Joe trieb Spielchen. Das Zucken über Tremaynes linkem Auge nahm ihm fast die Sicht.
Kapitel 9
Dienstag — 7.00 Uhr
Tanner konnte nicht schlafen, er ging in sein Arbeitszimmer, und die grauen Scheiben der drei Fernsehgeräte zogen seinen Blick an. Etwas Totes, Leeres war in ihnen. Er zündete sich eine Zigarette an und setzte sich auf die Couch. Dann dachte er über Fassetts Instruktionen nach: ruhig bleiben, nichts zu Ali sagen. Das hatte Fassett einige Male wiederholt.
Die einzig wirkliche Gefahr würde sich dann einstellen, wenn Ali zur falschen Person etwas Falsches sagte. Gefahr für Ali. Aber Tanner hatte seiner Frau nie etwas vorenthalten. Er war nicht sicher, ob er es schaffen würde. Die Tatsache, daß sie immer offen zueinander waren, war die stärkste Bindung in ihrer starken Ehe. Selbst wenn sie sich stritten, gab es da nie die Waffe unausgesprochener Anklagen. Alice McCall hatte als Kind davon genug gehabt.
Aber Omega würde ihr Leben verändern, zumindest für die nächsten sechs Tage. Das mußte er akzeptieren, weil Fassett gesagt hatte, daß es für Ali so am besten sein würde.
Die Sonne war inzwischen aufgegangen. Der Tag begann, und die Cardones, die Tremaynes und die Ostermans würden bald unter Druck stehen. Tanner fragte sich, was sie tun würden, wie sie reagieren würden. Er hoffte, daß alle drei Ehepaare Kontakt zu den Behörden suchen und damit beweisen würden, daß Fassett unrecht hatte. Dann würde wieder die Vernunft einziehen.
Aber es war möglich, daß der Wahnsinn gerade begonnen hatte. Wie auch immer, er würde zu Hause bleiben. Wenn Fassett recht hatte, würde er da sein, bei Ali und den Kindern. Über diese Entscheidung hatte Fassett keine Kontrolle.
Er würde Ali glauben lassen, daß er sich eine Grippe zugezogen hatte. Er würde telefonisch mit seinem Büro in Verbindung bleiben und seine Familie nicht verlassen.
Sein Telefon klingelte regelmäßig; Fragen aus seinem Büro. Ali und die Kinder beklagten sich, daß das dauernde Klingeln des Telefons sie verrückt machte, also zogen sich alle drei zum Pool zurück. Abgesehen von ein paar Wolken am Mittag war es ein heißer Tag — ideal zum Schwimmen. Der weiße Streifenwagen fuhr ein paarmal am Haus vorbei. Am Sonntag hatte das Tanner beunruhigt. Jetzt war er dankbar. Fassett hielt sein Wort.
Wieder klingelte das Telefon.»Ja, Charlie. «Er machte sich gar nicht erst die Mühe, hello zu sagen.
«Mr. Tanner?«
«Oh, entschuldigen Sie. Ja, hier spricht John Tanner.«
«Hier Fassett…«
«Augenblick!«Tanner sah zum Fenster hinaus, um sich zu vergewissern, daß Ali und die Kinder noch am Pool waren. Das waren sie.
«Was ist, Fassett? Haben Sie angefangen?«
«Können Sie reden?«
«Ja… Haben Sie etwas in Erfahrung gebracht? Hat einer von ihnen die Polizei angerufen?«
«Negativ. Wenn das geschieht, verständigen wir Sie sofort. Das ist aber nicht der Grund meines Anrufes… Sie haben etwas äußerst Dummes getan. Ich kann gar nicht genug betonen, wie unvorsichtig das war.«
«Wovon reden Sie?«
«Sie sind heute morgen nicht ins Büro gegangen…«
«Allerdings nicht!«
«Aber in Ihrer normalen Routine darf es keinen Bruch geben. Keine Änderung Ihrer üblichen Zeitabläufe. Das ist schrecklich wichtig. Sie müssen zu Ihrem eigenen Schutz unseren Anweisungen folgen.«»Sie verlangen zuviel!«
«Hören Sie mir zu. Ihre Frau und Ihre Kinder befinden sich in diesem Augenblick im Swimming Pool hinter Ihrem Haus. Ihr Sohn Raymond ist nicht zu seiner Tennisstunde gegangen…«
«Das habe ich ihm gesagt. Ich habe gesagt, er solle den Rasen mähen.«
«Ihre Frau hat sich Lebensmittel ins Haus liefern lassen, und das ist ebenfalls nicht üblich.«
«Ich habe ihr erklärt, ich würde sie vielleicht brauchen, um ein paar Notizen aufzunehmen. Das wäre nicht das erste…«
«Worauf es ankommt, ist, daß Sie bisher nicht getan haben, was Sie gewöhnlich tun. Es ist von entscheidender Wichtigkeit, daß Sie Ihre Alltagsroutine beibehalten. Das kann ich nicht eindringlich genug betonen. Sie dürfen nicht, Sie dürfen unter keinen Umständen Aufmerksamkeit auf sich ziehen.«
