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»Ja. Einige.«

»Hören Sie, da war ein großer Mann. Ein Priester. Ein Riese von einem Mann.«

»Hieß er vielleicht Spilletto?«

»Ja, ja«, sagte Thorn aufgeregt. »Spilletto.«

»Er war Verwaltungschef«, antwortete die Nonne.

»Ja. Er hatte Dienst. Ist er …«

»Er hat überlebt.«

Thorns Herz schlug schneller. »Ist er hier?«

»Nein.«

»Wo?«

»In einem Kloster in Subiaco. Viele der Überlebenden kamen dorthin. Viele sind auch dort gestorben. Vielleicht ist er auch gestorben. Aber diese Feuersbrunst hat er überlebt. Ich erinnere mich noch, daß sie sagten, es sei ein Wunder, daß er überlebte. Er war nämlich zur Zeit des Brandes da droben im dritten Stock.«

»Subiaco?« fragte Jennings.

Die Nonne nickte. »Das Kloster von San Benedetto.«

Sie rannten so schnell sie konnten zum Taxi und studierten die Landkarte. Subiaco war weit weg, ganz unten im Süden Italiens. Sie müßten die Nacht opfern für die Fahrt.

Der Taxifahrer wollte zuerst nicht mitmachen. Als sie ihm dann aber eine verlockende Summe boten, ging’s plötzlich. Jennings zeichnete mit dem Rotstift die Route in die Karte. Danach konnte sich der Fahrer orientieren, während sie im Fond zu schlafen gedachten.

Aber sie waren viel zu aufgeregt, um zu schlafen. Statt dessen nahmen sie sich die Bücher vor und suchten im trüben Licht des Wagens die Textstellen des Paters.

»Ich will verdammt sein …«, flüsterte Jennings aufgeregt. »Hier haben wir’s.«

»Was?«

»Hier steht’s doch! Buch der Offenbarung. Wenn die Juden nach Zion zurückkehren –«

»Das war’s«, unterbrach ihn Thorn erregt. »Das Gedicht. Wenn die Juden nach Zion zurückkehren. Und dann war etwas über einen Kometen …«

»Das steht auch hier«, sagte Jennings und wies auf ein anderes Buch. »Ein Schauer von Sternen, der Aufstieg des Heiligen Römischen Reiches. Man vermutete, daß das die Signale waren, als der Antichrist geboren wurde. Des Teufels Kind.«

Während das Taxi über die Landstraßen fuhr, lasen sie ununterbrochen. Thorn holte aus seiner Aktentasche den interpretierenden Text, den er einmal benutzt hatte, um eine Rede vorzubereiten, in welcher er aus der Bibel zitiert hatte. Hier fanden sie mit klaren Worten erläutert, was die Symbole in den Schriften bedeuteten.

»Also: Die Juden sind nach Zion zurückgekehrt«, meinte Jennings, als die erste Morgenhelle am Horizont erschien. »und es gab einen Kometen. Und was den Aufstieg des Heiligen Römischen Reiches betrifft, so gibt es Wissenschaftler, die meinen, man könne dies als die Bildung des Gemeinsamen Marktes interpretieren.«

»Ein bißchen weit hergeholt …«, lächelte Thorn.

»Und was halten Sie davon?« fragte Jennings, während er eines seiner Bücher aufschlug. »In der Offenbarung heißt es: Er wird kommen aus dem Ewigen Meer.«

»Das ist doch wieder das Gedicht. Tassones Gedicht.«

Thorn schloß die Augen und versuchte sich zu erinnern. »Aus dem Ewigen Meer. Er erhebt sich … mit Armeen an jeder Küste. Ja, so hat es begonnen.«

»Er hat nichts anderes getan, als sich auf die Offenbarung bezogen. Er hat diese Verse dem Buch der Offenbarung entnommen.«

»Aus dem Ewigen Meer wird er aufsteigen und sich erheben …«, weiter kam Thorn nicht. Die anderen Textzeilen hatte er vergessen.

»Das ist der springende Punkt, Thorn«, sagte Jennings und deutete auf sein Buch. »Und er besagt, daß die Versammlung der internationalen theologischen Wissenschaften dieses ›Ewige Meer‹ so interpretiert hat, daß es sich dabei um die Welt der Politik handelt. Das Meer ist in ständiger Bewegung, erschüttert von Unruhe und von Revolutionen und Kriegen und so weiter …«

Jennings hörte Thorn aufmerksam zu. »Das Kind des Teufels wird auferstehen aus der Welt der Politik«, fügte er nach einer Weile bedeutungsvoll hinzu.

Thorn gab ihm keine Antwort. Er schaute zum Fenster hinaus. Das Morgenlicht enthüllte die Landschaft mehr und mehr.

