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Und dann flogen sie nebeneinander her. Der Leichenwagen versuchte, noch schneller zu sein. Mit geballter Faust schlug Thorn auf das Lenkrad, schneller sollte sich sein Wagen bewegen, noch schneller, noch schneller, aber der Leichenwagen überholte ihn, und Thorn sah, wie ein Sarg hinten in dem Wagen sich langsam an ihm vorbeibewegte.

Noch schneller fuhr Damien im Hause der Thorns. Wild quietschte sein Spielzeugauto, als er es durchs Zimmer jagte, während draußen im Flur Katherine sich vorsichtig auf dem Stuhlsitz aufrichtete.

Nun fuhr ihm der Leichenwagen davon; Thorn stieß einen lauten Fluch aus. In diesem Augenblick schoß Damien aus seinem Zimmer. Sein Spielzeuggefährt stieß gegen den Stuhl. Katherine flog vom Sitz, fiel ins Nichts.

Sie stieß einen Schrei aus. Verzweifelt versuchte sie sich am Geländer festzuhalten. Sie riß das runde Goldfischglas herunter, das neben ihr in die Tiefe stürzte. Ihr Schrei endete, als sie aufschlug. Den Bruchteil einer Sekunde später zerbarst das Goldfischglas in unzählige Splitter.

Still lag Katherine da. Der kleine Goldfisch zuckte auf dem Kachelboden neben ihr.

*

Als Thorn ins Hospital kam, waren die Reporter bereits dort. Sie schossen Fragen ab, Blitzlichter blendeten ihn, als er sich verzweifelt den Weg zu einer Tür bahnte, auf der INTENSIVSTATION stand.

Zu Hause hatte er Mrs. Baylock in einem hysterischen Zustand vorgefunden. Schluchzend hatte sie ihm gesagt, daß Katherine gestürzt sei und daß man sie mit einem Rettungswagen ins City Hospital gebracht habe.

»Wissen Sie schon, wie es ihr geht, Mr. Thorn?« rief ein Reporter.

»Gehen Sie mir aus dem Weg.«

»Es heißt, sie sei gestürzt.«

»Lassen Sie mich durch.«

»Geht es ihr gut?«

Er lief durch eine Doppeltüre, und die Stimmen der Reporter hinter ihm wurden leiser, als er den Flur hinunterrannte.

»Botschafter Thorn?«

»Ja

Ein Arzt erschien und kam schnell auf ihn zu.

»Mein Name ist Becker«, sagte er.

»Was ist mit ihr?« fragte Thorn keuchend.

»Sie wird wieder in Ordnung kommen. Sie ist ziemlich hart aufgeschlagen. Sie hat eine Gehirnerschütterung, das Schlüsselbein ist gebrochen und da sind einige innere Blutungen.«

»Sie ist schwanger.«

»Ich fürchte, sie ist es nicht mehr.«

»Sie hat es verloren?« keuchte er.

»Auf dem Boden, auf dem sie aufschlug. Ich wollte es noch untersuchen, aber offenbar hatte Ihr Dienstmädchen alles gesäubert, ehe wir hinkamen.«

Thorn schwankte. Er ließ sich gegen die Wand fallen.

»Natürlich«, fuhr der Arzt fort. »werden wir über die Einzelheiten, ich meine, wie es geschehen ist, Stillschweigen bewahren. Je weniger Tratsch, desto besser.«

Thorn starrte ihn an. Der Doktor sah, daß er sehr verwirrt war.

»Sie wissen doch, daß sie gesprungen ist«, sagte er.

»Gesprungen?«

»Vom Treppenabsatz im zweiten Stockwerk Ihres Hauses. Vor den Augen Ihres Sohnes. Im Beisein der Gouvernante.«

Thorn war fassungslos. Er drehte sein Gesicht der Wand zu und ließ seinen Tränen freien Lauf.

»Bei einem derartigen Sturz«, fügte der Arzt hinzu. »schlägt man gewöhnlich mit dem Kopf zuerst auf. In einem gewissen Sinne hat sie Glück gehabt. Könnte man sagen.«

Thorn nickte nur, denn er weinte noch immer.

»Aber, aber! So schlimm ist es doch nicht«, sagte der Arzt. »Sie müssen dem Schicksal dankbar sein. Sie lebt noch, und wenn sie richtig betreut wird, dann wird sie es wahrscheinlich nicht wieder versuchen.

Meine eigene Schwägerin machte einen Selbstmordversuch. Sie ließ Badewasser ein, legte sich hinein und nahm den Toaster mit. Als sie den Toaster einschaltete, bekam sie einen Stromschlag.«

Thorn drehte sich um und sah ihn an.

