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»Daran habe ich zuerst auch gedacht, aber eine Untersuchung hat ergeben, daß es buchstäblich in die Haut geritzt wurde. Und so was hat man in den Konzentrationslagern nicht gemacht. Wahrscheinlich hat er sich das selbst auf den Leib geschrieben.«

Thorn sah Jennings fassungslos an. Er hatte keine Ahnung, worum es ging.

»Noch einmaclass="underline" Haben Sie Geduld mit mir«, sagte Jennings, während er ein weiteres Foto in den Lichtkegel schob. »Das ist das Zimmer, in dem er wohnte. Eine ganz einfache Bude in Soho. Mit Ratten übrigens. Er hatte nämlich ein Stück Fleisch auf dem Tisch liegenlassen.«

Thorn betrachtete das Foto. Es zeigte einen kleinen Raum mit Tisch, Schrank und Bett, an den Wänden merkwürdige Tapeten, die aussahen wie zerknülltes Papier, und große Kreuze überall.

»So sah es im ganzen Zimmer aus. Ob Sie es nun glauben oder nicht: Die Tapeten an den Wänden sind Seiten aus der Bibel. Tausende. Jeder Zentimeter an der Wand – Bibel. Sogar die Fenster. Als ob er versuchen wollte, irgend etwas abzuwehren.«

Noch immer starrte Thorn auf das merkwürdige Foto.

»Auch Kreuze. Siebenundvierzig Stück hat er allein an die Vordertür genagelt.«

»War er … verrückt?« flüsterte Thorn.

Jennings sah ihm direkt in die Augen.

»Das sollten Sie besser wissen.«

Der Fotograf drehte sich auf seinem Stuhl herum, öffnete eine Schublade und nahm einen halbzerrissenen Aktendeckel heraus.

»Die Polizei hat sich nicht übermäßig für ihn interessiert«, erklärte er. »sie hat mich alles durchsuchen lassen, und ich konnte mir nehmen, was ich wollte. So bin ich zu diesem Zeug gekommen.«

Jennings stand auf und ging ins Wohnzimmer. Thorn folgte ihm. Dort öffnete der Fotograf den Ordner und breitete den Inhalt auf dem Tisch aus.

»Da hätten wir zuerst einmal ein Tagebuch«, sagte er, indem er ein zerfleddertes Buch aus dem Haufen nahm. »Da steht nicht viel über ihn drin, aber eine ganze Menge über Sie. Was Sie so getan haben. Wann Sie Ihr Büro verließen, wohin Sie gingen, in welchem Restaurant Sie frühstückten, wo Sie einen Vortrag hielten und …«

»Darf ich sehen?«

»Nehmen Sie’s nur.«

Mit zitternden Händen nahm Thorn das Notizbuch.

»Die letzte Eintragung besagt, daß Sie mit ihm verabredet waren«, fuhr Jennings fort. »In Kew Gardens. Das Datum stammt vom Tage seines tödlichen Unfalls. Ich hab’ das Gefühl, die Polizei hätte sich weit mehr für den Fall interessiert, wenn sie das gewußt hätte.«

Thorn hob den Kopf und sah Jennings an.

»Er war geisteskrank.«

»Wirklich?«

Jennings Stimme klang drohend, und Thorn wußte, daß er diesem Mann Rechenschaft schuldete.

»Was wollen Sie?«

»Haben Sie sich mit ihm getroffen?«

»Nein.«

»Ich habe noch ein paar Informationen mehr, Herr Botschafter, aber ich werde Ihnen diese erst mitteilen, wenn Sie die Wahrheit sagen.«

»Warum interessieren Sie sich eigentlich dafür?« fauchte Thorn.

»Ich möchte Ihnen helfen«, antwortete Jennings. »Ich bin Ihr Freund.«

Thorn fixierte den Fotografen, ohne sich zu bewegen.

»Die wirklich wichtigen Dinge sind nämlich hier«, sagte Jennings und deutete auf den Tisch. »Wollen Sie sprechen oder möchten Sie lieber gehen?«

Thorn biß sich auf die Zähne.

»Was wollen Sie wissen?«

»Haben Sie ihn im Park getroffen?«

»Ja

»Was hat er gesagt?«

»Er hat mich gewarnt.«

»Wovor?«

»Er sagte, mein Leben sei in Gefahr.«

»In was für einer Gefahr?«

»Er drückte sich nicht klar aus.«

»Versuchen Sie nicht, mich aufs Kreuz zu legen.«

»Ich tu das nicht. Ich konnte nichts mit seinen Geschichten anfangen.«

Jennings trat zurück und sah Thorn ungläubig an.

