Sie riefen oben an, und zu Jennings Überraschung sagten sie ihm, er solle zum Telefon in der Lobby gehen, man würde ihn vom Büro des Botschafters aus anrufen.
Jennings tat, was man ihm gesagt hatte, und einen Augenblick später sprach er mit Thorns Sekretärin, die die Summe wissen wollte, um die es sich handele und wohin man den Scheck schicken könne.
»Ich hätte ihm das gern persönlich erklärt«, sagte Jennings. »Ich möchte ihm zeigen, wofür er sein Geld ausgibt.«
Sie erwiderte, das sei unmöglich, denn der Botschafter befinde sich in einer Besprechung. Jennings beschloß also, die Karten auf den Tisch zu legen.
»Um Ihnen die Wahrheit zu sagen – ich dachte, er könnte mir vielleicht bei einem persönlichen Problem behilflich sein. Aber vielleicht könnten auch Sie mir helfen. Ich suche einen Priester. Er ist ein Verwandter von mir. Soviel ich weiß, hatte er etwas in der Botschaft zu erledigen, und ich dachte, vielleicht hätte ihn hier jemand gesehen und könnte mir behilflich sein.«
Es war eine ziemlich seltsame Bitte, und die Sekretärin zögerte eine Weile.
»Es ist ein sehr kleiner Mann«, fügte Jennings hinzu.
»Ist er Italiener?« fragte sie.
»Ich glaube, er hat einige Zeit in Italien verbracht«, erwiderte Jennings. Er war gespannt, was sie nun antworten würde.
»Heißt er vielleicht Tassone?« fragte die Sekretärin.
»Nun, ehrlich gesagt, ich bin nicht ganz sicher. Sehen Sie, ich versuche die Spur eines vermißten Verwandten zu verfolgen. Der Bruder meiner Mutter wurde als Kind von ihr getrennt und er oder irgendeine Behörde änderte seinen Nachnamen. Jetzt ist meine Mutter sehr krank und sie möchte so gern, daß ich ihn finde. Wir kennen seinen Nachnamen nicht, wir haben nur eine vage Beschreibung von ihm. So wissen wir zum Beispiel, daß er genauso klein ist wie meine Mutter, außerdem daß er Priester geworden ist, und ein Freund von mir sah, wie ein Priester vor einer Woche oder so die Botschaft verließ und dieser Freund meinte, der Priester habe genauso ausgesehen wie meine Mutter.«
»Es war ein Priester hier«, antwortete die Sekretärin. »Er sagte, er komme aus Rom, und ich glaube, sein Name ist Tassone.«
»Wissen Sie vielleicht, wo er wohnt?«
»Nein.«
»Hatte er geschäftlich mit dem Botschafter zu tun?«
»Ich denke schon.«
»Vielleicht weiß der Botschafter, wo er wohnt.«
»Das … das glaube ich nicht.«
»Wäre es möglich, ihn danach zu fragen?«
»Nun ja, vielleicht könnte ich das tun.«
»Wann könnten Sie das tun?«
»Später. Ich kann es nicht genau sagen.«
»Hören Sie, meine Mutter ist sehr krank. Sie ist jetzt im Hospital, und ich fürchte, sie … sie wird nicht mehr lange am Leben bleiben.«
In Thorns Büro summte die Gegensprechanlage. Die Stimme einer Sekretärin fragte ihn, ob er wisse, wie man Kontakt mit dem Priester aufnehmen könnte, der ihn vor etwa zwei Wochen besucht hatte.
Thorn schob den Brief, den er unterschreiben wollte, schnell beiseite. Plötzlich war ihm kalt.
»Wer fragt danach?«
»Ein Mann, und er sagt, Sie hätten seine Kamera kaputt gemacht. Der Priester ist ein Verwandter von ihm. Oder er meint es wenigstens.«
Nach einer kurzen Pause sagte Thorn: »Schicken Sie ihn herauf!«
Jennings fand den Weg zu Thorns Büro ohne Mühe. Sehr modern eingerichtet, war es das Büro eines Mannes, den der Präsident für eine Weile hierhergeschickt hatte. Das Zimmer lag am Ende eines langen Korridors, an dessen Wänden die Porträts aller bisherigen amerikanischen Botschafter in London hingen.
Als Jennings den Flur hinunterging, entdeckte er, daß auch John Quincy Adams und James Monroe hier Botschafter gewesen waren, ehe sie Präsident wurden. Vielleicht war diese Position hier in London ein erster Schritt dazu. Sieh da, sieh da, dachte er, dem alten Thorn steht noch was Größeres ins Haus.
