«Fahr zurück nach D.C., Jim… Ja, freilich kannst du das. Okay. Wir sehen uns im Camp. «Grover legte auf und ging an den Kartentisch zurück.
«Was kann Jim >freilich< tun?«fragte Fassett.
«Den Rolls in Maryland abgeben. Er meint, Cardone hätte sich die Nummer notiert.«
«Gut. Und die Familie Cäsar?«
«Prima vorbereitet«, unterbrach Cole.»Sie können es gar nicht erwarten, von Guiseppe Ambruzzio Cardione zu hören. Ganz wie der Vater, und überhaupt nicht wie der Sohn.«
«Was soll das bedeuten?«Grover hielt sein Feuerzeug unter die Zigarette.
«Der alte Cäsar hat sich auf unredliche Weise ein Dutzend Vermögen verdient. Sein ältester Sohn arbeitet im Büro des Generalstaatsanwaltes und führt einen fanatischen Feldzug gegen die Mafia.«
«Der will wohl die Sünden der Familie wegwaschen?«
«So etwas ähnliches.«
Fassett ging ans Fenster und blickte auf die weite Fläche des südlichen Central Park hinunter. Als er weitersprach, war seine Stimme ganz leise, klang aber so befriedigt, daß seine Begleiter lächeln mußten.
«Alles läuft wie am Schnürchen. Jeder hat seinen kleinen Schock bekommen. Die sind alle verwirrt und verstört. Keiner von ihnen weiß, was er tun oder mit wem er reden soll. Jetzt bleiben wir ruhig und beobachten sie. Wir lassen sie vierundzwanzig Stunden in Ruhe. In völliger Ruhe… Und Omega hat keine Wahl. Omega muß handeln.«
Kapitel 13
Mittwoch — 10.15
Es war viertel nach zehn, bis Tanner sein Büro erreichte. Es war ihm fast unmöglich gewesen, sein Haus zu verlassen, aber er wußte, daß Fassett recht hatte. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und sah sich geistesabwesend seine Post und die verschiedenen Hausmitteilungen an. Jeder wollte einen sprechen. Keiner wollte ohne seine Zustimmung eine Entscheidung treffen.
Er nahm das Telefon und wählte New Jersey.
«Hello, Ali?«
«Tag, Honey. Hast du was vergessen?«
«Nein… Nein. Ich wollte nur deine Stimme hören. Was machst du?«
Auf Orchard Place 22, Saddle Valley, New Jersey, lächelte Alice Tanner. Ein Gefühl der Wärme durchzog sie.»Was ich mache? Nun, ich beaufsichtige der Anweisung des großen Paschas gemäß den Sohn der beiden, wie er den Keller saubermacht. Und ebenfalls gemäß Anweisung des großen Paschas verbringt seine Tochter einen heißen Julivormittag damit, Lesen zu üben. Wie sollte sie sonst vor Erreichen des zwölften Lebensjahres die Aufnahmeprüfung nach Berkeley schaffen?«
Tanner spürte die Anklage, die in diesen Worten lag. Als seine Frau ein junges Mädchen gewesen war, hatte sie oft einsame, schreckliche Sommertage verbracht. Ali wollte, daß es Janet nicht auch so ging.
«Nun, übertreib's nicht. Laß ein paar Kinder rüberkommen.«
«Das mach ich vielleicht. Aber Nancy Loomis hat angerufen und gefragt, ob Janet zum Mittagessen kommen kann…«
«Ali…«Tanner nahm den Hörer in die linke Hand.»Ich würde mich auf ein paar Tage bei den Loomis ein wenig rar machen… «
«Was soll das heißen?«
John erinnerte sich seiner täglichen Zugfahrten mit Jim Loomis.»Jim hat da so ein kleines Aktienmanöver vor. Eine Menge Leute im Zug wollen mitmachen. Wenn ich ihm bis nächste Woche aus dem Weg gehen kann, kann ich mich da raushalten.«»Was sagt Joe?«
«Er weiß nichts davon. Loomis möchte nicht, daß Joe etwas erfährt. Hausrivalität, denke ich.«
«Ich sehe nicht ein, daß es etwas damit zu tun hat, wenn Janet… «»Ist aber besser so. Wir haben das Geld nicht, auf das er aus ist.«
«Das kannst du zweimal sagen!«
«Und — tu mir einen Gefallen. Bleib heute in der Nähe des Telefons.«
Alice sah unwillkürlich den Hörer an, den sie in der Hand hielt.»Warum?«
«Ich kann jetzt nichts sagen, aber ich erwarte einen wichtigen Anruf. Wovon wir immer geredet haben…«
Alice Tanner senkte unwillkürlich ihre Stimme und lächelte.»Jemand hat dir etwas angeboten!«
«Könnte sein. Die wollen mich zu Hause anrufen und eine Verabredung zum Mittagessen mit mir treffen.«
«Oh, John. Wie aufregend!«
«Es könnte interessant sein. «Plötzlich schmerzte es ihn, mit ihr zu sprechen.»Wir reden später noch mal.«
«Klingt herrlich, Darling. Ich drehe die Glocke auter. So laut, daß man sie in New York hören kann.«
«Ich ruf dich später an.«
«Dann kannst du mir ja Einzelheiten erzählen.«
Tanner legte den Hörer langsam auf die Gabel. Die Lügen hatten angefangen… Aber seine Familie würde zu Hause sein.
