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Das war der richtige Ausdruck dafür. Er war hilflos. Alle waren hilflos. Sie hatten nicht darum gebeten, geboren zu werden und sie erflehen den Tod nicht. Sie sind dazu bestimmt. Warum nur müssen sie zeitlebens so viele Schmerzen erdulden? Ist’s darum, daß dies Erdendasein wenigstens abwechslungsreicher werde auf diese Weise?

Thorn lag auf der Couch und schlief. Seine Träume waren von Angst erfüllt. Er sah sich als Frau verkleidet, dennoch wußte er, daß er ein Mann war. Er befand sich auf einer belebten Straße und hielt einen Polizisten an, dem er zu erklären versuchte, daß er sich verirrt habe und sich fürchtete. Der Polizist weigerte sich ihm zuzuhören. Statt dessen leitete er den Verkehr um ihn herum, bis er ihm so nahe war, daß er den Fahrtwind hören konnte. Und dieser Wind wurde immer stärker, je schneller der Verkehr abrollte. Thorn hatte das Gefühl, in einem Sturm gefangen zu sein, und so stark war der Sturm, daß er nicht mehr atmen konnte. Er keuchte; er klammerte sich an den Polizisten, doch der tat so, als wäre er überhaupt nicht vorhanden. Also schrie er nach Hilfe und keiner hörte ihn, weil das Sturmgeheul ja stärker war als seine Stimme und weil das schwarze Auto auf ihn zugerast kam mit Getöse. Ausweichen unmöglich. Der Sturm packt ihn und hält ihn fest, und es gibt kein Vorwärts, kein Zurück. Je näher das Auto, desto schmerzlicher die Lähmung, und dazu diese Fratze eines Fahrergesichts, das gar kein Gesicht ist – bloß lauter Fleisch und ein großes häßliches Loch, aus dem Gelächter quoll und Blut und Blut und Blut …

In diesem Augenblick fuhr Jeremy aus dem Schlaf hoch. Die Kehle schien ihm wie zugeschnürt. Er war in Schweiß gebadet. Es dauerte geraume Zeit, bis er sich von den Schrecken des Traums erholt hatte.

Unbeweglich lag er da. Es war noch früh am Morgen. Im Haus war alles still. Da plötzlich kamen ihm die Tränen, und er weinte wie ein Kind.

7

Thorns Rede vor den Geschäftsleuten fand im Maxfair Hotel statt. Gegen 19 Uhr war der Versammlungsraum überfüllt. Er hatte seinen Leuten gesagt, er lege großen Wert auf eine Presseberichterstattung, und so war sein Vortrag in den Nachmittagszeitungen erwähnt worden – mit dem Erfolg, daß man jetzt Leute zurückweisen mußte. Denn es waren nicht nur die erwarteten Geschäftsleute da, sondern auch viele Reporter, sogar Publikum, dem man erlaubt hatte, sich hinter die Sitzreihen zu stellen. Bei früheren Veranstaltungen hatte die Kommunistische Partei Vertreter geschickt, die Thorn unterbrechen und stören sollten, und er hoffte, daß sie ihn an diesem Abend verschonten.

Als er zum Pult ging, entdeckte er im Publikum den Mann, dessen Kamera er vor der Botschaft beschädigt hatte. Der Fotograf lächelte ihm zu und hielt eine nagelneue Kamera hoch. Thorn erwiderte das Lächeln. Er freute sich über diese Geste, mit der etwas bereinigt wurde, das ihm neulich so überaus unangenehm gewesen war.

Er trat hinter das Pult und wartete, bis im großen Saal die Stille einkehrte. Dann begann er seine Rede. Er sprach von der ökonomischen Struktur unserer Erde und von der Bedeutung des Gemeinsamen Marktes. In jeder Gesellschaft, erklärte er, sogar in den Urzeiten, sei der Marktplatz der gemeinschaftliche Grund und Boden gewesen, der Stabilisator des Wohlstandes, der Schmelztiegel sonst unvergleichbarer Kulturen. Wenn jemand kaufen und der andere verkaufen wolle, dann seien das die Grundkomponenten des Friedens. Wenn jemand kaufen wolle und der andere weigere sich, ihm zu verkaufen, dann sei dies gewissermaßen der erste Schritt zum Krieg.

