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Mit zitternden Händen hielt Thorn das Päckchen hoch.

»Das sind Dolche! Waffen! Er will, daß ich ihn ersteche! Er erwartet von mir, daß ich das Kind ermorde!«

»Es ist kein Kind!«

»Es ist ein Kind!«

»Um Himmels willen, wie viele Beweise wollen Sie denn noch haben?«

»Und wofür halten Sie mich?«

»Nun beruhigen Sie sich doch.«

»Nein!« brüllte Thorn. »Ich werde es nicht tun! Ich will es nicht tun! Ein Kind ermorden? Für was für einen Menschen halten Sie mich eigentlich?«

Wutentbrannt wirbelte er herum, dann warf er das Päckchen mit den Messern weit von sich, sie knallten gegen eine Wand und fielen zu Boden. Da blieb Jennings stehen. Er starrte in Thorns wütende Augen.

»Vielleicht werden Sie es nicht tun«, knurrte er. »aber ich werde es tun.«

Er wollte sich umdrehen, aber Thorn packte ihn am Arm.

»Jennings.«

»Sir?«

»Ich will Sie nie mehr wiedersehen! Ich will mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben.«

Mit entschlossener Miene rannte Jennings in das Gäßchen. Er suchte das Päckchen mit den Dolchen. Am Boden lagen Steine, Holz und Sand. Die Luft erdröhnte von den Preßlufthämmern, und eine schwere Maschine, die die Erde beiseite schob, schob zugleich das Päckchen mit, bis es neben einem verrotteten Kübel lag.

Schnell rannte Jennings herbei. Er beugte sich über das Päckchen und so sah er den Arm des gewaltigen Krans nicht, als dieser hoch über ihm schwebte, einen Augenblick lang innehielt und dann die riesige Glasscheibe herunterließ, die er transportiert hatte.

Sie kam herunter mit der Endgültigkeit einer Guillotine. Sie traf Jennings’ Hals. Sie trennte seinen Kopf vom Körper. Dann zerbrach sie in Millionen Scherben.

Thorn hörte den Aufprall, dann die Schreie der Fußgänger, die aus allen Richtungen in das Gäßchen gerannt kamen, in dem Jennings verschwunden war.

Er drängte die Menge zur Seite, bis er die Stelle erreichte, wo der Körper lag. Jennings war buchstäblich enthauptet; als ob sein Herz noch schlüge, so spritzte das Blut in pulsierenden Stößen aus dem Hals. Auf einer Veranda stand eine Frau mit blassem Gesicht. Sie zeigte immerfort nach unten und schrie.

Der Kopf lag in einem Abfalleimer, die toten Augen starrten gen Himmel.

Mit letzter Kraft riß Thorn sich zusammen. Steifbeinig bewegte er sich vorwärts, dann hob er das Päckchen mit den Dolchen auf, das auf dem Schotter neben Jennings’ lebloser Hand lag.

Langsam drehte er sich um. Seine Augen schienen erstarrt zu sein, als er durch das Gäßchen ging und den Weg zum Hotel suchte.

12

Acht Stunden dauerte der Flug nach London. Wie betäubt saß Thorn auf seinem Platz. Sein Verstand verweigerte die Arbeit.

Alle die Gedanken, die früher wie Blitze durch sein Gehirn gezuckt waren – Vermutungen, Visionen, Zweifel –, waren ausgelöscht worden. Ausgelöscht waren Angst, Kummer und Verwirrung; sein ganzer Denkprozeß schien sich auf einen einzigen Gedanken zu konzentrieren – und dieser Gedanke kreiste um das, was er tun mußte.

Auf dem Londoner Flughafen gab ihm eine Stewardeß das Päckchen mit den Dolchen zurück, das er nach den Bestimmungen gegen Flugzeugentführungen hatte deponieren müssen, bis der Flug zu Ende war. Sie machte eine Bemerkung, wie schön sie seien und fragte, wo Thorn sie gekauft habe.

Er antwortete kaum, steckte das Päckchen in sein Jackett und betrat die fast leere Halle. Es war nach Mitternacht, und der Flughafen war bereits geschlossen. Nur weil die Sichtverhältnisse so ausgezeichnet waren, hatte man seiner Maschine eine Landung erlaubt.

Aber London lag im Nebel, und selbst die Taxifahrer sträubten sich dagegen, ihn nach Pereford zu befördern. Es war verwirrend, so nach London zurückzukehren, wenn keiner auf ihn wartete, kein Auto dastand, um ihn abzuholen, und es schmerzte ihn, wenn er daran dachte, wie es früher gewesen war. Immer hatte Horton auf ihn gewartet und ihm erzählt, wie das Wetter sich entpuppte. Katherine … immer hatte sie ihn mit einem lieben Wort begrüßt.

Jetzt aber stand er allein und frierend in der kalten Nacht und wartete auf einen Wagen, den ihm eine private Autovermittlung schicken wollte.

