*
Irgendwo fanden sie ein kleines Hotel, in dem sie sich unter falschen Namen eintrugen. Der Pförtner bestand darauf, sie sollten im voraus bezahlen, und dann gab er ihnen den Schlüssel zu einem Einzelzimmer.
Sofort ging Thorn ans Telefon. Er versuchte verzweifelt, Katherine zu erreichen, während Jennings im Zimmer auf und ab ging.
»Die Biester hätten Sie umbringen können, und sie taten es nicht«, sagte Jennings, und deutlich war die ausgestandene Angst in seiner Stimme zu hören. »Ich war es, hinter dem sie her waren; sie haben immer versucht, meinen Hals zu erwischen.«
Thorn hob die Hand, damit Jennings schwieg. Ein dunkler Blutfleck war auf seinem Hemd.
»Haben Sie mitgekriegt, was ich Ihnen gesagt habe, Thorn? Hinter mir waren sie her, nach meinem Hals haben sie geschnappt.«
»Ist dort das Krankenhaus?« fragte Thorn.
»Ja, sie liegt in Zimmer 4A.«
»Mein Gott, wenn ich das Blitzlicht nicht mitgehabt hätte …«, fuhr Jennings fort.
»Würden Sie es, bitte, versuchen?« bat Thorn. »Es ist sehr, sehr dringend.«
»Wir müssen irgend etwas tun, Thorn.«
Thorn drehte sich um und betrachtete die dunklen Stellen, welche die Riemen an seinem Hals hinterlassen hatten.
»Suchen Sie die Stadt Meggido«, sagte er ruhig.
»Wie, zum Teufel, soll ich denn das machen? Wo soll ich sie denn suchen?«
»Ich weiß nicht. Gehen Sie in eine Bibliothek.«
»Eine Bibliothek! Du lieber Himmel!«
»Hallo?« rief Thorn ins Telefon. »Katherine?«
In ihrem Klinikbett setzte sich Katherine auf, als sie hörte, daß die Stimme ihres Mannes bebte. In ihrer unverletzten Hand hielt sie den Hörer, die andere lag unbeweglich auf der weißen Stützplatte.
»Ist bei dir alles in Ordnung?« fragte Thorn.
»Ja. Bei dir auch?«
»Ja. Ich wollte mich nur vergewissern …«
»Wo bist du?«
»Ich bin in Rom. In einem Hotel, das Imperatore heißt.«
»Was ist los?«
»Nichts.«
»Bist du krank?«
»Nein, ich war besorgt …«
»Komm zurück, Jerry.«
»Ich kann jetzt noch nicht zurückkommen.«
»Ich fürchte mich.«
»Du brauchst dich vor nichts zu fürchten.«
»Ich habe im Haus angerufen und keine Antwort gekriegt.«
In seinem Hotelzimmer beobachtete Thorn den Fotografen, der sein Hemd wechselte und sich darauf vorbereitete, auszugehen.
»Jerry?« sagte Katherine. »Ich würde es für besser halten, wenn ich nach Hause ginge.«
»Bleib, wo du bist«, meinte Thorn.
»Ich mach mir wegen Damien Sorgen.«
»Nähere dich nicht dem Haus, Katherine!«
»Aber ich muß … ich muß …«
»Hör mir genau zu, Katherine. Geh nicht in die Nähe des Hauses.«
Katherine schwieg einen Augenblick, weil seine Stimme so aufgeregt klang.
»Wenn du Angst hast, daß ich irgend etwas tun könnte«, sagte sie. »dann irrst du dich sehr. Ich habe mit dem Psychiater gesprochen, und ich sehe die Dinge jetzt viel klarer. Es ist nicht Damien, der schuld an all dem ist, ich bin’s.«
»Katherine …«
»Hör mir zu. Ich nehme ein Medikament, das Librium heißt. Es ist ein Medikament gegen Depressionen. Und es wirkt. Ich will nach Hause. Und ich möchte, daß du zurückkommst.«
Sie schwieg. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme heiser. »Ich wünsche mir so sehr, es käme alles wieder in Ordnung.«
»Wer hat dir das Medikament gegeben?« fragte Thorn.
»Dr. Greer.«
»Bleib in diesem Krankenhaus, Katherine. Verlaß dein Bett nicht, bis ich dich hole! Hörst du!«
»Ich möchte so gern nach Hause, Jerry.«
»Um Himmels willen …«
»Aber es geht mir gut!«
»Es geht dir noch nicht gut!«
»Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen um mich.«
»Katherine!«
»Ich fahre nach Hause, Jeremy.«
»Du bleibst, bis ich komme!«
»Wann?«
»Morgen früh.«
»Aber was ist, wenn irgend etwas zu Hause nicht stimmt? Ich habe dort angerufen …«
»Ich weiß, daß zu Hause irgend etwas nicht stimmt, Katherine.«
Es überlief sie kalt, als sie seine Worte hörte.
