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Die Rundhalle selbst bestand aus steinernen Blöcken, auf denen Kletterpflanzen nach oben wuchsen und sich im Mittelpunkt der kuppelartigen Decke vereinten, deren Spitze offen war. In einer Stunde etwa würden die Sonnenstrahlen durch diese Öffnung strömen und die Gestalt Christi beleuchten.

»Das ist aber ein Ding, Mann«, flüsterte Jennings. »Hier muß man ja beten.«

Thorn nickte. Seine Blicke fielen auf eine Gruppe von Mönchen, die Kapuzen trugen und zwischen den Bänken knieten, während sie beteten. Es war ein inbrünstiger, eintöniger Singsang. Bald hoben sich die Stimmen, bald wurden sie leiser, gleich einem ewigen Hinscheiden und Sicherneuern, und diese Stimmen schienen alle Kraft aus sich selbst zu schöpfen.

Im Halbdunkel fummelte Jennings an seinem Lichtmesser herum. Offenbar war die Belichtungszeit ein Problem.

»Stecken Sie das Ding weg«, flüsterte Thorn.

»Ich hätte mein Blitzlichtgerät mitbringen sollen.«

»Ich habe gesagt – stecken Sie das weg.«

Jennings warf Thorn einen wütenden Blick zu, doch er gehorchte. Thorn war tief erregt, seine Knie zitterten, am liebsten hätte er sich hingekniet und ebenfalls gebetet.

»Sind Sie in Ordnung?« flüsterte Jennings.

»Ich bin Katholik«, antwortete Thorn mit ruhiger Stimme. Und dann stutzte er. Die Augen sahen irgend etwas in der Dunkelheit. Jennings folgte seinem Blick, und er sah es ebenfalls. Es war ein Rollstuhl. Und in dem Rollstuhl saß ein Riese von einem Mann. Anders als die Mönche, die mit gesenkten Köpfen zwischen den Bänken knieten, saß der Mann steif und kerzengerade im Rollstuhl. Er hatte den Kopf geneigt und die Arme gebeugt, als ob er paralysiert wäre.

»Ist er das?« flüsterte Jennings.

Thorn nickte. Seine Augen waren groß vor Spannung. Langsam gingen die Männer weiter nach vorne, damit sie besser sehen konnten. Jennings’ Herz klopfte schneller, als er die Gesichtszüge des Priesters betrachtete. Die eine Hälfte dieses Gesichtes war völlig deformiert, das eine Auge starrte blind nach oben. Die rechte Hand war verkrüppelt. Aus dem Ärmel des sackartigen Gewandes ragte lediglich ein glatter Stumpf heraus.

»Wir wissen nicht, ob er sehen und hören kann«, sagte der Mönch, der im Hof des Klosters über Spilletto stand. »Seit dem Feuer hat er nicht einen einzigen Laut von sich gegeben.«

Sie befanden sich auf einem Platz, der einstmals ein Garten gewesen sein mochte, nun aber lagen zersplitterte Steine und zerbrochene Statuen herum. Der Mönch hatte am Ende des Gottesdienstes Spillettos Rollstuhl aus der Rotunda herausgeschoben. Die beiden Männer waren ihm gefolgt und hatten sich ihm erst genähert, als sie außer Hörweite waren.

»Die Brüder müssen ihn pflegen und warten«, fuhr der Mönch fort. »und wir beten für seine Genesung, wenn seine Bestrafung beendet ist.«

»Bestrafung?« fragte Thorn.

Der Mönch nickte.

»Wehe dem Hirten, der sein Schaf verläßt. Möge sein rechter Arm verdorren und möge sein rechtes Auge das Licht verlieren.«

»Er ist in Gottes Ungnade gefallen?« fragte Thorn.

»Ja

»Darf ich fragen warum?«

»Weil er Christus verlassen hat.«

Thorn und Jennings wechselten einen fragenden Blick.

»Woher wissen Sie, daß er Christus verlassen hat?« fragte Thorn den Mönch.

»Durch eine Beichte.«

»Aber er kann nicht sprechen.«

»Durch eine geschriebene Beichte. Er kann seine linke Hand noch ein wenig bewegen.«

»Was war das für eine Beichte?« drängte Thorn.

Der Mönch schwieg einen Augenblick. »Darf ich fragen, warum Sie diese Fragen stellen?«

»Weil es ungeheuer wichtig ist«, antwortete Thorn ernst. »Ich möchte Sie bitten, uns zu helfen. Ein Leben steht auf dem Spiel.«

Lange betrachtete der Mönch Thorns Gesicht, dann nickte er.