Er wußte, daß er sich jetzt um seine Arbeit kümmern mußte. Fassett hatte ihn gewarnt. Es durfte keinen Bruch in seinem normalen Verhalten geben, und der Normalzustand für einen Nachrichtenchef war ein Zustand, der fast der Hysterie nahe kam. Und Tanner war bei Standard Mutual dafür bekannt, daß er Schwierigkeiten unter Kontrolle bekommen konnte. Wenn es je in seinem Berufsleben eine Zeit gab, in der er Chaos vermeiden mußte, dann war diese Zeit jetzt da.
Er nahm den Telefonhörer ab.»Norma. Ich lese Ihnen jetzt die Liste der Leute vor, die ich heute morgen empfange, und Sie rufen sie an. Sagen Sie jedem, daß ich nicht viel Zeit habe, und geben Sie keinem mehr als fünfzehn Minuten, wenn ich es nicht ausdrücklich sage. Es wäre gut, wenn jeder seine Probleme und Vorschläge jeweils auf eine halbe Schreibmaschinenseite zusammenfassen würde. Das können Sie denen ja sagen. Ich habe hier noch ziemlich viel auf dem Tisch.«
Damit war er bis nach halb eins beschäftigt. Dann schloß er seine Tür und rief seine Frau an.
Niemand meldete sich.
Er ließ das Telefon fast zwei Minuten lang klingeln, bis die Abstände zwischen den einzelnen Klingelsignalen länger und länger zu werden schienen.
Keine Antwort am Telefon — dem Telefon, dessen Glocke so laut eingestellt war, daß man sie in New York hören konnte.
Es war zwölf Uhr fünfunddreißig. Ali ging wahrscheinlich davon aus, daß zwischen zwölf und halb zwei niemand anrufen würde. Wahrscheinlich hatte sie etwas aus dem Supermarkt gebraucht. Oder sie hatte beschlossen, mit den Kindern auf ein paar Hamburger in den Club zu fahren. Oder sie hatte Nancy Loomis nicht abweisen können und Janet zum Mittagessen hinübergebracht. Oder sie war in die Bücherei gefahren — Ali pflegte an den Sommernachmittagen häufig am Pool zu liegen und zu lesen.
Tanner versuchte sich Ali bei all diesen Dingen vorzustellen. Daß sie das eine oder das andere oder einiges oder gar alles tat.
Er wählte wieder, und wieder meldete sich niemand. Er rief den Club an.
«Tut mir leid, Mr. Tanner. Wir haben sie draußen ausrufen lassen. Mrs. Tanner ist nicht da.«
Die Loomis. Natürlich, sie war zu den Loomis gegangen.
«Hello, John. Alice hat gesagt, Janet hätte sich den Magen verdorben. Vielleicht ist sie mit ihr zum Arzt gefahren.«
Um acht Minuten nach eins hatte John Tanner weitere zweimal zu Hause angerufen. Das letzte Mal hatte er das Telefon fast fünf Minuten lang klingeln lassen. Er malte sich aus, wie Ali atemlos zur Tür herein gerannt kam und wartete ein weiteres Klingelzeichen ab, hoffte, daß sie abnehmen würde.
Aber es geschah nicht.
Immer wieder sagte er sich, daß er sich albern verhielt. Er selbst hatte den Streifenwagen hinter ihnen gesehen, als Ali ihn zum Bahnhof fuhr. Fassett hatte ihn gestern davon überzeugt, daß seine Wachhunde gründlich waren.
Fassett.
Er nahm den Hörer ab und wählte die Nummer, die Fassett ihm für Notfälle gegeben hatte. Es war eine Nummer in Manhattan.
«Grover…«
Wer? dachte Tanner.
«Hello? Hello? — Hier spricht George Grover.«
«Mein Name ist John Tanner. Ich versuche, Laurence Fassett zu erreichen.«
«Oh, hello, Mr. Tanner. Ist etwas? Fassett ist nicht da. Kann ich Ihnen helfen?«