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Es goß in Strömen, als Mrs. Baylock ankam. Mrs. Baylock war das neue Kindermädchen – eine Irin und eine ziemlich unverschämte Person, die am Tor vorne einen derartigen Lärm machte und ein Getue an den Tag legte, daß der Pförtner seine liebe Not mit ihr hatte. Mrs. Baylock ließ sich nicht zurückhalten. Ohne auf ihn zu achten, stürmte sie an ihm vorbei und ins Haus. Ihr Benehmen war einschüchternd, aber auch äußerst lachhaft.

»Ich weiß, daß Sie’s im Augenblick sehr schwer haben«, verkündete sie den Thorns, während sie ihren Mantel im Vestibül ablegte. »da will ich Ihnen lieber nicht auf den Wecker fallen. Aber unter uns: Wer so ein junges Ding als Kinderschwester einstellt, der braucht sich nicht zu wundern, wenn’s Ärger gibt.«

Sie bewegte sich wie ein Schlachtschiff, das sich den Weg durch die brandenden Wogen sucht. Ihre Sicherheit verschlug Thorn und Katherine, die sie gewähren ließen, die Sprache.

»Wissen Sie, woran man eine gute Kinderschwester erkennt?« lachte sie. »An der Größe ihrer Brüste. Diese kleinen Mädchen mit ihren Apfeltitten, die kommen und gehen in einer Woche. Aber betrachten Sie mal mich und meinen gewaltigen Busen. Sehen Sie, das sind Kinderschwestern, die bleiben. Gehen Sie mal in den Hydepark und schauen Sie sich um, dann werden Sie sehen, daß ich recht habe.«

Sie mußte eine kurze Pause einlegen, um ihren Koffer aufzunehmen.

»Na schön. Und wo ist der Junge?«

»Ich werde Ihnen sein Zimmer zeigen«, sagte Katherine mit einer Handbewegung zur Treppe.

»Warum lassen Sie uns beide nicht erst mal ein bißchen allein? Ich meine, damit wir Bekanntschaft schließen können.«

»Bei neuen Leuten ist er ein bißchen scheu.«

»Aber bei mir wird er’s bestimmt nicht sein! Das können Sie mir glauben.«

»Ich glaube wirklich …«

»Unsinn. Lassen Sie mich’s nur versuchen!«

Im nächsten Augenblick rauschte sie schon die Treppe hoch, und alsbald war ihr gewaltiges Gesäß verschwunden. Ganz plötzlich war es still. Jeremy nickte unsicher, als ob er noch nicht genau wüßte, was er aus dieser Geschichte machen sollte.

»Eigentlich gefällt sie mir«, sagte er.

»Mir auch. Wirklich.«

»Wo hast du sie denn aufgetrieben?«

»Wo ich sie aufgetrieben habe?« fragte Katherine.

»Ja

»Aber ich doch nicht! Ich habe sie nicht entdeckt, ich war bis jetzt der Meinung, du hättest diesen seltenen dicken Fisch an Land gezogen.«

»Mrs. Baylock«, rief Jeremy Thorn nach oben.

»Ja?« Sie war bereits auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock, und sie sahen, wie ihr Gesicht oben am Treppengeländer auftauchte.

»Tut mir leid … wir waren ein bißchen überrascht.«

»Warum denn?«

»Wir wissen nicht, wie Sie hierhergekommen sind.«

»Mit einem Taxi. Ich hab’s wieder weggeschickt.«

»Nein, nein. Ich meine … wer hat Sie hierhergeschickt?«

»Die Agentur.«

»Die Agentur?«

»Ja, sie haben in der Zeitung gelesen, daß Ihr erstes Kindermädchen umgekommen ist, und da haben sie Ihnen ein anderes geschickt.«

Diese Erklärung klang gar zu schön, um wahr zu sein, aber da Thorn wußte, wie schwierig es war, ein Kindermädchen zu finden, gab sich Thorn damit zufrieden.

»Kann ich anrufen, um mir das bestätigen zu lassen?« fragte Katherine.

»Na mal los«, erwiderte die Frau. »Wollen Sie, daß ich draußen im Regen warte?«

»Nein, nein …«, erklärte Thorn schnell.

»Komme ich Ihnen vielleicht wie eine exotische Spionin vor?« fragte Mrs. Baylock.

»Ganz und gar nicht«, sagte Thorn freundlich.

»Seien Sie da mal nicht zu sicher«, meinte die untersetzte Frau. »Vielleicht habe ich einen Tonbandrecorder in meinem Hüftgürtel. Warum schicken Sie nicht einen jungen Marinesoldaten rein, daß er das mal nachprüft?«

Alle lachten – Mrs. Baylock am lautesten.