«Ich passe auf meine Familie auf. Ich denke, das ist verständlich.«
«Das tun wir auch. Viel wirksamer als Sie das können. Wir haben kein Mitglied Ihrer Familie auch nur eine Sekunde aus den Augen gelassen. Ich muß mich verbessern. Sie auch nicht. Sie sind zweimal in Ihre Einfahrt gegangen: um neun Uhr zweiunddreißig und um elf Uhr zwanzig. Ihre Tochter hatte eine Freundin zum Mittagessen da, Joan Loomis, acht Jahre alt. Wir sind äußerst gründlich und äußerst vorsichtig.«
Tanner griff nach einer Zigarette und zündete sie sich mit dem Schreibtisch-Feuerzeug an.»Ja, ich denke, das sind Sie.«
«Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen. Für Sie und Ihre Familie besteht keine Gefahr.«
«Wahrscheinlich nicht. Ich glaube, daß Sie alle verrückt sind. Keiner von ihnen hat etwas mit diesem Omega zu tun.«
«Das ist möglich. Aber wenn wir recht haben, werden sie nichts unternehmen, ohne weiter zu prüfen. Sie werden nicht in Panik geraten, dafür steht zu viel auf dem Spiel. Und wenn sie weiter prüfen, werden sie sich sofort gegenseitig beargwöhnen. Geben Sie ihnen um Himmels willen keinen Anlaß, das nicht zu tun. Gehen Sie Ihren Geschäften nach, als ob nichts geschehen wäre. Das ist enorm wichtig. Niemand kann Ihrer Familie etwas zuleide tun. Er käme nicht nahe genug heran.«
«Also gut. Sie überzeugen mich. Aber ich bin heute morgen dreimal in meiner Einfahrt gewesen, nicht zweimal.«
«Nein, das waren Sie nicht. Das dritte Mal blieben Sie unter der Garagentür stehen. Sie haben die Einfahrt nicht betreten. Außerdem war es nicht morgens, es war um zwölf Uhr vierzehn. «Fassett lachte.»Fühlen Sie sich jetzt besser?«
«Ich wäre ein Lügner, wenn ich das nicht zugäbe.«
«Sie sind kein Lügner. Wenigstens im allgemeinen nicht. Das geht eindeutig aus Ihrer Akte hervor. «Wieder lachte Fassett. Selbst Tanner lächelte.
«Sie sind unmöglich, das wissen Sie. Ich gehe morgen ins Büro.«
«Wenn das alles vorbei ist, müssen Sie und Ihre Frau mal mit mir und meiner Frau einen Abend zusammen verbringen. Ich glaube, es würde ein netter Abend. Ich komme für die Getränke auf: Dewars White Label mit viel Soda für Sie und Scotch on the Rocks mit einem Spritzer Wasser für Ihre Frau.«
«Du lieber Gott? Wenn Sie jetzt noch anfangen, unser Sexualleben… «
«Lassen Sie mich nachsehen… «
«Gehen Sie zum Teufel«, lachte Tanner erleichtert.»Auf den Abend komme ich zurück.«
«Sollten Sie auch. Wir würden uns gut verstehen.«
«Sagen Sie den Tag, und wir kommen.«
«Das mache ich am Montag. Ich melde mich. Sie haben die Notrufnummer für die Zeit außerhalb der Bürostunden. Zögern Sie nicht anzurufen.«
«Wird gemacht. Ich bin morgen im Büro.«
«Fein. Und tun Sie mir einen Gefallen. Sehen Sie keine weiteren Programme über uns vor. Meine Chefs mochten das letzte nicht.«
Tanner erinnerte sich. Das Programm, auf das Fassett sich bezog, war eine Woodward Show gewesen. Der Verfasser hatte sich den Titel Caught in the Act* für die Buchstaben CIA ausgedacht. Das lag fast genau ein Jahr zurück.»Es war nicht schlecht«, schmunzelte er.
«Aber auch nicht gut. Ich hab' es gesehen. Ich wollte darüber lachen, aber ich brachte es nicht fertig. Ich war mit dem Direktor zusammen — in seinem Wohnzimmer. Caught in the Act! Jesus!«Wieder lachte Fassett, was Tanner mehr beruhigte, als er für möglich gehalten hätte.
«Danke, Fassett.«
Tanner legte den Hörer auf und drückte seine Zigarette aus. Fassett war ein gründlicher Profi, dachte er. Und Fassett hatte recht. Niemand konnte an Ali und die Kinder heran. Wer weiß, vielleicht hatte das CIA sogar Scharfschützen in den Bäumen versteckt. Für ihn blieb genau das, was Fassett gesagt hatte: nichts. Er mußte einfach seinen Geschäften wie üblich nachgehen. Kein Bruch der Routine, keine Abweichung von der Norm. Er hatte das Gefühl, die Rolle jetzt spielen zu können. Der Schutz, der ihm und seiner Familie geboten wurde, war alles, was Fassett zugesagt hatte.