Malbücher, Farben und Spielzeug aller Art, aber er reagierte auf all das kaum. Eines Nachmittags schien er Interesse für ein Buch zu zeigen, aus dem man Tiere ausschneiden konnte, und da beschloß sie, mit ihm den Zoo zu besuchen.

*

Während sie verschiedene Sachen in ihren Kombiwagen packte (denn sie wollte den ganzen Tag fortbleiben), wurde ihr mit einem Male klar, wie sehr sich ihr Leben vom Alltag normaler Leute unterschied. Ihr Kind war viereinhalb Jahre alt und noch niemals in einem Zoo gewesen.

Dem Botschafter wurde schließlich alles ins Haus gebracht. Nur selten suchten sie die Dinge selbst aus und kauften sie dann. Vielleicht lag es am Fehlen normaler kindlicher Abenteuer, daß Damien sich über nichts freuen konnte?

Aber an diesem Tage waren seine Augen lebhafter, und als er neben ihr im Auto saß, hatte sie das Gefühl, endlich das Richtige getan zu haben. Er sprach sogar. Nicht viel, aber mehr als sonst – er mühte sich mit dem Wort ›Hippopotamus‹ ab und kicherte, als er es schließlich aussprechen konnte.

Wie wenig bedurfte es doch, um Katherine glücklich zu machen: ein Lachen ihres Kindes – und sie blühte auf.

Als sie auf die Stadt zufuhren, hörte sie nicht auf zu sprechen, und Damien lauschte aufmerksam. Löwen waren bloß große Katzen, Gorillas nur große Affen und Eichhörnchen waren mit den Ratten, das Pferd mit dem Esel verwandt.

Er war entzückt. Er versuchte alles zu begreifen, immer wieder lachte er, wenn seine Mutter ihm kleine Tiergeschichten erzählte, und sie lachte mit. Den ganzen Weg bis zum Zoo war das Auto von ihrem Lachen erfüllt.

An einem strahlenden Wintersonntag versuchen die Londoner, alles mögliche zu unternehmen. Überall sind Leute, die das Gesicht dem Himmel zurecken, sich von der Sonne bescheinen lassen, frische Luft einatmen. Es war ein ungewöhnlich schöner Tag, und im Zoo drängten sich die Menschen.

Sogar die Tiere schienen die Sonne zu genießen. Schon am Eingangstor zum Zoo hörten sie ihr Heulen und Grollen. Katherine mietete einen Kinderwagen, damit Damien nicht zu laufen brauchte und damit er ihnen durch seine Müdigkeit nicht den Tag verdarb.

Zuerst blieben sie bei den Schwänen stehen und beobachteten die schönen Geschöpfe, die sich von den Kindern füttern ließen. Kathy und Damien schoben sich heran bis zum Wasser, doch in diesem Augenblick verloren die Schwäne jegliches Interesse am Gefüttertwerden. Sie paddelten langsam bis zur Mitte des Teiches und starrten zu den Kindern zurück, welche riefen, lockten und Brot ins Wasser warfen. Doch die Schwäne kehrten nicht zurück. Erst als Katherine und Damien gegangen waren, glitten sie in majestätischer Ruhe zum Ufer, um sich wieder füttern zu lassen.

Es war zur Frühstückszeit, und immer mehr Menschen belebten den Zoo. Katherine suchte nach einem Käfig oder Freigehege, die nicht von Menschen belagert waren.

Da entdeckte sie rechts ein Schild mit der Aufschrift ›Präriehunde‹. Sie schob Damiens Wagen dorthin und erzählte ihm unterwegs alles, was sie über Präriehunde wußte.

Sie lebten in Höhlen in der Prärie, erklärte sie ihm, und seien sehr anhänglich; die Leute in Amerika fingen sie oft und hielten sie als Haustiere. Als sie sich ihnen näherte, sah Katherine, daß auch dort überall Menschen waren und daß alle in eine Grube hinunterschauten. Sie bahnte sich ihren Weg durch die Leute, aber sie sah die Tiere bloß einen Augenblick, denn urplötzlich verschwanden sie in ihren Höhlen.

Die Leute waren enttäuscht und begannen sich zu zerstreuen.

Als Damien den Hals reckte, um nach den Tieren zu schauen, sah er nur einen Erdhügel mit Löchern. Er starrte seine Mutter enttäuscht an.

»Vielleicht ist bei denen auch gerade Frühstückszeit«, sagte Katherine achselzuckend.

Sie fuhren weiter, blieben an einem Stand stehen, kauften Würstchen und setzten sich auf eine Bank.

»Wir werden jetzt mal zu den Affen gehen«, sagte Katherine. »Möchtest du gern die Affen sehen?«