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Er ging in die Vorratskammer. Er stieg eine schmale Holztreppe hinauf. Er bückte sich, damit er nicht gegen die Glühbirne stieß, die an einem Kabel von der Decke herunterhing …

Dies war ein Aufgang für die Angestellten, und er hatte ihn zuvor nur ein einziges Mal benutzt, als er Suchen-und-Verstecken mit Damien gespielt hatte. Plötzlich erinnerte er sich daran, daß er sich damals vorgenommen hatte, eine andere Lampe anbringen zu lassen, weil er besorgt war, das Kind könnte hinaufreichen und die Drähte berühren: Kurzschlußgefahr! Es war nur eine der vielen Gefahrenquellen in diesem alten Haus. In den oberen Etagen gab es Fenster, die sich viel zu leicht öffnen ließen. Die Balkone waren nicht ganz sicher, das eine oder andere Geländer mußte repariert werden.

Als Thorn auf der schmalen Hintertreppe nach oben schlich, hatte er das Gefühl, daß er all das jetzt nur träume. Jeden Augenblick konnte er neben Katherine aufwachen, und dann mußte er ihr von diesem schrecklichen Alptraum berichten, den er soeben geträumt. Voller Mitgefühl war ihr Gesicht, zart und tröstlich die Hände, dann kam das Kind in ihr Zimmer, das Gesicht frisch, vom Schlaf noch ganz rosig …

Thorn erreichte den Treppenabsatz im ersten Stock und betrat den dunklen Flur. Es war, als erfasse ihn wieder jene Unruhe, jene Bestürzung, die er kurz vor Jennings’ Tod gefühlt hatte. Er betete, daß er in das Zimmer des Kindes käme und daß er es leer fand, daß das Haus so dunkel und still war, weil die Frau das Kind fortgebracht hat …

Aber nein. Er hörte sie atmen und sein Herz begann zu schmerzen.

Da waren sie. Alle beide. Und beide schliefen sie!

Deutlich konnte er das geräuschvolle, tiefe Atmen der Frau hören … aber auch den Atem des Kindes …

Thorn hatte immer das Gefühl gehabt, daß man hier im Flur bereits hören konnte, daß die zwei zueinandergehörten, wenn sie schliefen. In der Dunkelheit schien ihr Atem sich miteinander zu verbinden, schien eine Einheit zu werden, die sie am Tage nicht erlebten. Er lehnte sich gegen die Wand und lauschte, dann ging er ruhig zu seinem eigenen Zimmer und drehte das Licht an.

Sein Bett war aufgeschlagen, als ob man ihn erwartete. Er ging hin und setzte sich. Er betrachtete das gerahmte Foto von sich und Katherine auf dem Nachttisch. Wie jung sie aussah! Zwei strahlende Menschen, denen die Zukunft gehörte.

Thorn legte sich aufs Bett. Aus seinen Augenwinkeln perlten Tränen. Er weinte ganz plötzlich, und er tat nichts dagegen. Ihm war, als müsse dies alles so sein.

Unten schlug die Uhr zweimal. Er stand auf, ging ins Badezimmer, drehte das Licht an und erstarrte. Katherines Badezimmer war in einem Zustand völligen Durcheinanders. Tuben waren aufgerissen, Puder verstreut, Lippenstifte lagen zerbrochen auf der Erde. Jemand hatte Gesichtscreme auf den Boden geschmiert, mit dem Lippenstift die Kacheln bemalt, die Toilette mit Haarbürsten und Lockenwicklern verstopft.

Irgend jemand hatte sich hier ausgetobt, und obwohl Thorn dies alles nicht verstand, wußte er, daß es sich um einen Protest gegen Katherine handelte. Ein Erwachsener mußte es getan haben. Die Dosen und Schachteln waren mit großer Kraft verbogen und zerschmettert worden, die Schmierereien von starker Hand ausgeführt. Es war das Werk eines Verrückten … eines Verrückten, dessen Hände der Haß geführt hatte.

Er stand wie betäubt da, und als er in einen zerbrochenen Spiegel schaute, sah er, daß seine Züge hart wurden. Er griff nach unten und öffnete eine Schublade. Was er suchte, war nicht da, und er öffnete ein Schränkchen. Er suchte weiter, bis er es gefunden hatte. Es war ein elektrischer Rasierapparat.

Thorn verband das Kabel mit der Steckdose, dann drückte er auf den Schalter und der kleine Apparat summte in seiner Hand. Als er ihn abstellte, glaubte er, einen Laut gehört zu haben. Quietschten die Bodenbretter über ihm? Schweigend stand er da, er wagte kaum zu atmen, bis es wieder still wurde.