»Kommen Sie mit.«

Spillettos Zelle war völlig kahl. Sie enthielt nur eine Strohmatratze und einen steinernen Tisch. Wie die Rundhalle war sie oben geöffnet. Licht und Regen hatten Zugang. Vom Regen der vergangenen Nacht war eine Wasserpfütze geblieben. Thorn sah, daß die Matratze naß war, und er fragte sich, ob alle so unbequem schliefen oder ob es ein Teil der Bestrafung Spillettos war.

»Es steht auf dem Tisch«, sagte der Mönch, als sie eintraten. »Er hat es mit Kohle hingeschrieben.«

Spillettos Rollstuhl klapperte, als er über die unebenen Steine geschoben wurde. Sie versammelten sich um den kleinen Tisch und betrachteten die seltsamen Symbole, die der Priester gezeichnet hatte.

»Er tat es, als er hierherkam«, erklärte der Priester. »Wir ließen die Kohle hier auf dem Tisch liegen, aber er hat danach nichts mehr gezeichnet.«

Es war eine groteske, schmale Figur, wie von Kinderhand hingekritzelt. Sie stand gebeugt und war mißgestaltet, ihr Kopf umgeben von einer halbkreisförmigen Linie. Was Jennings geschultem Auge sofort auffiel, waren die drei Zahlen, die der Halbkreis über dem Kopf der Figur einschloß. Es war die Zahl Sechs. Dreimal! Wie jenes Zeichen auf Tassones Oberschenkel.

»Sie werden die geschwungene Linie über dem Kopf sehen«, sagte der Mönch. »Das soll die Kapuze des Mönchs sein. Seine eigene Kapuze.«

»Ist es ein Selbstporträt?« fragte Jennings.

»Vermutlich.«

»Was bedeutet diese Sechs?«

»Sechs ist das Zeichen des Teufels«, erwiderte der Mönch. »Sieben ist die vollkommene Zahl, die Zahl unseres Herrn Jesus. Aber die Sechs ist das Zeichen des Satans.«

»Warum aber dreimal die Sechs?«

»Wir glauben, daß damit die diabolische Dreieinigkeit gemeint ist: der Teufel, der Antichrist und der falsche Prophet.«

»Vater, Sohn und Heiliger Geist«, bemerkte Thorn.

Der Mönch nickte. »Für jeden Heiligen gibt es etwas Unheiliges. Das ist von entscheidender Bedeutung bei der Versuchung.«

»Warum bezeichnen Sie das da als eine Beichte?« fragte Jennings.

»Es ist, wie Sie sagen, ein Selbstporträt. Wenigstens glauben wir dies. Und hier ist, symbolisch angedeutet, das Triumvirat der Hölle.«

»Dann wissen Sie also nicht genau, worauf sich seine Beichte bezieht?«

»Die Einzelheiten sind unwichtig«, entgegnete der Mönch.

»Alles, was wichtig ist, das ist die Tatsache, daß er zu bereuen wünscht.«

Jennings und Thorn sahen sich lange an. Enttäuschung stand auf Thorns Gesicht zu lesen.

»Kann ich mit ihm sprechen?« fragte Thorn.

»Es würde gar keinen Sinn haben.«

Thorn warf einen Blick auf Spilletto und erschauerte beim Anblick dieser unheimlichen Fratze.

»Pater Spilletto«, sagte er entschlossen. »mein Name ist Thorn.«

Stumm starrte der Priester ins Leer. Er verharrte reglos, als ob er nichts gehört hätte.

»Es hat keinen Zweck«, sagte der Mönch.

Aber Thorn ließ sich nicht abhalten.

»Pater Spilletto«, wiederholte Thorn. »Es geht um mein Kind. Ich will wissen, woher es stammt.«

»Bitte, Signore«, flüsterte der Mönch.

»Sie haben ihnen gebeichtet!« schrie Thorn. »Nun beichten Sie mir! Ich will wissen, woher das Kind stammt!«

»Ich muß Sie dringend bitten …«

»Pater Spilletto! Hören Sie mich! Sprechen Sie!«

Der Mönch versuchte an Spillettos Rollstuhl heranzukommen, aber Jennings stellte sich ihm in den Weg.

»Pater Spilletto!« rief Thorn in das stumme totengleiche Antlitz. »Ich bitte Sie! Wo ist sie?! Wer war sie?! Bitte! Geben Sie mir endlich Antwort!«

Und plötzlich zitterte der Boden, ein Beben erhob sich, und die Glocken im Kirchturm begannen zu läuten.