Mafiakonflikt hindeutete. Und doch war während dieser zehn Tage etwas geschehen; etwas, das Tanner betraf.
Er nahm den Hörer ab und drückte den Knopf, der ihn mit seiner Sekretärin verband.»Ist das alles? Sonst hat niemand angerufen?«
«Niemand, den Sie zurückrufen sollen. Ich habe allen gesagt, daß Sie erst Ende der Woche wieder im Büro sein würden. Manche sagten, Sie würden dann anrufen, die anderen melden sich am Montag.«
«Lassen Sie es auch so. Wenn irgend jemand anruft, ich bin Montag wieder da.«
Er legte den Hörer auf die Gabel und schloß die zweite Schublade seines Schreibtischs auf, in der er eine kleine Kartei mit Kärtchen im Format drei mal fünf Zoll aufbewahrte. Die Mittelmeer-Klienten.
Er stellte das kleine Kästchen vor sich auf die Tischplatte und fing an, die Karten durchzublättern. Vielleicht würde ein Name eine Erinnerung auslösen, etwas, das er vergessen hatte und das jetzt vielleicht eine Bedeutung erlangte.
Sein privates Telefon klingelte. Nur Betty rief auf dieser Leitung an; sonst hatte niemand die Nummer. Joe liebte seine Frau, aber sie besaß eine geradezu geniale Begabung dafür, ihn mit Belanglosigkeiten zu behelligen, wenn er nicht gestört werden wollte.»Ja, Liebes?«Schweigen.
«Was ist, Honey? Ich bin sehr beschäftigt. «Seine Frau sagte immer noch nichts. Plötzlich hatte Cardone Angst. Außer Betty hatte niemand diese Nummer!
«Betty? Antworte doch!«
Als die Stimme kam, klang sie langsam, tief und präzise.»John Tanner ist gestern nach Washington geflogen. Da Vinci ist sehr beunruhigt. Vielleicht haben Ihre Freunde in Kalifornien Sie betrogen. Sie waren mit Tanner in Kontakt. «Joe Cardone hörte das Klicken, als das Telefon auf der anderen Seite der Leitung aufgelegt wurde.
Jesus! Jesus Christus! Die Ostermans waren es! Die hatten die Seiten gewechselt!
Aber warum? Das gab keinen Sinn! Welche Verbindung konnte es zwischen Zürich und der Mafia geben, etwas, das auch nur andeutungsweise mit der Mafia zu tun hatte? Dazwischen lagen doch Lichtjahre!
Aber war das wirklich so? Oder benutzte das eine das andere? Cardone versuchte sich zu beruhigen, aber das war unmöglich. Er ertappte sich dabei, wie er das kleine Blechkästchen zerdrückte.
Was konnte er tun? Mit wem konnte er sprechen? Mit Tanner selbst? O Gott, natürlich nicht! Den Ostermans? Bernie Osterman? Herrgott, nein! Nicht jetzt. Tremayne. Dick Tremayne.
Kapitel 8
Dienstag — 10.10 Uhr
Zu erregt, um sich in eine Bank im Saddle Valley Expreß zwängen zu können, beschloß Tremayne, mit dem Wagen nach New York zu fahren.
Als er auf der Route Five in östlicher Richtung auf die George Washington Brücke zuraste, fiel ihm im Rückspiegel ein hellblauer Cadillac auf. Als er nach links auf die Überholspur abbog und an den anderen Wagen vorbeiraste, folgte ihm der Cadillac. Als er wieder auf die rechte Bahn zurückkehrte und sich in den langsameren Verkehrsfluß hineinzwängte, tat es ihm der Cadillac gleich — immer ein paar Wagen hinter ihm.
An der Brücke näherte er sich einer Mautkabine und sah, daß der Cadillac auf einer schnelleren Spur mit ihm gleichzog. Er versuchte, den Fahrer auszumachen.
Es war eine Frau. Sie wandte das Gesicht ab; er konnte nur ihren Hinterkopf sehen. Und doch wirkte sie auf unbestimmte Weise vertraut.
Der Cadillac jagte davon, ehe er weiter nachdenken konnte. Der Verkehr nahm ihm jede Chance, ihm zu folgen. Er war sicher, daß der Cadillac ihn verfolgt hatte, aber ebenso sicher war, daß die Fahrerin nicht erkannt werden wollte.
Warum? Wer war sie?
War diese Frau >Blackstone<?
