Выбрать главу

»Können Sie ihm die Zukunft vorhersagen, bitte? Deswegen sind wir ja gekommen.« Katherines Stimme klang beklommen.

»Natürlich.«

Als das Mädchen nach der Hand des Kindes griff, wurden sie von einem Schrei unterbrochen, der vor dem Zelt ertönte. Es war Chessa, das Kindermädchen. Und ihre Stimme klang, als ob sie ganz weit weg sei.

»Damien! Damien!« rief sie. »Komm heraus! Ich hab’ eine Überraschung für dich!«

Die Wahrsagerin hob den Kopf. Eine gewisse Verzweiflung in diesem Schrei war nicht zu überhören.

»Damien! Komm heraus und schau dir an, was ich für dich tun werde!«

Mit Damien auf den Armen verließ Katherine das Zelt. Draußen blieb sie auf einmal wie gelähmt stehen, denn droben auf dem Dach ihres Hauses stand Chessa, in der Hand einen festen Strick, mit dem sie lachend spielte, um den Leuten zu zeigen, daß dieser Strick um ihren Hals lag. Die Zuschauer hielten das alles zunächst für ein Spiel – auch dann noch, als der Clown am Dachfirst vorne plötzlich die Hände ausstreckte wie einer, der kopfüber ins Wasser springen will.

»Schau her, Damien!« rief Chessa. »Ich tu das für dich!« Damit ließ sie sich vom Dach fallen. Ihr Körper schoß nach unten, wurde vom Seil zurückgerissen, dann hing das Mädchen erschlafft da.

Verstummt für immer. Tot.

Wie betäubt standen die Leute auf dem Rasen, als der kleine Körper zu der Walzermusik eines Karussells hin und her schaukelte. Ein Schrei brach endlich die Stille. Er kam von Katherine, und vier Leute bemühten sich um sie, damit sie sich beruhige. Es gelang ihnen schließlich, sie ins Haus zu schaffen.

Am Fenster seines Zimmers sitzend, schaute Damien hinaus auf den leeren Rasen, auf dem einige Arbeiter und die Leute mit ihrer Zuckerwatte zurückgeblieben waren. Schweigend starrten sie nach oben, während ein Polizist auf eine Leiter stieg und die Tote abschnitt. Sie entglitt seinen Händen und fiel, den Kopf voran, auf den mit Steinplatten ausgelegten Patio. So lag Chessa da, die toten Augen gen Himmel gerichtet, doch das Grinsen der Clownsmaske war geblieben.

*

Traurig waren die Tage vor Chessas Beerdigung. Der Himmel über Pereford zeigte ein schweres Grau. Der Donner grollte in der Ferne, und Katherine saß die meiste Zeit allein im halbdunklen Wohnzimmer und starrte ins Leere. Nach dem Bericht des Coroners hatte man eine große Menge Benadryl, ein Mittel gegen Allergie, bei der Autopsie im Blut des Mädchens festgestellt, aber dies erhöhte nur die Verwirrung und die Spekulationen, warum sie sich das Leben genommen hatte.

Um die Reporter abzuwimmeln, die aus dem Vorfall natürlich eine sensationelle Story zu machen versuchten, blieb Thorn zu Hause. Seine ganze Sorge galt Katherine, die, wie er befürchtete, sich wieder jenem Geisteszustand näherte, in dem sie sich vor einigen Jahren befunden hatte.

»Du nimmst es viel zu schwer, weißt du«, sagte er eines Abends, als er ins Wohnzimmer kam. »Es ist ja nicht so, daß Chessa ein Mitglied unserer Familie gewesen wäre.«

»Sie war es«, erwiderte Katherine ruhig. »Sie hat mir gesagt, sie wolle für immer bei uns bleiben.«

Thorn schüttelte den Kopf; er erkannte keinen Sinn in dieser Bemerkung.

»Ich vermute, sie hat ihre Meinung geändert«, sagte er. Er war selbst verblüfft, wie kalt seine Stimme klang, wie barsch seine Worte waren, und er spürte den Blick Katherines auf sich ruhen.

»Tut mir leid«, fügte er hinzu. »Aber ich hasse es, dich so zu sehen.«

»Es war mein Fehler, Jeremy.«

»Dein Fehler?«

»Ja. Es war da ein Augenblick auf der Party …«

Thorn kam auf sie zu und setzte sich neben sie. Aus seinem Blick sprach große Sorge.

