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»Wilddiebe lassen den Kopf zurück, sie nehmen ihn doch nicht mit. Wer dieses Tier umgebracht hat, der hat’s aus purem Mutwillen getan.«

Thorn befahl Horton, den Kadaver beiseitezuschaffen und niemandem etwas davon zu sagen. Als sie aufs Haus zugingen, blieb Horton stehen.

»Ich mag diesen Wald nicht, Sir. Und ich mag es auch nicht, daß Mrs. Baylock mit dem Jungen dort hingeht.«

»Sagen Sie ihr, sie solle es nicht tun«, entgegnete Thorn. »Wir haben doch den schönen Garten, in dem sie sich aufhalten können.«

*

An jenem Nachmittag tat Horton, was man ihm gesagt hatte. Er sah seine Vermutung bestätigt, daß irgend etwas im Haus nicht stimmte. An diesem Abend suchte ihn Mrs. Baylock im Salon auf und drückte ihm ihr Mißfallen aus, daß sie sich von einem Hausangestellten Vorschriften machen lassen müsse.

»Es ist nicht so, daß ich Befehle nicht befolge«, sagte sie indigniert. »aber ich erwarte, daß man sie mir direkt gibt.«

»Mir ist der Unterschied nicht ganz klar«, meinte Thorn, und er war ziemlich bestürzt über den wütenden Blick, den Mrs. Baylock ihm zuwarf.

»Es ist bloß der Unterschied zwischen einem großen Haus und einem kleinen Haus, Mr. Thorn. Ich habe das Gefühl, daß hier keiner für etwas verantwortlich ist.«

Sie drehte sich auf den Hacken um und ließ ihn stehen. Thorn fragte sich, was sie wohl gemeint haben mochte. Soweit es den Haushalt betraf, war doch Katherine diejenige, die die Verantwortung trug. Aber schließlich war er jeden Tag unterwegs. Vielleicht hatte Mrs. Baylock ihm damit angedeutet, daß es im Haus nicht so war, wie es sein sollte? Ob Katherine sich nicht genug um alles kümmerte? Vielleicht hatte sie das gemeint.

*

In seinem Zimmer in dem sechsstöckigen Mietshaus in Chelsea betrachtete Haber Jennings die wachsende Serie der Thorn-Porträts, die an der Wand der Dunkelkammer hingen. Da waren die düsteren Bilder von der Beerdigung, die Großaufnahme des Hundes zwischen den Grabsteinen, der Bildausschnitt, der deutlich den Jungen zeigte. Außerdem hingen da die Bilder der Geburtstagsparty: Katherine, wie sie das Kindermädchen beobachtete. Das Kindermädchen im Clownskostüm. Beide allein. Es war das letzte Bild, das ihn am meisten interessierte, denn über dem Kopf des Kindermädchens war eine schadhafte Stelle – eine fotografische Unvollkommenheit vielleicht, aber doch irgendwie sehr sonderbar. Vielleicht war es wirklich nur ein Fehler in der Emulsion des Films, und trotzdem … sah es nicht wie ein Schleier über dem Kopf des Mädchens aus? Fast wie ein Heiligenschein? Oder wie ein böses Omen? Gewöhnlich warf er fehlerhafte Bilder weg – dies hier wollte er aufbewahren.

Er wußte ja, was unmittelbar nach der Aufnahme geschehen war, und so bekam diese Stelle eine nahezu symbolische Bedeutung – ein gestaltloses, deutlich sichtbares Vorzeichen des Verhängnisses.

Die letzte Fotografie zeigte die Leiche, die an einem Seil hing: eine erschütternde Realität, die die Montage vervollständigte.

Alles in allem war diese Thorn-Serie eine einzige Galerie des Makabren. Ein dicker Fisch für Jennings! Er hatte nichts anderes getan, als Leute aufzunehmen, die auch die Seiten von Good Housekeeping schmückten, und er hatte irgend etwas ganz Besonderes in ihnen entdeckt; etwas, das noch keiner vorher gefunden hatte. Bereits früher, als ihm der Gedanke gekommen war, sich auf diese Weise um die Thorn-Familie zu kümmern, hatte er eine Verbindung in Amerika dazu benutzt, um weitere Informationen über ihren Background zu ergattern.

So hatte er herausgefunden, daß Katherine ein Abkömmling einer russischen Emigrantenfamilie war und daß ihr natürlicher Vater Selbstmord begangen hatte. Nach einem alten Bericht in der Minneapolis Times war der Herr Papa vom Dach eines Bürohauses in Minneapolis gesprungen. Einen Monat später war Katherine zur Welt gebracht, und innerhalb eines Jahres hatte ihre Mutter wieder geheiratet. Sie war inzwischen mit dem neuen Ehemann, der dem Kind seinen Namen gegeben hatte, nach New Hampshire gezogen.

