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Er drehte sich um, griff in ein Regal, das in die Felsen eingehauen war, und nahm etwas heraus, das in ein Tuch eingeschlagen war.

»Sollte ich Ihnen trauen?« fragte Thorn.

Der alte Mann kehrte zum Tisch zurück und öffnete das Tuch. Es war seine Antwort. Da lagen sieben Dolche, die im Licht glänzten. Sie waren dünn, hatten Griffe aus Elfenbein und jeder Griff zeigte das geschnitzte Abbild des Gekreuzigten.

»Vertrauen Sie diesen«, sagte er. »Nur diese können Sie retten – diese allein.«

In den Kavernen dort hinten stand die Luft still. Jennings ging gebückt unter der niedrigen Felsdecke und starrte in den Lichtkreis, den die Laterne in seiner Hand warf. In den Mauern waren Gegenstände aus prähistorischer Zeit eingelassen. Skelette, halb im Fels vergraben, und es sah aus, als ob diese Wand einstmals die alte Straße gesäumt hätte. Langsam ging er in dem allmählich sich verengenden Tunnel weiter …

Die Lichter schienen trüber geworden zu sein. Angsterfüllt starrte Thorn auf den Tisch. Die sieben Dolche steckten fest in dem Holz und bildeten das Zeichen des Kreuzes.

»Es muß auf geheiligtem Boden geschehen«, flüsterte der alte Mann. »In einer Kirche. Sein Blut muß über dem Altar Gottes vergossen werden.«

Seinen Worten folgte Schweigen, und er betrachtete Thorn, um sich zu vergewissern, daß er verstanden hatte.

»Jedes Messer muß bis zum Griff in ihn eindringen. Bis zu den Füßen der Gestalt Christi … und es muß so geschehen, daß die Dolche das Zeichen des Kreuzes bilden.«

Der alte Mann streckte eine ausgezehrte Hand hoch und zog mit Mühe das Messer, das in der Mitte steckte, heraus.

»Der erste Dolch ist der wichtigste. Er löscht das physische Leben aus und bildet den Mittelpunkt des Kreuzes. Die anderen töten das geistige Leben, und sie sollten nach außen gerichtet werden … so …«

Er schwieg und erforschte Thorns Gesichtszüge.

»Sie dürfen kein Mitleid haben, es darf kein Mitfühlen geben, keine Sympathie und keine Liebe«, belehrte er ihn. »Dies ist kein menschliches Kind.«

Thorn versuchte etwas zu sagen. Als er die Worte endlich herausbrachte, klangen sie fremd, heiser, fast verzerrt, denn es war viel Betrübnis in ihnen.

»Und was ist, wenn Sie sich irren?« fragte er. »Wenn er nicht –«

»Machen Sie keinen Fehler.«

»Es muß doch irgendeinen Beweis geben …«

»Er besitzt ein Muttermal. Eine Folge der Zahl Sechs.«

Thorns Atem ging schneller.

»Nein!« rief er.

»Die Bibel sagt, daß alle Apostel Satans dieses Zeichen tragen.«

»Er hat aber keines.«

»Psalm 12, Vers 6: Laß ihn, der es weiß, dem Untier die Zahl zuordnen; denn es ist eine menschliche Zahl; die Zahl lautet: 666 .«

»Aber er hat es nicht, ich sage es Ihnen doch.«

»Er muß es haben.«

»Ich habe ihn gebadet. Ich habe jeden Zentimeter seiner Haut gesehen.«

»Wenn es auf seinem Körper nicht sichtbar ist, dann werden Sie es unter den Haaren finden. Hatte er nicht sehr viele Haare, als er geboren wurde?«

Thorn erinnerte sich an den Augenblick, da er das Kind zum erstenmal gesehen hatte. Und er erinnerte sich, wie betroffen er beim Anblick des dichten, wunderbaren Haares gewesen war.

»Entfernen Sie es«, sagte Bugenhagen. »Sie werden das Zeichen darunter versteckt finden.«

Thorn schloß die Augen und legte den Kopf in die Hände.

»Wenn Sie einmal begonnen haben, zögern Sie nicht.«

Thorn schüttelte den Kopf. Es war eine Unmöglichkeit. Er konnte es nicht tun.

»Zweifeln Sie an dem, was ich sage?« fragte Bugenhagen.

»Ich weiß nicht.« Thorn seufzte.

Der alte Mann lehnte sich zurück und betrachtete ihn.