Als das Auto schließlich kam, konnten sie nur im Schneckentempo fahren, denn es war fast unmöglich, etwas zu sehen. Der Wagen schien im luftleeren Raum dahinzugleiten, und Thorn starrte unentwegt aus dem Fenster, um dem Fahrer behilflich zu sein. Es war gut so, denn er brauchte wenigstens in dieser Zeit nicht an das zu denken, was vor ihm lag. Es gab keine Vergangenheit mehr, und die Zukunft war unvorhersehbar. Es gab nur diesen einzigen Augenblick, der sich zu einer Ewigkeit auszudehnen schien, bis endlich Pereford auftauchte.

Auch hier war alles in Nebel gehüllt. Der Fahrer hielt vor dem Eingang, dann half er Thorn, sein Gepäck zur Haustür zu tragen. Alles war dunkel und still.

Ein paar Minuten lang blieb Thorn am Haus stehen, nachdem der Wagen im Nebel verschwunden war. Er schaute empor … oh dieses schöne Haus, das einen Menschen beherbergt hatte, den er so sehr geliebt hatte … ja, auch Freunde, die ihm teuer waren.

Nun brannte kein einziges Licht im Haus, kein Laut war zu hören, und plötzlich waren die quälenden Bilder wieder da. Er sah Katherine im Garten, wie sie mit ihrem Kind spielte; er sah eine lachende Chessa … die Veranda war voller Menschen, Lachen klang durch die Nacht, große Wagen, die zu den bedeutendsten Leuten des Commonwealth gehörten, standen auf dem geräumigen Parkplatz. Er sah uniformierte Chauffeure, die, an die Wagen gelehnt, ihre Zigaretten rauchten, hörte ihre Stimmen, wenn sie über die letzten Fußballergebnisse sprachen … doch dann plötzlich verblaßten all diese Bilder und verschwanden. Er hörte sein Herz schlagen. Er spürte, wie das Blut heftiger durch seine Adern strömte.

Mit steifen Händen schob er den Schlüssel ins Schloß der Vordertür. Hinter sich hörte er einen Laut. Es war, als ob jemand aus dem Pereford-Wald kam. Thorns Atem ging schneller. Er öffnete die Tür, trat ein und schlug sie hinter sich zu.

Obwohl er das Gefühl hatte, verfolgt zu werden, entdeckte er nichts, als er durch das Fenster der geschlossenen Tür hinausstarrte. Nur Nebel – einen grauen, nassen, klebrigen Nebel sah er.

Sicher hatte ihm die Fantasie einen Streich gespielt. Draußen war nichts und niemand. Aber er wußte, daß er sich gegen die immer wieder in ihm aufsteigende Angst wehren mußte.

Er verriegelte die Tür. Er blieb einen Augenblick in der Dunkelheit stehen, während er versuchte, die Laute im Haus zu erkennen. Im Keller lief die Heizung. Irgendwo ratterten Rolläden. Die alte Standuhr tickte. Sekunde um Sekunde verging.

Langsam ging Thorn durch das Wohnzimmer in die Küche. Von dort führte eine Tür zur Garage. Die beiden Wagen standen nebeneinander: Katherines Kombiwagen, sein Mercedes. Er ging zum Mercedes, öffnete die Tür und steckte den Schlüssel in die Zündung. Der Benzintank war zu einem Viertel gefüllt; das genügte, um nach London zurückzukommen.

Er ließ die Tür geöffnet, ließ den Schlüssel in der Zündung stecken, dann ging er zur Küchentür zurück. Er drückte auf den Schalter, durch den sich automatisch die Türen, die zur Einfahrt führten, hoben. Nebel wirbelte herein, und in diesem Moment glaubte Thorn ein Geräusch zu hören. Er ging hinein, schloß die Tür und lauschte. Nichts.

Er schaltete das Küchenlicht ein und sah sich um. Alles war so wie er es verlassen hatte – so, als ob die Haushälterin einfach ins Bett gegangen wäre, um am nächsten Morgen wieder munter an ihr Tagwerk zu gehen.

Sogar ein irdener Topf mit Weizenflocken stand auf dem Herd.

Thorn hielt den Atem an. Es war alles so normal, es widersprach so sehr alledem, was wirklich wahr war.

Er ging zum Tisch und nahm das Päckchen mit den Dolchen aus seinem Mantel, öffnete es und breitete den Inhalt vor sich aus. Alle sieben Dolche waren da. Sie sahen aus, als ob sie frisch geschärft worden wären. In den Klingen spiegelten sich Teile seines Gesichtes, als er sie betrachtete. Er sah seinen tödlich entschlossenen Blick. Er spürte den Schweißausbruch, während er die Dolche betrachtete. Ein Schwächegefühl war plötzlich in seinen Beinen. Er holte ein paarmal tief Luft, dann schlug er mit zitternden Händen die Dolche wieder ein und steckte das Päckchen in den Mantel zurück.