*

Das Kloster von San Benedetto war in einem erbärmlichen Zustand, aber die gewaltige steinerne Festung hatte sich ihre Stärke und Würde selbst dann noch bewahrt, als die Elemente an den Mauern zu nagen begannen. Seit Jahrhunderten stand es auf diesem Fels, und es hatte vielen Belagerungen widerstanden.

Im Zweiten Weltkrieg waren die Mönche dieses Klosters von deutschen Streitkräften erschossen worden. Das Kloster wurde zum Hauptquartier gemacht. Im Jahre 1946 wurde es von den Italienern selbst beschossen – gewissermaßen aus Rache für das, was hinter den dicken Mauern in den letzten Jahren vorgegangen war.

Aber keiner dieser irdischen Angriffe hatte dem Kloster wirklich etwas anhaben können. San Benedetto ist ein heiliger Ort geblieben. Gewaltig erhebt sich das gotische Bauwerk gen Himmel, und wie in den Jahrhunderten vorher erklingen auch jetzt wieder die alten Gebete in seinen Mauern.

Das Kloster hat alle Zeiten überdauert – auch die schrecklichen …

Das kleine, schmutzbedeckte Taxi, das an der schweren Steinmauer entlangfuhr, hatte die Passagiere endlich ans Ziel gebracht. Der Fahrer mußte sie wachrütteln.

»Signori?«

Als Thorn sich bewegte, kurbelte Jennings bereits sein Fenster herunter und ließ die Morgenluft herein, während er die grüne, taufeuchte Landschaft betrachtete.

»San Benedetto«, murmelte der müde Fahrer.

Thorn rieb sich die Augen, er blickte zu der Silhouette des Klosters hinüber, die sich von dem rötlichen Morgenhimmel abhob.

»Schaut euch mal das an …«, flüsterte Jennings.

»Können wir nicht näher ´ranfahren?« fragte Thorn.

Der Fahrer schüttelte den Kopf.

»Offensichtlich nicht«, meinte Jennings.

Sie rieten dem Fahrer, irgendwo in der Nähe zu parken und ein bißchen zu schlafen; dann stiegen sie aus und marschierten auf das Kloster zu. Nach wenigen Augenblicken standen sie mitten im hohen Gras, das ihre Hosen bis zu den Oberschenkeln näßte. Es war ein schwieriger Weg, und sie waren dafür nicht gerüstet. Die Kleider schienen an ihnen zu kleben, als sie sich mühsam durchs Feld arbeiteten. Keuchend blieb Jennings stehen. Diese wunderbare Landschaft faszinierte ihn so sehr, daß er fast eine halbe Filmrolle verschoß.

»Unglaublich«, flüsterte er. »So was habe ich noch nie gesehen.«

Ungeduldig feuerte Thorn ihn zum Weitergehen an, und Jennings beeilte sich, seinen Begleiter einzuholen. Stumm und keuchend stiegen sie bergan, und da plötzlich konnte man in der Stille den feierlichen Mönchsgesang im Kloster vernehmen. Klang dies nicht beinahe wie ein Stöhnen?

»Eigentlich sieht es hier sehr traurig aus«, meinte Jennings, als sie den Eingang erreicht hatten. »Hören Sie sich das an. Klingt es nicht wie ein Wehklagen?«

Es war furchterregend und ehrfurchtsvoll zugleich; der monotone Singsang schien aus den Wänden der steinernen Korridore und Bögen aufzusteigen, als sie langsam hineingingen und sich in der Leere umschauten, während sie versuchten, den Schauplatz der Bittgesänge zu entdecken.

»Vielleicht diesen Weg«, meinte Jennings und deutete auf einen langen Korridor. »Sehen Sie sich bloß mal diesen Dreck an!«

Der Boden vor ihnen sah aus wie ein schmutziger Pfad. Die Füße, die seit Jahrhunderten über diesen Pfad geschritten waren, hatten die Steine abgewetzt und eine Rinne geschaffen, durch die bei schwerem Regen Wasser floß. Der Weg führte zu einer riesigen steinernen Rundhalle, die durch schwere hölzerne Türen verschlossen war.

Als sie langsam näherkamen, hörten sie den Gesang deutlicher. Sie öffneten die Tür. Scheu blieben sie stehen: Es war, als wären sie direkt ins Mittelalter zurückgekehrt. Die Gegenwart Gottes und des Heiligen Geistes war spürbar, fast greifbar wie ein körperliches, lebendiges Wesen. Vor ihnen ein gewaltiger alter Raum. Steinstufen führten zu einem breiten Altar, auf dem ein mächtiges Holzkreuz stand, das den Leib Christi trug – eine Skulptur aus Meisterhand.