»Ihr ungeborenes Kind wurde getötet, wie es vorausgesagt wurde. Ihre Frau ist tot …«

»Aber das ist doch ein Kind!«

»Brauchen Sie denn noch mehr Beweise?«

»Ja.«

»Dann warten Sie darauf«, sagte Bugenhagen. »Hören Sie: Es muß getan werden. Oder es wird viel Unheil geschehen. Wenn Sie unsicher sind, dann werden sie Sie besiegen.«

»Sie …?«

»Sie sagten, da wäre eine Frau. Eine Frau, die das Kind betreut.«

»Mrs. Baylock …«

Wieder lehnte sich der alte Mann zurück. Er nickte.

»Ihr Name ist B’aalock. Sie ist eine Abtrünnige des Teufels und sie wird sterben, ehe sie dies erlaubt.«

Die beiden Männer schwiegen. Hinter ihnen in der Kaverne wurden Schritte hörbar. Jennings löste sich aus der Dunkelheit. Er sah bestürzt aus.

»Tausende von Skeletten …«, flüsterte er.

»Siebentausend«, antwortete Bugenhagen.

»Was ist denn passiert?«

»Meggido war Harmaggedon. Das Ende der Welt.«

Jennings kam auf sie zu, erschüttert von dem, was er gesehen hatte.

»Sie meinen … Harmaggedon hat bereits stattgefunden?«

»O ja«, erwiderte Bugenhagen. »Und es wird noch viele Male geschehen.«

Er zog die Dolche heraus, wickelte sie in das Tuch ein und gab Thorn das Päckchen. Thorn wollte es nicht nehmen, doch Bugenhagen drängte es ihm auf. Ihre Blicke begegneten sich. Thorn erhob sich.

»Ich habe lange genug gelebt«, sagte Bugenhagen mit zitternder Stimme. »Ich hoffe, daß ich nicht umsonst gelebt habe.«

Thorn drehte sich um und folgte Jennings in die Dunkelheit. Schweigend gingen sie den Weg zurück, nur einmal wandten sie sich um. Aber der Raum war nicht mehr zu sehen. Die Lichter waren gelöscht. Die Dunkelheit verhüllte, was soeben noch greifbar war.

*

Schweigend gingen sie durch die Straßen Jerusalems. Fest umfaßten Thorns Hände das Päckchen. Er ging wie ein Automat, ohne auf die Umgebung zu achten. Er starrte geradeaus, und sein Gesichtsausdruck war düster.

Jennings hatte versucht, ihm das Geheimnis zu entlocken, aber Thorn blieb fest. Nun, da sie über einen schmalen Bürgersteig in offenes Baugelände gelangten, verlor der Fotograf vollends die Geduld. Er machte Thorn die bittersten Vorwürfe.

»Hören Sie! Ich will alles wissen, was er gesagt hat! Ich hab’ ein Recht, es zu wissen, nicht wahr?«

Aber Thorn ging mit gesenktem Kopf weiter. Nur seine Schritte wurden schneller, als ob er versuchte, ihm davonzulaufen.

»Thorn! Ich will wissen, was er gesagt hat!«

In der nächsten Straße war Jennings neben ihm. Er packte Thorn am Arm.

»Hören Sie! Mit mir können Sie das nicht machen! Ich bin schließlich derjenige, der ihn gefunden hat.«

Thorn blieb stehen und sah in Jennings’ Augen.

»Ja. Sie sind es, nicht wahr? Sie sind derjenige, der all das gefunden hat.«

»Was soll denn das nun wieder bedeuten?«

»Sie sind derjenige, der darauf bestanden hat! Sie sind derjenige, der nicht aufgehört hat, mir das einzureden …!«

»Nun halten Sie aber mal die Luft an!«

»Sie sind derjenige, der diese Fotos gemacht hat …«

»Sie sollen …«

»Sie sind derjenige, der mich hierher gebracht hat …«

»Was ist denn bloß mit Ihnen los?«

»Ich weiß nicht einmal, wer Sie sind!«

Er entzog seinen Arm Jennings’ Griff und drehte sich um. Jennings hielt ihn fest.

»Sie werden jetzt hier einen Augenblick warten und mir zuhören, was ich Ihnen zu sagen habe.«

»Ich habe Ihnen schon viel zu lange zugehört.«

»Ich versuche doch bloß Ihnen zu helfen.«

»Nicht mehr!«

Sie starrten einander wütend an. Thorn zitterte am ganzen Leib.

»Wenn ich nur daran denke, daß ich mir das alles angehört habe! Daß ich es geglaubt habe!«

»Thorn …«

»Denn alles, was ich weiß, ist, daß dieser alte Mann irgendein Fakir ist, der mit Messern herumspielt!«

»Worüber haben Sie gesprochen?«