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Anfangs spielte Thorn die Rolle des Beschützers mit Begeisterung, und das hat ihrer Ehe den nötigen Halt verliehen. Doch in den letzten Jahren hatten sich seine Pflichten als Politiker gehäuft, während Katherine sich in die Isolierung zurückzog – unfähig, die Rolle der Politikersgattin zu spielen.

Die ersten Zeichen, wie sehr sie auf diesen veränderten Zustand reagierte, waren fast unbemerkt geblieben. Und die Wut war eigentlich schnell wieder verflogen, als er eines Tages nach Hause kam und entdeckte, daß sie sich mit einer Schere die Haare abgeschnitten hatte. Eine Perücke half, bis die Haare wieder gewachsen waren. Aber ein Jahr später fand er sie im Badezimmer, wie sie mit einer Rasierklinge kleine Schnitte in die Fingerspitzen machte und dann selbst entsetzt war, weil sie es getan hatte.

Sie hatten sich damals sofort um Hilfe bemüht und einen Psychiater gefunden, der ihr still und höflich zuhörte. Nach einem Monat stellte sie jedoch ihre Besuche bei ihm ein. Sie erklärte, sie wolle ein Baby haben – das sei alles, was ihr fehle.

Fast augenblicklich gelang die Befruchtung, und die drei Monate nach der ersten Schwangerschaft waren die schönsten, die sie je gekannt hatten. Wie schön sah Katherine aus. Sie fühlte sich prächtig, sie reiste sogar mit ihrem Mann in den Fernen Osten. Aber die Schwangerschaft endete im WC eines Flugzeugs. Blaues Wasser spülte ihre Hoffnung weg, während sie hysterisch weinte.

Zwei Jahre dauerte es, bis sie zum zweitenmal schwanger wurde, doch die Geschehnisse hatten ihr Liebesleben zerstört, das einmal zum großen Teil die Grundlage ihrer Beziehung gewesen war. Der Arzt, ein Spezialist auf diesem Gebiet, hatte den richtigen Augenblick ihres Eisprungs auf eine bestimmte Stunde am Tag festgelegt, und es war schwierig für Thorn, gerade dann bei ihr zu sein. Er kam sich wie ein Idiot vor, als er Monat auf Monat sein Büro verließ, um zu versuchen, sie in diesem Augenblick zu schwängern; es war eine rein mechanische Aufgabe geworden, die er haßte. Man hatte ihm sogar vorgeschlagen, er solle masturbieren, damit man Katherine künstlich besamen könne, aber da machte er dann doch nicht mit. Wenn ein Kind so wichtig für sie war, konnte sie eines adoptieren. Doch das wollte sie nicht. Sie wollte ein Kind aus ihrem eigenen Fleisch und Blut haben.

Schließlich fand einer seiner Samenfäden ein Ei und befruchtete es, und fünfeinhalb Monate lang sah alles wieder wunderbar für sie aus. Die Zeit ihrer Schmerzen begann in einem Supermarkt, und Katherine erledigte verbissen ihre Einkäufe, während sie zu verleugnen versuchte, was nicht länger verleugnet werden konnte. Es sei ein Segen, sagten die Experten, weil der Fötus geschädigt war, aber dieser Trost vertiefte nur ihre Verzweiflung, und sie geriet in eine Depression, von der sie sich erst nach sechs Monaten wieder befreien konnte.

Nun war es das dritte Mal, und Thorn wußte, daß es auch das letztemal war. Wenn jetzt irgend etwas schiefging, würde dies das Ende ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit bedeuten.

*

Die Landung auf der Piste verlief so glatt, daß die Passagiere dem Kapitän ihre Anerkennung aussprachen; vielleicht auch nur deshalb, weil sie irgendwie überrascht waren, daß sie überhaupt lebend heruntergekommen waren. Warum fliegen wir eigentlich? fragte sich Thorn. Warum setzen wir immer wieder unser Leben aufs Spiel? Ist dieses Leben denn gar nichts mehr wert?

Er blieb auf seinem Sitz, während die anderen nach ihren Sachen griffen und auf die Tür zueilten. Man hatte ihm den Status eines VIP zugebilligt und würde ihn schnell durch den Zoll zu einem wartenden Auto lotsen. Das war der angenehmste Teil, wenn er nach Rom zurückkam, denn hier war er bereits eine Berühmtheit. Als wirtschaftlicher Berater des Präsidenten war er Vorsitzender der Weltwirtschaftskonferenz, die man gerade von Zürich nach Rom verlegt hatte. Die ursprünglich auf vier Wochen angesetzten Sitzungen dauerten nun fast sechs Monate, und während dieser Zeit hatten die Parazzi begonnen, Notiz von ihm zu nehmen. Es gab Gerüchte, daß er sich vielleicht in einigen Jahren selbst (sogar mit einiger Hoffnung auf Erfolg) um die amerikanische Präsidentschaft bemühen werde.