Er stellte fest, daß es ihm unmöglich war, im Büro irgend etwas zustande zu bringen. Er sagte die paar Verabredungen ab, die er getroffen hatte, und sah sich statt dessen die Aufzeichnungen über die letzten Firmenübernahmen durch, die er erfolgreich durch die Gerichte gebracht hatte. Besonders interessierte ihn eine Akte: The Cameron Woolens. Drei Fabriken in einer kleinen Stadt in Massachusetts, die seit Generationen der Familie Cameron gehört hatten. Der älteste Sohn hatte versucht, sie von innen heraus an sich zu ziehen. Ein Erpresser hatte ihn dazu gezwungen, seinen Anteil an der Gesellschaft an eine Bekleidungskette in New York zu verkaufen, die behauptete, sie interessiere sich für die Marke Cameron.
Sie bekamen sie und schlössen die Fabriken; die Stadt ging bankrott. Tremayne hatte die Bekleidungskette vor den Gerichten in Boston vertreten. Die Familie Cameron hatte eine Tochter. Eine unverheiratete Frau, Anfang Dreißig. Selbstbewußt, hartnäckig, verärgert.
Eine Frau hatte den Cadillac gesteuert. Eine Frau, etwa in den richtigen Jahren.
Und doch — jetzt eine Person auswählen, hieß, viele andere Möglichkeiten abzutun. Die Leute, die sich für Firmenübernahmen interessierten, wußten, wen sie anrufen sollten, wenn juristische Situationen etwas kompliziert wurden. Tremayne! Er war der Fachmann. Ein vierundvierzigjähriger Zauberkünstler, der sich in den neuen juristischen Gegebenheiten auskannte, der alte Paragraphen auf dem förmlich explodierenden Gebiet der Zusammenschlüsse einfach beiseite fegte.
War die Frau in dem hellblauen Cadillac die Cameron-Tochter gewesen?
Wie sollte er das wissen? Es gab so viele. Die Camerons. Die Smythes aus Atlanta. Die Boyntons aus Chicago. Die Fergusons aus Rochester. Die Übernahmespezialisten machten sich an die alten Familien heran, die Familien mit Geld. Die alten Familien mit Geld ließen es sich gut gehen; sie waren die idealen Zielobjekte. Wer unter ihnen mochte Blackstone sein?
Tremayne erhob sich aus seinem Sessel und ging ziellos in seinem Büro herum. Er konnte das Eingeschlossensein nicht länger ertragen; er mußte hinaus.
Was Tanner wohl sagen würde, wenn er ihn anrief und ihm vorschlug, gemeinsam den Lunch einzunehmen? Wie würde Tanner reagieren? Würde er annehmen, ganz beiläufig vielleicht? Würde er ablehnen? Würde es möglich sein — falls Tanner annahm —, irgend etwas zu erfahren, das mit der Warnung Blackstones in Verbindung stand?
Tremayne griff zum Telefon und wählte. Sein rechtes Augenlid zuckte, fast tat es weh.
Tanner saß in einer Besprechung. Tremayne war erleichtert; es war ohnehin unsinnig gewesen. Er hinterließ keine Nachricht und eilte aus seinem Büro.
An der Fifth Avenue bog ein Checker Taxi genau vor ihm in die Kreuzung und versperrte ihm den Weg.
«Hey, Mister!«Der Fahrer streckte den Kopf zum Fenster hinaus.
Tremayne fragte sich — ebenso wie ein paar andere Fußgänger
— wen er wohl meinte.
Sie sahen einander an.
«Sie, Mister! Heißen Sie Tremayne?«
«Ich? Ja…«
«Ich hab' eine Nachricht für Sie.«
«Für mich? Wie haben Sie…?«
«Ich muß mich beeilen, die Ampel schaltet gleich um, und ich hab' zwanzig Eier dafür bekommen. Ich soll Ihnen sagen, Sie sollen auf der Vierundfünfzigsten Straße nach Osten gehen. Gehen Sie einfach so lange, bis Sie Mr. Blackstone treffen.«
Tremayne legte dem Fahrer die Hand auf die Schulter.»Wer hat Ihnen das gesagt? Wer hat Ihnen…«
«Was weiß ich denn? Da sitzt so 'n Knilch seit halb zehn hinten in meiner Karre, und ich laß die Uhr laufen. Er hat 'nen Feldstecher und raucht dünne Zigarren.«
Das >Don't Walk<-Zeichen begann zu blinken.
«Was hat er gesagt! — Hier!«Tremayne griff in die Tasche und holte ein paar Geldscheine heraus. Er gab dem Fahrer einen Zehner.»Hier. Und jetzt sagen Sie es mir, bitte!«
«Was ich gesagt habe, Mister. Er ist vor ein paar Sekunden ausgestiegen und hat mir zwanzig Eier gegeben und gesagt, ich soll Ihnen sagen, Sie sollten auf der Vierundfünfzigsten nach Osten gehn. Das ist alles.«