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Es war unheimlich. Wie erstarrt standen Thorn und Jennings, als dieses Geläute von den Steinmauern des Klosters widerhallte. Dann geschah es. Die Hand des Priesters zitterte. Langsam hob sie sich.

»Die Kohle! Schnell!« flüsterte Thorn. »Gib ihm die Kohle!«

Jennings hatte sofort begriffen. Er nahm die Kohle vom Tisch und drückte sie in Spillettos zitternde Hand. Während die Glocken dröhnten, zuckte die Hand des Priesters ungelenk über die Steinplatte, doch seine Zeichen nahmen mehr und mehr die Form von Buchstaben an, und es entstanden Wellenlinien …

»Es ist ein Wort!« rief Jennings erregt. »C … E … R …«

Jede Fiber im Körper des Priesters schien zu erbeben, während er sich bemühte, mehr zu schreiben, sein mißgestalteter Mund öffnete sich weit, stieß ein tierähnliches Stöhnen aus.

»Weiter!« drängte Thorn.

»… V …«, las Jennings. »… E … T …«

Und plötzlich schwiegen die Glocken. Die Kohle entglitt den spasmisch zuckenden Fingern des Priesters, während sein Kopf auf den Stuhl zurückfiel. Erschöpft starrte er nach oben, sein Gesicht war schweißbedeckt.

Als das Echo verklang, standen sie schweigend da und starrten auf das Wort, das er auf den Tisch gekritzelt hatte.

»Cervet …?« fragte Thorn.

»Cervet«, wiederholte Jennings.

»Ist das italienisch?«

Sie wandten sich an den Mönch, der auf das Wort schaute, und dann sahen sie Spilletto an, Verwirrung war in ihren Augen.

»Bedeutet das irgend etwas für Sie?« fragte Thorn.

»Cerveteri«, antwortete der Mönch. »Ich glaube, Cerveteri.«

»Was ist das?« fragte Jennings.

»Das ist ein alter Friedhof. Aus der Zeit der Etrusker. Cimitero di Sant’ Angelo.«

Der steife Körper des Priesters hatte wieder zu zittern begonnen, und er stöhnte, als ob er zu sprechen versuchte. Doch dann beruhigte er sich, der Körper entspannte sich, als ob er sich bewußt würde, daß jedem Ton Grenzen gesetzt waren.

Thorn und Jennings betrachteten den Mönch, der enttäuscht den Kopf schüttelte.

»Cerveteri … das sind nichts als Ruinen. Die Überbleibsel des Schreins von Techulca.«

»Techulca?« fragte Jennings.

»Der etruskische Teufel-Gott. Die Etrusker waren Anbeter des Teufels. Ihre Begräbnisstätte war heiliger Boden.«

»Warum schreibt er gerade diesen Namen?« fragte Thorn.

»Ich habe keine Ahnung.«

»Wo ist dieser Ort?« fragte Jennings.

»Es gibt ihn eigentlich nicht mehr, Signore, abgesehen von einigen Gräbern … und vielleicht ein paar wilden Schweinen.«

»Wo ist das?« wiederholte Jennings drängend.

»Ihr Taxifahrer wird es wissen. Ungefähr fünfzig Kilometer nördlich von Rom.«

*

Es war nicht leicht, den Taxifahrer zu wecken. Und dann mußten Thorn und Jennings warten, bis er seine Notdurft im Feld neben der Straße verrichtet hatte. Er war jetzt ziemlich unfreundlich und es tat ihm leid, daß er den Job angenommen hatte, besonders als er hörte, wohin sie nun fahren wollten.

Cerveteri war ein Ort, den gottesfürchtige Menschen mieden, und sie würden sicherlich erst spät in der Nacht dort sein.

Das Unwetter, das in Rom geherrscht hatte, war nun auch hier ausgebrochen, und der prasselnde Regen machte ihnen sehr zu schaffen, als sie in der Dunkelheit die Fernstraße verließen und in eine Landstraße einbogen, die voller Schlamm und Schlaglöcher war. Das Taxi rumpelte und polterte. Es rutschte mit dem linken Hinterrad in einen Graben, und die Männer mußten aussteigen und schieben. Als sie wieder im Auto saßen, waren sie durchnäßt, und sie froren. Jennings warf einen Blick auf seine Uhr. Es war fast Mitternacht. Und das war alles, was sein Verstand registrierte, ehe er einschlief.

Als er einige Stunden später erwachte, merkte er, daß das Taxi stand. In eine Wolldecke gehüllt schlief Thorn neben ihm; alles, was er von dem Fahrer sehen konnte, waren die lehmverkrusteten Schuhe. Schnarchend lag der Mann auf dem Vordersitz.