»Jerry?« fragte sie ruhig. »Was meinst du? Was stimmt nicht?«
»Ich kann dir das nicht durchs Telefon sagen«, antwortete Thorn verzweifelt.
»Was ist passiert? Was ist zu Hause los? Was ist nicht in Ordnung?«
»Warte doch, bis ich zu dir komme. Aber bleib, bitte, im Krankenhaus. Ich bin morgen früh bei dir und erkläre dir alles.«
»Bitte, tu mir das nicht an …«
»Du bist es nicht, Katherine. Mit dir ist alles in Ordnung.«
»Was sagst du da?«
Im Hotelzimmer warf Jennings Thorn einen verzweifelten Blick zu und schüttelte den Kopf.
»Jerry?«
»Er ist nicht unser Kind«, sagte Thorn. »Katherine, Damien gehört jemand anders.«
»Was?«
»Geh nicht nach Hause«, warnte Thorn noch einmal. »Warte in der Klinik auf mich.«
Er legte auf. Katherine blieb wie betäubt sitzen, bis sie hörte, daß die Verbindung unterbrochen war. Langsam legte sie den Hörer auf die Gabel, dann starrte sie auf die Schatten, die an den Wänden spielten. Draußen, vor ihrem Zimmer im sechsten Stock, ging der Sommer dahin …
Sie hatte Angst, aber sie merkte, daß das Gefühl der Panik, das sonst ihre Angst immer begleitet hatte, verschwunden war. Das Medikament wirkte, sie war nun wieder imstande, klar zu denken.
Einen Augenblick nur zögerte sie, dann nahm sie den Hörer ab und wählte die Nummer ihres Hauses. Und wieder antwortete niemand. Dann reckte sie sich mühevoll hoch und drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage über ihrem Bett.
»Ja, Ma’am?« antwortete eine Stimme.
»Ich muß das Krankenhaus verlassen. An wen kann ich mich wenden?«
»Sie brauchen die Erlaubnis Ihres Arztes.«
»Würden Sie, bitte, einmal sehen, ob Sie ihn finden können?«
»Ich will es versuchen.«
Es klickte. Katherine wartete. Eine Krankenschwester brachte ihr den Lunch, doch sie hatte keinen Appetit. Auf dem Tablett stand ein kleiner Teller Pudding. Sie berührte ihn. Wie kühl, wie beruhigend! Sie nahm ein wenig Pudding zwischen die Finger …
*
Einige hundert Meilen entfernt, auf dem Friedhof von Cerveteri, war alles ruhig. Schwere Wolken hingen am Himmel, nur ein kaum hörbares Scharren durchbrach die Stille. Neben den beiden offenen Gräbern bewegten zwei Hunde mechanisch ihre Beine, während sie Schmutz in die offenen Gräber schaufelten, Schmutz, Sand, Lehm und Erde, die langsam die Überreste des Schakals und des Kindes bedeckten.
In einiger Entfernung hingen die angefressenen Überreste eines Hundes am eisernen Gittertor, während ein einsamer Hund den Kopf hob und einen klagenden Laut ausstieß. Der Laut wurde zu einem Gebell, das weithin hallte, das lauter und lauter wurde, als die anderen Tiere einfielen, bis die Luft von dem mißtönenden Chor des Todes erfüllt war.
In ihrem Hospitalzimmer drückte Katherine wieder auf den Knopf, und ihre Stimme klang ungeduldig.
»Ist jemand da?« fragte sie.
»Ja?« antwortete eine Stimme.
»Ich meine … ich habe Sie gebeten, meinen Arzt zu suchen.«
»Ich fürchte, ich kann es nicht. Er soll im Operationssaal sein.«
Katherine wurde ungehalten,
»Könnten Sie herkommen und mir behilflich sein?«
»Ich werde versuchen, jemanden zu Ihnen zu schicken.«
»Bitte, beeilen Sie sich.«
»Ich werde tun, was ich kann.«
Sie schaffte es, aus dem Bett zu kommen, dann ging sie zum Schrank, in dem ihre Kleider hingen. Das Jackenkleid war leicht anzuziehen, aber das Nachthemd, das sie trug, war hoch bis zum Hals zugeknöpft, und als sie sich im Spiegel betrachtete, fragte sie sich, ob es überhaupt möglich war, daß sie das Ding loswurde … mit dem Gips am Arm!