»Nun gehen Sie schon«, sagte Thorn. »Wir prüfen das später nach.«

Jeremy und Katherine zogen sich in den Salon zurück. Katherine rief die Agentur an, um sich bestätigen zu lassen, was Mrs. Baylock gesagt hatte. Sie erfuhr, daß das Kindermädchen sehr geeignet sei, ausgezeichnete Empfehlungen besitze, daß aber irgend etwas in der Kartei nicht stimmen könne, denn darin stehe, sie sei augenblicklich in Rom beschäftigt. Wahrscheinlich aber hatte sie ihre Stellung gewechselt, ohne daß das in die Kartei eingetragen worden war. Man würde die Geschichte klären, sobald der Manager der Agentur, der Mrs. Baylock geschickt hatte, aus seinem vierwöchigen Urlaub zurückkäme.

Katherine legte den Hörer auf und sah ihren Mann an. Beide zuckten belustigt mit den Schultern, denn was sie gehört hatten, gefiel ihnen. Mrs. Baylock war eine verrückte Nudel, aber sie steckte voller Leben, und genau das war es, was sie sich von einer Erzieherin ihres Sohnes wünschten.

Doch Mrs. Baylock, angelangt in Damiens Zimmer, lachte nicht mehr. Mit verschleiertem Blick starrte sie auf das schlafende Kind in seinem Bettchen, das unmittelbar am Fenster stand. Damiens Arm war ausgestreckt, so daß seine Hand beinahe die Fensterscheibe berührte. Mrs. Baylock konnte ihren Blick von dem kleinen Geschöpf nicht lösen. Ihr Kinn begann zu zittern vor Ergriffenheit, es war ihr, als stünde sie vor einem Wesen von unvergleichlicher Schönheit. Das Kind, geweckt von ihrem keuchenden Atem, schlug nun die Augen auf und wich sofort zurück.

»Keine Angst, Kleiner«, flüsterte Mrs. Baylock kaum hörbar. »Ich bin hier, um dich zu beschützen.«

Ein Blitz durchzuckte die Nacht, so daß das Land draußen für einen Augenblick in gleißendes Licht getaucht war. Gleich darauf folgte ein Donnerschlag.

Dies war der Auftakt zu einer zweiwöchigen Regenperiode.

4

Draußen auf dem Land stand im Juli alles in voller Blüte. Eine ungewöhnlich lange Regenzeit hatte die Themse über die Ufer treten lassen, und Samen, die lange im Boden gelegen hatten, waren nun zum Leben erwacht. Auf den Wiesen und Feldern von Pereford war alles üppig und grün geworden. Dicht belaubt waren die Bäume in den Wäldern jenseits der Gärten, und ihre vollen Kronen bildeten einen natürlichen Schutz für die Tiere. Horton fürchtete bereits, die Waldhasen würden ihre Zuflucht verlassen und sich über die Tulpen hermachen, und deshalb stellte er Fallen auf. Die durchdringenden Schreie der verendenden Tiere störten den Frieden der Nacht. Er hörte also auf, Fallen aufzustellen – nicht nur weil ihn Katherine darum gebeten hatte, sondern weil er stets ein unbehagliches Gefühl hatte, wenn er den Wald betreten mußte, um die zerfetzten Tiere aus den Fallen zu nehmen. Er spüre die Augen ganz deutlich, sagte er, als ob ihn irgend etwas aus dem Dickicht beobachte.

Als er dies seiner Frau gestand, lachte sie und meinte, es handle sich wahrscheinlich um den Geist King Henrys V. Ihm aber war gar nicht zum Lachen zumute. Horton weigerte sich, jemals wieder den Wald zu betreten.

Schweres Kopfzerbrechen verursachte ihm, daß das neue Kinderfräulein, diese vorwitzige Mrs. Baylock, mit Damien da draußen herumstrolchte und weiß der Herr was alles fand, womit sich der Junge oft stundenlang beschäftigen konnte. Horton hatte sehr wohl bemerkt, als er einmal seiner Frau beim Wäschesortieren half, daß die Kleidung des Jungen voller schwarzer Haare war. Als ob er mit einem Tier gespielt hätte! Horton aber fand keinerlei Reim zwischen den Tierhaaren und Damiens Ausflügen in den Wald, außer dem einen, daß im Pereford-Haus die unmöglichsten Dinge passierten. Und es geschah wahrlich eine ganze Menge.

Katherine überließ den Kleinen mehr und mehr dem neuen, lustigen Kindermädchen. Es stimmte schon, daß Mrs. Baylock eine liebevolle Gouvernante war und daß das Kind sie mehr und mehr liebgewann. Aber es war beunruhigend, wenn nicht gar unnatürlich, daß der Junge ihre Gesellschaft der seiner eigenen Mutter vorzog. Natürlich bemerkten dies auch die Hausangestellten, und man sprach darüber. Es tat ihnen irgendwie leid, daß die Zuneigung des Kindes einer Angestellten galt und nicht mehr ihrer Herrin. Sie wünschten, Mrs. Baylock würde wieder verschwinden. Statt dessen aber machte sie sich von Tag zu Tag unentbehrlicher und gewann immer mehr Einfluß auf die Herrschaften.