»Es war eine Stelle aus der Bibel«, fügte Thorn hinzu. »Ein paar Verse – an den Text kann ich mich nicht erinnern. Ich hielt diesen Priester einfach für verrückt. Ich begriff sein Benehmen, seine Worte nicht. Das ist die Wahrheit. Die ganze Geschichte ist mir schleierhaft.«

Jennings schien immer noch skeptisch zu sein. Thorn senkte den Kopf.

»Ich glaube, Sie sollten ein bißchen mehr Vertrauen zu mir haben«, sagte Haber Jennings.

»Sie sagten, Sie hätten weitere Informationen?«

»Nicht, bis ich mehr von Ihnen gehört habe.«

»Aber mehr habe ich nicht zu sagen.«

Jennings nickte. Er beschäftigte sich wieder mit den Gegenständen auf dem Tisch. Dann fand er einen Zeitungsausschnitt und gab ihn Thorn.

»Er stammt aus einem Magazin. Es heißt Astrologer’s Monthly. Da drin steht der Bericht eines Astrologen oder Astronomen über das, was man ein ungewöhnliches Phänomen nennt. Ein Komet nimmt die Gestalt eines leuchtenden Sterns an, so ungefähr wie der Stern von Bethlehem dazumal …«

Thorn las diesen Artikel. Er wischte sich den Schweiß ab, der sich auf seiner Oberlippe gebildet hatte.

»Nur hat sich dies hier auf der anderen Seite der Welt ereignet«, fuhr Jennings fort. »Auf dem europäischen Kontinent. Genau vor vier Jahren. Um noch genauer zu sein: am 6. Juni. Läutet bei Ihnen da nicht ein Glöckchen, wenn Sie dieses Datum hören?«

»Gewiß.« Thorns Stimme klang heiser.

»Dann sollten Sie sich mal diesen zweiten Zeitungsausschnitt hier ansehen«, sagte Jennings und nahm ein Stück Zeitung aus dem Stapel. »Er stammt von der Rückseite einer römischen Zeitung.«

Thorn nahm den Ausschnitt. Er erkannte ihn sofort wieder. Katherine hatte ebenfalls einen solchen Ausschnitt. Sie bewahrte ihn zu Hause in einem Sammelalbum auf.

»Es ist die Geburtsanzeige Ihres Sohnes. Und auch sie stammt vom 6. Juni – vor vier Jahren. Ich würde das einen Zufall nennen, nicht wahr?«

Jetzt zitterten Thorns Hände.

»Wurde Ihr Sohn um sechs Uhr morgens geboren?«

Mit zusammengezogenen Brauen wandte sich Thorn Jennings zu.

»Ich versuche bloß, dieses Zeichen auf dem Oberschenkel des Priesters herauszukriegen. Diese drei Sechsen. Ich glaube nämlich, sie beziehen sich auf Ihren Sohn. Der sechste Monat, der sechste Tag …«

»Mein Sohn ist tot!« stammelte Thorn. »Mein Sohn ist tot. Ich weiß nicht, welches Kind ich aufziehe!«

Er schlug die Hände vors Gesicht, wandte sich ab und starrte in die Dunkelheit. Schwer ging sein Atem. Jennings beobachtete ihn.

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mr. Thorn«, sagte Jennings ruhig. »dann möchte ich Ihnen gern helfen, es herauszufinden.«

»Nein«, stöhnte Thorn. »Das ist mein Problem.«

»Sie irren sich, Sir«, entgegnete Jennings traurig. »Es ist auch mein Problem.«

Thorn wandte sich ihm zu, und ihre Blicke trafen sich. Langsam ging Jennings in die Dunkelkammer, und als er wieder zurückkam, hatte er ein Foto in der Hand. Er gab es Thorn.

»In der Ecke dieses Zimmers, wo der Priester hauste, war ein kleiner Spiegel«, sagte Jennings düster. »Zufälligerweise schaute ich hinein und sah mein eigenes Spiegelbild, als ich eine Aufnahme machte.«

Thorn betrachtete das Foto, dann sah er Jennings an.

»Ein ziemlich ungewöhnlicher Effekt«, sagte Jennings. »Meinen Sie nicht auch?«

Er zog die Glühbirne tiefer, so daß Thorn das Bild deutlicher sehen konnte. Es war die Aufnahme von Tassones Zimmer; in einer Ecke hing ein kleiner Spiegel.

Man konnte sehen, daß Jennings die Kamera vor sein Gesicht hielt und durch den Sucher schaute.

Es war nichts Ungewöhnliches daran, wenn ein Fotograf sein eigenes Spiegelbild fotografierte, doch in diesem Falle fehlte etwas.

Es war Jennings Hals! Er war durch ein schleierhaftes Gebilde von seinem Körper getrennt.