Er sprach von der gemeinsamen Verantwortung der Menschheit, von der Einsicht, daß wir alle Brüder seien, daß die Erde uns allen gehöre und daß die Rohstoffquellen allen zugänglich bleiben müßten.

»Wir sind aneinandergekettet«, fuhr er fort, indem er sich auf Henry Beston bezog. »im Netz des Lebens und der Zeit. Uns allen gehört die Herrlichkeit dieser Erde, uns allen ist die Verpflichtung zur Arbeit auferlegt.«

Es war eine leidenschaftliche Rede, und das Auditorium hörte gebannt zu. Thorn sprach sodann über politische Unruhen und ihren Einfluß auf die Wirtschaft. Er suchte die Gesichter der Araber unter den Zuhörern und sprach diese direkt an.

»Wir können sehr gut verstehen, daß diese Unruhe von den armen und unterentwickelten Ländern ausgeht«, sagte er. »aber wir dürfen auch niemals vergessen, daß Kulturen, die in allzuviel Luxus lebten, am Ende zerstört wurden.«

Jetzt erreichte Thorn seine beste Form, und Jennings, der Fotograf, richtete die Kamera auf sein Gesicht. Er machte einen Schnappschuß um den anderen.

»Es ist eine traurige und ironische Wahrheit«, fuhr Thorn fort. »die wir bis zu der Zeit des blühenden Ägypten verfolgen können, daß diejenigen, die im Wohlstand geboren wurden …«

»Dafür sollten Sie ja nun zuständig sein!« brüllte eine Stimme aus dem Hintergrund.

Thorn machte eine Pause. Er versuchte, im Halbdunkel des Saals den Rufer zu erkennen. Doch dieser schien sein Pulver vorerst verschossen zu haben, und Thorn fuhr fort.

» … wenn wir bis zu den Zeiten der Pharaonen zurückkehren, sehen wir, daß diejenigen, die Reichtum und Stellung …«

»Erzählen Sie uns doch was davon!« rief der Bursche wieder, und dieses Mal gab es Tumult unter den Zuhörern. Indes hatte Thorn den Unruhestifter entdeckt. Es war ein bärtiger Student in Blue jeans, wahrscheinlich ein Kommunist.«

»Was wissen Sie denn von Armut, Thorn?« rief er. »Sie haben doch in Ihrem ganzen Leben nicht einen einzigen Tag gearbeitet!«

Die Zuhörer zischten mißbilligend, einige brüllten ihn an, doch Thorn hob die Hände, damit sie sich beruhigten.

»Der junge Mann hat wahrscheinlich etwas zu sagen. Wollen wir ihn uns doch einmal anhören.«

Der junge Mann trat vor, und Thorn wartete darauf, daß er weitersprach. Er würde ihn seine Phrasen dreschen lassen, bis ihm nichts mehr einfiel.

»Wenn Sie so daherreden, daß alle Menschen Anteil am Reichtum haben sollten, warum geben Sie denn dann nicht ein bißchen von Ihrem Reichtum her?« brüllte der Junge. »Wie viele Millionen haben Sie denn eigentlich? Wissen Sie, wie viele Menschen vor Hunger verrecken? Wissen Sie, was das Kleingeld, das Sie in der Tasche haben, für diese Leute bedeuten würde? Mit dem, was Sie Ihrem Chauffeur bezahlen, könnten Sie eine Familie in Indien einen ganzen Monat lang ernähren! Das Gras auf Ihrem Rasen könnte die Hälfte der Bevölkerung von Bangladesch ernähren! Mit dem Geld, das Sie für Partys ausgeben, könnten Sie hier im Süden Londons eine ganze Klinik bauen! Wenn Sie den Leuten erzählen, sie sollten auf ihren Reichtum verzichten, dann geben Sie doch ein Beispiel! Und stehen Sie nicht hier in diesem Vierhundert-Dollar-Anzug herum und erzählen Sie uns nicht das Märchen von der großen Armut.«

Es war ein bewegender Appell. Der Junge hatte ziemlich scharf geschossen. Ein leichter Applaus kam aus der Menge, und nun war Thorn an der Reihe, die richtige Antwort zu geben.

»Sind Sie fertig?« fragte Thorn.

»Was sind Sie wert, Thorn?« rief der Junge. »Soviel wie Rockefeller?«

»Nicht annähernd.«