»Aber das Wichtigste ist, sie hat es überstanden. Sie wird’s bestimmt nicht noch mal versuchen. Es ist jetzt vier Jahre her, und seitdem haben wir keinen Ärger mehr mit ihr gehabt.«

»Wo ist sie?« fragte Thorn.

»Sie lebt in der Schweiz.«

»Meine Frau.«

»Zimmer 4A. Man wird sie bald verlegen.«

In Katherines Zimmer war es ruhig und dunkel. Eine Krankenschwester saß mit einer Zeitschrift in der Ecke, als Thorn eintrat und stehenblieb. Katherine sah schrecklich aus. Ihr Gesicht war geschwollen und verfärbt.

Ein Schlauch führte von ihrem Arm nach oben zu einer Flasche Plasma. Der andere Arm lag in einer Hängeschlinge und war grotesk verkrümmt. Sie schien bewußtlos zu sein.

»Sie schläft«, erklärte die Schwester. Steif bewegte sich Thorn auf das Bett zu. Als ob Katherine seine Anwesenheit spürte, stöhnte sie und begann den Kopf langsam zu bewegen.

»Hat sie Schmerzen?« fragte Thorn mit zitternder Stimme.

»Sie schwebt auf Wolke neun«, antwortete die Schwester. »Sodium Pentothai.«

Thorn setzte sich neben sie, er legte die Stirn auf ihr Bett und weinte. Nach einer Weile spürte er Katherines Hand, die seinen Kopf berührte.

»Jerry …«, flüsterte sie.

Er sah, daß sie sich bemühte, die Augen zu öffnen.

»Kathy …«, schluchzte er.

»Paß gut auf, Jerry … daß ich ihn nicht umbringe.«

Bei diesen Worten schloß sie die Augen. Und schon schlief sie wieder.

*

Kurz nach Mitternacht kam Thorn nach Hause. Lange hielt er sich im Vorraum auf, um die Stelle zu betrachten, wo Katherine aufgeschlagen sein mußte beim Sturz aus der Höhe des zweiten Stocks. Thorn fühlte sich unendlich müde. Wie sehnte er sich nach Schlaf, nach völligem Vergessen …

… Ihr Leben hatte sich verändert. Es war, als ob sie beide unter einem Fluch standen.

Thorn schaltete die Lampen aus. Er blieb eine Weile in der Dunkelheit stehen, dann besah er sich das Treppengeländer.

Er versuchte sich Katherine dort oben vorzustellen, wie sie den Sprung überlegte. Warum, wenn sie wirklich aus dem Leben scheiden wollte, hatte sie nicht versucht, vom Dach zu springen? Es gab Pillen im Haus, Rasierklingen.

Aber auch ein Dutzend andere Dinge oder Möglichkeiten, wenn jemand sein Leben beenden wollte. Warum also auf diese Weise? Und warum vor Damien und Mrs. Baylock?

Wieder dachte er an des Priesters Warnung: »Er wird das ungeborene Kind töten. Und wenn er dann sicher ist, daß er alles erben wird, was Ihnen gehört …« Er schloß die Augen, er versuchte diese Gedanken mit aller Gewalt zu verdrängen.

Er dachte an Tassone und an dessen Tod auf der Stange – an den Anruf von Jennings, an seine unvernünftige Panik, als der Leichenwagen ihn auf dem Highway überholte.

Der Psychiater hatte recht. Er befand sich in einem gewaltigen Streß; sein Benehmen bewies es ja. Katherines Ängste waren auf ihn übergesprungen, ihre Fantasiegebilde waren irgendwie ansteckend. So durfte es nicht weitergehen. Gerade jetzt mußte er vernünftig und klar denken.

Langsam stieg er die Treppe hinauf. Er brauchte Schlaf, mußte schlafen, um am Morgen ausgeruht zu sein, erfüllt von neuer Energie, damit er all diese schrecklichen Probleme meisterte.

Als er die Tür seines Zimmers erreichte, blieb er stehen und schaute den verdunkelten Flur hinunter zu Damiens Zimmer.

Der sanfte Schimmer der Nachttischlampe war unter der Tür deutlich zu sehen. Thorn stellte sich das Gesicht des Kindes in der friedlichen Unschuld des Schlafens vor.

Plötzlich hatte er Sehnsucht nach ihm. Er mußte ihn sehen. Er ging langsam auf Damiens Zimmer zu; er wollte wissen, daß wenigstens aus diesem Zimmer die Angst verbannt war.

Aber als er leise die Tür des Zimmers öffnete, tauchte eine Szene vor ihm auf, die ihn erschauern ließ. Das Kind schlief, doch es war nicht allein. An seinem Bett saß Mrs. Baylock, die Arme gefaltet, während sie resolut ins Zimmer starrte, und auf der anderen Seite sah er die Gestalt eines Hundes.