»Kommen Sie rein«, lächelte Thorn. »Nehmen Sie Platz.«
»Es tut mir leid, wenn ich so …«
»Schon gut.«
Der Botschafter winkte Jennings zu sich. Er trat ein und setzte sich auf einen Stuhl. Es war das erstemal, daß er in all den Jahren, da er als Fotograf hinter bestimmten Leuten her war, persönlichen Kontakt mit seinem Opfer aufnahm. So leicht es gewesen war, hier hereinzukommen – nun kam das Problem. Sein Herz begann schneller zu klopfen, er zitterte. Es war genau das Gefühl, das er bei der Entwicklung seines ersten Fotos gehabt hatte. Die Erregung war so groß, daß sie fast einer sexuellen Erregung gleichkam.
»Ich habe mich wegen der Kamera entschuldigen wollen«, sagte Thorn.
»Es war sowieso eine alte.«
»Ich möchte sie Ihnen ersetzen.«
»Nein, nein …«
»O doch, ich möchte es wirklich gern tun. Aber ich möchte es natürlich Ihnen überlassen.«
Jennings zuckte mit den Schultern, dann nickte er.
»Warum sagen Sie mir nicht ganz einfach, welche Kamera die beste ist, und dann lasse ich eine für Sie besorgen.«
»Na ja, das ist sehr großzügig …«
»Sagen Sie mir, was die beste ist.«
»Es ist eine deutsche. Pentaflex. Dreihundert.«
»Erledigt. Hinterlassen Sie bei meiner Sekretärin, wo wir Sie finden können.«
Wieder nickte Jennings, und einen Augenblick sahen sich die beiden Männer schweigend an. Thorn betrachtete ihn genau, er sah alles, von den ungleichen Socken bis zu den Haarsträhnen, die über den Kragen seines Jacketts hingen. Jennings mochte eine solche Art der Prüfung. Er wußte, daß sein Aussehen die Leute abstieß. Auf eine perverse Art erregte ihn dies.
»Ich hab’ Sie schon oft gesehen«, sagte Thorn.
»Sicher. Ich versuche, überall zu sein.«
»Sie sind sehr fleißig.«
»Besten Dank.«
Thorn ging um seinen Schreibtisch herum zu einem kleinen Schränkchen. Dort entkorkte er eine Flasche Brandy. Jennings sah zu, wie er den Kognak in ein Glas füllte. Der Botschafter hielt es ihm hin.
»Mit dem jungen Kerl sind Sie aber gestern abend ganz schön fertiggeworden«, sagte Jennings.
»Meinen Sie?«
»O ja.«
»Ich bin mir nicht so ganz sicher.« Sie schlugen nur die Zeit tot, beide wußte es. Jeder wartete darauf, daß der andere endlich zur Sache kam.
»Ich habe mich auf seine Seite geschlagen«, fügte Thorn hinzu. »Warten Sie mal ab, bald wird mich die Presse einen Kommunisten nennen.«
»Oh … wir kennen die Presse.«
»Ja.«
»Die tun alles gegen ein gutes Zeilenhonorar.«
»Stimmt.«
Sie tranken ihren Brandy, dann ging Thorn plötzlich zum Fenster und schaute hinaus.
»Sie fahnden nach einem Verwandten?«
»Ja, Sir.«
»Er ist ein Priester namens Tassone?«
»Er ist Priester, aber wie er heißt, weiß ich nicht. Er ist der Bruder meiner Mutter. Sie wurden voneinander getrennt, als sie Kinder waren.«
Thorn sah Jennings an, und Jennings spürte seine Enttäuschung.
»Sie kennen ihn also im Grunde genommen nicht«, sagte der Botschafter.
»Nein, Sir. Ich versuche ihn zu finden.«
Thorn runzelte die Stirn, dann ließ er sich schwer in seinen Sessel fallen.
»Wenn ich fragen dürfte …«, sagte Jennings vorsichtig. »Vielleicht, wenn ich wüßte, was er geschäftlich mit Ihnen zu tun hatte …«
»Es ging um ein Hospital. Er wollte … eine Spende.«
»Was für ein Hospital?«
»Oh, in Rom, glaube ich. Ich bin nicht so ganz sicher.«
»Hat er Ihnen seine Adresse hinterlassen?«
»Nein. Und, ganz offen gesagt, ich fand das reichlich dumm von ihm. Ich hatte versprochen, ihm einen Scheck zu schicken und nun weiß ich nicht, wohin ich ihn schicken soll.«
Jennings nickte. »Dann sitzen wir, vermute ich, im selben Boot.«
»Ja, das ist richtig«, entgegnete Thorn.