In den wenigen Interviews, die Katherine in den letzten Jahren gegeben hatte, war der Stiefvater niemals erwähnt worden, und Jennings hatte das Gefühl, daß sie die Wahrheit selbst nicht genau wußte. Es war nicht wichtig, doch es spornte Jennings nur noch zu größerer Neugier an. Wenn es auch nicht mehr als ein kleines Häppchen war, so verstärkte es doch die Illusion, nun richtig in der Sache drin zu sein.

Was ihm bisher noch fehlte, war eine Aufnahme des Herrn Botschafters, und Jennings hoffte, daß er Thorn morgen doch noch erwischte, denn morgen fand eine bedeutende Hochzeit in der All Saints Church statt, bei der die Thorn-Familie ohne Zweifel anwesend sein würde. Es war nicht recht nach Jennings Geschmack, aber bis jetzt hatte er Glück gehabt, und vielleicht blieb es ihm auch diesmal treu.

*

Am Tag vor der Hochzeit machte sich Thorn von seinen üblichen Sonnabendarbeiten in der Botschaft frei. Er fuhr mit Katherine hinaus aufs Land. Noch rätselte er erfolglos an ihrem merkwürdigen Streit und an jener seltsamen Liebesnacht, die diesem Streit gefolgt war, herum. Er wollte mit Kathie einmal ganz allein sein. Vielleicht konnte er nun ergründen, was da eigentlich los war.

Thorn schien die richtige Entscheidung getroffen zu haben, denn zum erstenmal seit Wochen wirkte Kathie völlig entspannt. Sie genoß diese Fahrt in vollen Zügen. Sie hielt Jeremys Hand, als sie auf der abwechslungsreichen Strecke durch die zauberhafte Landschaft gondelten.

Am frühen Nachmittag erreichten sie das Shakespeare-Städtchen Stratford upon Avon. Hier besuchten sie eine Vorstellung des König Lear. Kathie war wie gebannt. Das Spiel rührte sie zu Tränen. Des alten Lear Schlußmonolog, jene erschütternde Klage über den Tod seines Kindes, hatte alle ergriffen: »Kein, kein Leben? – Ein Hund, ein Pferd, ’ne Maus soll Leben haben, und du nicht einen Hauch …« Noch lange nach der Vorstellung mußte Thorn seine Frau damit trösten, daß alles am Ende ja nur Spiel war – Theater!

Schließlich kehrten sie zu ihrem Wagen zurück und fuhren weiter. Fest umklammerte Katherine Jeremys Hand. Das erschütternde Spiel hatte eine Intimität zwischen ihnen geschaffen, die sie in ihren Beziehungen lange nicht mehr gespürt hatten. Nun zeigte sich, wie verwundbar sie war, und als sie hielten, begann sie wieder zu weinen. Sie sprach von ihren Ängsten, von der Furcht, Damien zu verlieren. Sie sagte, falls ihm irgend etwas passiere, wolle auch sie nicht mehr weiterleben.

»Du wirst ihn doch nicht verlieren, Kathy«, sagte Jeremy zärtlich. »So grausam kann das Leben nicht sein.«

Zum erstenmal seit langer Zeit hatte er sie wieder Kathy genannt, und es war, als ob der Name die Distanz auslöschte, die während der vergangenen Monate zwischen ihnen gewesen war.

Unter einem riesigen Eichbaum machten sie Rast. Kathys Stimme war beim Rauschen des ruhig dahinfließenden Stroms kaum vernehmbar.

»Ich hab’ solche Angst«, flüsterte sie.

»Aber du brauchst doch vor nichts und niemandem Angst zu haben.«

»Doch, ich fürchte mich … vor allem.«

Plötzlich hatte sie einen Junikäfer entdeckt. Sie beobachtete ihn, wie er sich einen Weg durchs hohe Gras suchte.

»Was hast du zu befürchten, Katherine?«

»Was haben wir nicht zu befürchten?«

Er starrte sie an und wartete darauf, daß sie weitersprach.

»Ich habe Angst um das Gute, weil es mir aus den Händen gleiten könnte … ich habe Angst vor dem Bösen, weil ich zu schwach bin, um mich dagegen wehren zu können. Ich fürchte deinen Erfolg, und ich fürchte dein Versagen. Und ich habe die Befürchtung, daß ich weder gegen das eine noch gegen das andere etwas tun kann. Ich habe Angst, du könntest Präsident der Vereinigten Staaten werden, Jeremy … und ich befürchte, daß du eine Frau hast, die deiner nicht würdig ist.«