Schweiß hatte sich auf Thorns Oberlippe gebildet. Er wischte ihn mit zitternder Hand ab. Dann verließ er das Badezimmer und blieb im dunklen Flur stehen. Die Bodenbretter unter ihm knarrten, als er weiterging. Das Zimmer des Kindes lag hier, gleich gegenüber Mrs. Baylocks Zimmer. Als er an ihrer Tür war, blieb er stehen. Sie war halb geöffnet, und er konnte hineinsehen. Sie lag auf dem Rücken, ein Arm hing aus dem Bett, ihre Fingernägel waren hellrot bemalt.

Auch ihr Gesicht war zurechtgemacht, so wie er es schon einmal gesehen hatte; hurenhaft, mit viel Lippenstift und Puder, und nun hatte sie auch noch Lidschatten und Rouge hinzugenommen. Ruhig, leicht schnarchend lag sie da, ihr Bauch hob und senkte sich und warf einen Schatten über den Boden.

Mit bebenden Händen schloß Thorn die Tür, dann zwang er sich weiterzugehen … auf die Tür am Ende des Flurs zu. Sie war leicht angelehnt. Thorn zog sie vorsichtig auf und trat hinein, dann schloß er sie hinter sich und lehnte sich dagegen.

Da lag sein Sohn. Das Kind schlief, sein Gesicht sah so friedlich und unschuldig aus, und Thorn schlug die Augen nieder. Er wagte nicht, ihn noch einmal anzusehen. Dann holte er tief Luft, ging langsam auf das Bett zu. Seine Finger krampften sich um den Rasierapparat. Er schaltete ihn ein.

Das Summen war so laut, daß Thorn plötzlich zusammenfuhr.

Aber das Kind schlief weiter. Thorn beugte sich über das Bett. Seine Hände zitterten, als er den summenden Rasierapparat hob und damit leicht die Haut des Kindes berührte. Dann führte er den Apparat durch dieses schöne Haar, und ein lichter Pfad mittendurch entstand. Die weiße Kopfhaut sah aus wie eine häßliche Narbe. Wieder lief der Rasierapparat, wieder fielen Haare, doch nun begann ‚das Kind zu stöhnen und sich zu bewegen. Thorn arbeitete rascher. Er sah, daß die Augenlider des Kindes zuckten, er spürte, daß der Kopf sich zu bewegen begann. Damien war unruhig geworden. Er erwachte jetzt und versuchte schlaftrunken den Kopf zu heben. Panische Angst überfiel Thorn. Er drückte den Kopf des Kindes fest ins Kissen.

Das erschreckte Kind versuchte sich zu wehren, doch Thorn hielt es fest. Der Rasierapparat summte. Neue Bahnen entstanden im dichten Haar.

Damien wand und krümmte sich, er begann Angstschreie auszustoßen, aber Thorn hielt ihm den Mund zu. Dann war der Schädel kahl geschoren, und Thorn schluchzte, als er hinunterschaute. Der Junge bäumte sich auf, als er nach Luft rang. Plötzlich wurden Thorns Augen groß, und er umfaßte fester den Rasierapparat … nur noch eine Stelle des Hinterkopfes! Da war es. Das Zeichen! Die Kopfhaut war aufgerissen, Blut lief aus der Wunde, aber deutlich war es zu sehen. Die Sechs. Dreimal die Sechs, vereint zu einem schönen Ornament.

Thorn wich zurück. Das Kind sprang auf. Es schluchzte und rang nach Atem, als es angsterfüllt seinen Vater ansah. Die kleinen Hände betasteten den enthaarten Schädel und kamen blutbefleckt zurück. Er starrte auf das Blut und schrie vor Angst.

Dann hob Damien die Hände. Er griff nach seinem Vater und weinte. Wie hypnotisiert stand Thorn da, als er die hilflose Angst in diesen Augen sah. Doch er konnte ihn nicht trösten. Thorn begann zu schluchzen, als sich die blutigen Finger auf ihn zubewegten, als das Kind ihn so ansah.

»Damien …«, schluchzte Thorn.

Aber in diesem Augenblick flog die Tür hinter ihm auf, und als er sich umdrehte, sah er die mächtige Gestalt Mrs. Baylocks, die auf ihn zuzufliegen schien. Ihr bemalter Mund war weit geöffnet. Sie stieß einen geisterhaften Schrei aus.

Thorn nahm das Kind, aber die Frau sprang ihn an, und er stürzte zu Boden.