Jennings fummelte am Türgriff herum, öffnete die Tür, trat dann steifbeinig in die Nacht hinaus und stolperte auf die Büsche zu, um zu urinieren. Es begann nun zu dämmern. Die ersten Lichtzeichen zeigten sich am Himmel. Jennings sah sich um. Er versuchte herauszufinden, wo sie waren. Allmählich begriff er, daß sie Cerveteri erreicht hatten. Vor ihm befand sich ein schmiedeeiserner Zaun, und dahinter hoben sich Grabsteine vom schwach erleuchteten Himmel ab.

Er ging zum Wagen zurück und schaute hinein. Er sah den schlafenden Thorn, dann schaute er auf die Uhr. Es war zehn Minuten vor fünf. Ruhig ging er zu der Tür des Fahrers, griff durch das Fenster und zog die Schlüssel aus der Zündung, dann ging er zum Kofferraum, schloß ihn vorsichtig auf und schob den Deckel hoch. Das Quietschen war nicht laut genug, um die beiden Männer im Auto zu wecken.

Jennings suchte in der Dunkelheit nach seinem Kameraetui, dann nahm er die Kamera heraus und legte eine neue Filmrolle ein. Vorsichtshalber prüfte er sein Blitzgerät. Das helle Licht blendete ihn einen Augenblick und er taumelte. Als er wieder klar sehen konnte, zog er die Riemen der Kamera und des Blitzgerätes über die Schultern. Plötzlich entdeckte er ein Montiereisen, das unter öligen Putzlappen in einer Ecke des Kofferraums lag. Er nahm es heraus und steckte es in den Gürtel, dann schloß er vorsichtig den Deckel und ging auf die Umfriedung zu.

Der Boden war naß, und Jennings begann zu frieren. Er schlotterte, als er am Zaun entlangschlich und eine Stelle suchte, wo er hineinschlüpfen konnte. Er fand keine, und so mußte er oben drüber klettern. Am Zaun oben angelangt, ließ er sich einfach fallen. Dabei streifte er mit dem Mantel einen scharfen Gegenstand. Sein Mantel hatte einen Riß bekommen, sonst aber hatte er, bis auf einen kleinen Ausrutscher, den Sprung gut überstanden. Jetzt machte er seine Kamera schußbereit. Langsam ging er in den Friedhof hinein. Der Himmel war heller geworden und er konnte nun die Grabsteine und die verwitterten Statuen besser erkennen. Sie waren kunstvoll gearbeitet, aber der Zahn der Zeit hatte an ihnen genagt und sie entstellt. Ihre scheußlichen, zum Teil arg verwitterten Gesichter schienen dunkle Geheimnisse zu bergen. Einige waren halb umgekippt und boten den Nagetieren, die sich um Jennings Anwesenheit nicht kümmerten, Zuflucht. Sie huschten an seinen Füßen vorbei, hier in die dunklen Löcher und tauchten dort wieder auf.

Trotz der Kälte war Jennings in Schweiß gebadet. Unsicher sah er sich um, während er über den regennassen Boden ging. Er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Die leeren Augenhöhlen der Statuen schienen ihn zu verfolgen, wo immer er ging. Er blieb stehen und versuchte sich zu beruhigen, immer wieder sah er sich um. Auf einmal entdeckte er das riesige steinerne Götzenbild, das auf ihn heruntersah, das Gesicht wie in Wut verzerrt, als ob es ihm zürne.

Sein Atem ging schneller. Die Augen des Götzenbildes schienen zu fordern, daß er wieder zurückging. Das Gesicht besaß menschliche Züge, der Ausdruck war tierisch. Es hatte eine tief gefurchte Stirn, eine Knollennase, einen klaffenden, breiten und wutverzerrten Mund.

Jennings mußte gegen ein Angstgefühl ankämpfen, aber es gelang ihm, die Kamera vors Gesicht zu heben und drei Aufnahmen zu machen. Die Blitze aus seinem Gerät waren wie eine Waffe gegen das steinerne Gesicht, das vielleicht vor Jahrhunderten oder vor Jahrtausenden geschaffen worden war.

Thorn schlug die Augen auf. Er streckte sich, und da mußte er feststellen, daß Jennings fort war. Er stieg aus. Vor ihm lag der Friedhof, über dessen Gitter hinweg die Köpfe der Grabfiguren schauten – ein merkwürdiger Anblick im ersten Zwielicht.

»Jennings …«

Keine Antwort. Thorn näherte sich dem Friedhof. Er versuchte es noch einmal mit Rufen, und diesmal meinte er ganz aus der Ferne eine Antwort gehört zu haben. Irgend etwas bewegte sich doch da drinnen! Und zwar schien es direkt auf ihn zuzukommen …