Mit zweiundvierzig war er in den besten Jahren, und er hatte sorgfältig den Weg vorbereitet, den er gehen mußte, um sein Ziel zu erreichen. Seine Berufung zum Vorsitzenden der Weltwirtschaftskonferenz machte ihn weithin bekannt, so daß er durchaus in Kürze irgendein höheres Amt übernehmen konnte, vielleicht eine Position im Kabinett und schließlich aller Wahrscheinlichkeit nach ein Ministeramt. Daß der augenblickliche Präsident der Vereinigten Staaten früher auf dem College einmal sein Zimmergenosse gewesen, das war kein Geheimnis, aber Thorn hatte stets versucht, seinen Weg allein zu machen und seine Karriere mit größter Sorgfalt aufzubauen.

Die Fabriken, die seiner Familie gehörten, hatten während des Krieges eine Blütezeit erlebt. Er hatte genug Geld, um sich die beste Erziehung und Ausbildung leisten und ein leichtes Leben führen zu können. Aber nach dem Tode seines Vaters hatte er die Fabriken stillgelegt und sich seinen Ratgebern widersetzt, um ihnen klipp und klar zu sagen, daß er keine Geräte mehr herstellen wolle, die zu Kriegszwecken verwendet werden konnten. Jeder Krieg ist ein Bruderkrieg. Das hatte Adlai Stevenson gesagt, und Jeremy Thorn berief sich darauf. Er wußte, daß es andere Dinge gab, die man tun konnte, Dinge, die dem Frieden dienten und die dennoch das Vermögen der Familie vervielfachten.

Ihm tat sich nun eine völlig neue Welt auf – eine Welt, in welcher er der Erfolgreiche war. Nach dem Krieg war er Pragmatiker geworden. Er beteiligte sich bei Maklerfirmen, und der Bauboom hatte seinem Entschluß recht gegeben. Er wurde überdies zu einem leidenschaftlichen Verfechter des Planes, vernachlässigte Siedlungen oder Gettogebiete wieder in einen menschenwürdigen Zustand zu verwandeln, ja, er steckte sogar Darlehen in kleine Unternehmen, damit diese wieder hochkamen.

Das war es, was ihn so einzigartig machte. Er hatte die Gabe, Geld anzusammeln wie andere Leute Briefmarken, und er hatte einen Sinn für Verantwortlichkeit denen gegenüber, die kein Geld hatten. Nach unbestätigten Gerüchten betrug sein persönliches Vermögen ungefähr hundert Millionen Dollar, aber in Wahrheit wußte es Thorn selbst nicht genau. Alles zu zählen, hätte eine Pause bedeutet, und Jeremy Thorn hatte keine Zeit, um eine Pause einzulegen.

*

Als das Taxi vor dem verdunkelten Ospedale Generale hielt, sah Pater Spilletto aus seinem Bürofenster im zweiten Stock hinunter und wußte sofort, daß der Mann, der ausstieg, Jeremy Thorn war. Er hatte sein Bild oft in den Zeitungen gesehen; das Bild eines Mannes mit einem stark ausgeprägten Kinn und grauen Schläfen. Sein Anzug, mehr noch – jede Bewegung schienen dem Pater vertraut zu sein. Er sah genauso aus, wie er aussehen sollte. Es war deutlich zu erkennen, daß er die richtige Wahl getroffen hatte. Der Pater zog die Kutte zurecht, einen Augenblick lang blieb er stehen – eine riesige Gestalt, die turmhoch den kleinen Schreibtisch überragte. Jetzt ging er mit ausdruckslosem Gesicht langsam zur Tür. Er konnte bereits die Schritte Thorns hören, als der amerikanische Diplomat schnell über den Kachelboden ging. »Mr. Thorn?« Thorn hob den Kopf. Seine Augen durchforschten die Dunkelheit.

»Ja?«

»Ich bin Pater Spilletto. Ich schickte Ihnen –«

»Bin im Bilde. Ich habe Ihr Telegramm bekommen. Ich nahm die erste Maschine, um herzukommen.«

Der Priester wurde in einem Lichtkegel sichtbar und kam Thorn über die Treppe entgegen. Irgend etwas war in seinen Bewegungen, in seinem Schweigen, das Thorn anzeigte, daß etwas passiert war.

»Haben wir … unser Baby?« fragte Thorn aufgeregt.

»Ja.«

»Meine Frau …?«

»Sie schläft.«