»Sie stand so im Mittelpunkt, weißt du«, fuhr Katherine fort. »und ich war eifersüchtig auf sie. Ich nahm ihr Damien weg, weil ich’s nicht aushalten konnte, im Schatten dieses Mädchens zu stehen.«

»Ich glaube, du bist ein bißchen hart zu dir selbst. Das Mädchen war irgendwie durcheinander.«

»Aber ich doch auch«, flüsterte Katherine. »Im Mittelpunkt zu stehen, das bedeutet sehr viel für mich.«

Sie schwieg. Es gab nichts mehr zu sagen. Sie warf sich in Jeremys Arme, und er hielt sie fest, bis sie einschlief. Es war jene Art Schlaf, der sie stets dann überfiel, wenn sie Librium genommen hatte, und er fragte sich, ob der Schock bei Chessas Tod sie vielleicht dazu veranlaßt haben konnte, das Mittel wieder zu nehmen. Fast eine volle Stunde blieb er so sitzen, ohne eine Antwort zu finden auf all die vielen Fragen, die ihn bestürmten. Endlich hob er Katherine ganz sachte hoch und trug sie in ihr Zimmer.

*

Am folgenden Morgen ging Katherine zu Chessas Beerdigung. Damien durfte mit. Es war eine private Angelegenheit auf einem kleinen Friedhof in den Außenbezirken der Stadt. Gekommen war die Familie des Mädchens und – außer Katherine und Damien – schließlich noch ein kahlköpfiger Priester, der aus der Heiligen Schrift las, während er eine gefaltete Zeitung über seinen Kopf hielt, um sich vor dem Nieselregen zu schützen. Da Thorn die Publicity fürchtete, wenn er ebenfalls zu der Bestattung ging, hatte er sich geweigert, mitzugehen und Katherine geraten, dies auch zu tun. Aber sie ließ es sich nicht nehmen. Sie hatte das Mädchen gemocht und betrachtete es als ihre Pflicht, die Tote zur ewigen Ruhe zu geleiten.

Außerhalb des Friedhofs drängten sich die Reporter, die von zwei US-Marinesoldaten am Betreten des Friedhofs gehindert wurden. In letzter Minute hatte Thorn sie dorthin beordert.

Zwischen den Bäumen, unbemerkt von den anderen, befand sich Haber Jennings, der einen schwarzen Regenmantel und hohe Stiefel trug und die Geschehnisse auf dem Friedhof durch ein Teleobjektiv beobachtete. Es waren keine gewöhnlichen Linsen, sondern monströse Objektive, so daß er seinen Apparat auf einem Stativ befestigen mußte. Mit dem Objektiv hätte er ohne Zweifel das Rendezvous zweier Fliegen auf dem Mond fotografieren können. Durch den Sucher beobachtete er ein Gesicht ums andere. Die Angehörigen des Mädchens weinten. Katherine befand sich in einer Art Schockzustand, Damien war unruhig, immer wieder glitten seine Blicke über den regennassen Friedhof.

Es war das Kind, dem Jennings’ Interesse galt, und er wartete geduldig auf den besten Augenblick, um auf den Auslöser zu drücken. Er kam ganz plötzlich. Ein Flackern in den Augen und eine plötzliche Veränderung des Gesichtsausdrucks, als ob irgend etwas den Jungen plötzlich erschreckte … dann jedoch schien er sich auf einmal zu beruhigen. Sein kleiner Körper entspannte sich, während die Augen auf irgend etwas auf dem Friedhof gerichtet waren, etwas, das ihn mitten in dem kalten, nieselnden Regen beruhigte und das sehr tröstlich für ihn schien. Sofort begann Jennings den Apparat herumzuschwenken und durch seinen Teleskopsucher die Umgebung zu erkunden. Er fand nichts Auffallendes.

Doch bewegte sich da nicht etwas? Jennings ließ sein Tele weiterwandern, bis in seinem Blickfeld ein dunkler, undeutlich erkennbarer Gegenstand sichtbar wurde. Ein Tier? Ja, ein Hund, ein großer schwarzer Hund! Ein schmaler Kopf … eng beieinander liegende Augen … eine sonderbare Schnauze und ein bemerkenswertes Gebiß, dessen Weiß sich deutlich gegen das dunkle Fell abzeichnete …

Keiner außer Jennings schien diesen Hund zu bemerken, der ganz reglos da hockte und wie gebannt auf einen bestimmten Punkt starrte. Jennings fluchte, weil er nur einen Schwarzweißfilm in der Kamera hatte, denn es waren ja diese Augen – genauer, das Gelb dieser Augen, welches die Erscheinung so unheimlich machte. Schließlich stellte er die Blende so ein, daß er beim Entwickeln die besten Kontraste herausholen konnte. Danach nahm er den Jungen noch einmal auf.

Für Jennings ein anstrengender Vormittag, doch der Weg hatte sich gelohnt. Als er dabei war, sein Gerät einzupacken, beschlich ihn ein unbehagliches Gefühl. Er warf noch einmal einen Blick auf die Trauergemeinde. Soeben wurde der Sarg in die Erde hinabgelassen … dort drüben stand das Kind … da der Hund … und zwischen beiden mußte es eine Verbindung geben.