«Sind Sie ein Kollege von Fassett?«
«Ja, das bin ich, Sir.«
«Ich kann meine Frau nicht erreichen. Ich habe ein paarmal anzurufen versucht. Sie meldet sich nicht.«
«Vielleicht ist sie aus dem Haus gegangen. Ich würde mir da keine Sorgen machen. Sie wird überwacht.«
«Sind Sie da ganz sicher?«
«Natürlich.«
«Ich habe sie gebeten, in der Nähe des Telefons zu bleiben. Sie dachte, ich erwarte einen wichtigen Anruf…«
«Ich nehme Verbindung mit unseren Männern auf und rufe Sie dann gleich wieder an. Das wird Sie beruhigen.«
Tanner legte auf. Plötzlich war es ihm peinlich, daß er angerufen hatte. Aber fünf Minuten verstrichen, und sein Telefon klingelte nicht. Er wählte Fassetts Nummer, aber sie war besetzt. Er legte schnell wieder auf und fragte sich, ob
Grover nicht gerade versucht hatte, ihn anzurufen. So mußte es sein. Er würde es gleich wieder versuchen.
Aber sein Apparat klingelte nicht.
Tanner nahm den Hörer auf und wählte langsam und sorgfältig, vergewisserte sich, daß jede Ziffer stimmte.
«Grover.«
«Hier ist Tanner. Ich dachte, Sie wollten gleich zurückrufen!«»Tut mir leid, Mr. Tanner. Wir haben da ein Problem. Nichts, worüber Sie sich Sorgen zu machen brauchten.«
«Was verstehen Sie unter Problem?«
«Den Kontakt mit unseren Außendienstleuten herzustellen. Das ist nicht ungewöhnlich. Schließlich können wir nicht erwarten, daß sie jede Sekunde in der Nähe des Autotelefons sind. Wir werden sie in Kürze erreichen und Sie dann zurückrufen.«
«Das genügt mir nicht!«John Tanner knallte den Hörer auf die Gabel und sprang auf. Gestern nachmittag hatte Fassett ihm ihre Bewegungen in allen Einzelheiten geschildert — bis zu den präzisen Vorgängen zum Zeitpunkt seines Telefonanrufs. Und jetzt konnte dieser Grover keinen der Männer erreichen, die angeblich seine Familie bewachten. Was hatte Fassett gesagt?
«Wir haben dreizehn Agenten in Saddle Valley…«
Und Grover konnte keinen einzigen von ihnen erreichen.
Dreizehn Männer und keiner war zu erreichen!
Er ging zur Türe.»Ich muß dringend weg, Norma. Passen Sie bitte auf mein Telefon auf. Wenn ein gewisser Grover anruft, sagen Sie ihm, ich wäre nach Hause gefahren.«
SADDLE VALLEY GEGRÜNDET 1862 Willkommen
«Und wohin jetzt, Mister?«
«Geradeaus. Ich zeige es Ihnen.«
Das Taxi erreichte den Orchard Drive, sie waren jetzt nur noch zwei Straßen von seinem Haus entfernt; Tanners Puls hämmerte. Immer wieder malte er sich den Kombi in der Einfahrt aus. Noch eine Biegung, und er würde ihn sehen können — wenn er da war. Wenn er da war, würde alles in Ordnung sein. Herrgott! Laß doch alles in Ordnung sein!
Der Kombi stand nicht in der Einfahrt.
Tanner sah auf die Uhr.
Zwei Uhr fünfundvierzig. Viertel vor drei! Und Ali war nicht da!» Links. Das Haus mit den Holzschindeln.«
«Ein schönes Haus, Mister. Wirklich schön.«
«Schnell!«
Das Taxi bog in die Einfahrt. Tanner zahlte und riß die Tür auf. Er wartete den Dank des Fahrers nicht ab.
«Ali! Ali!«Tanner rannte durch den Wäscheraum, um in der Garage nachzusehen.
Nichts. Der kleine Triumph stand dort.
Stille.
Und doch war da etwas. Ein Geruch. Ein schwacher, Übelkeit erregender Geruch, den Tanner nicht unterbringen konnte.
«Ali! Ali!«Er rannte zur Küche zurück und sah durch das Fenster den Pool. O Gott! Er starrte die Wasseroberfläche an und rannte zur Hoftüre. Das Schloß hatte sich verklemmt, er warf sich dagegen, riß den Riegel ab und rannte hinaus.
Gott sei Dank! Im Wasser war nichts!
Sein kleiner Welsh-Terrier regte sich im Schlaf. Die Leine des Tieres war mit einer Öse an einem gespannten Drahtseil befestigt, und er fing sofort mit seiner scharfen, hysterisch klingenden Stimme zu bellen an.
Er rannte ins Haus zurück zur Kellertüre.
«Ray! Janet! Ali!«
Stille. Nur das unablässige Bellen des Hundes draußen.
Er ließ die Kellertür offen und rannte zur Treppe.
Hinauf!
Er nahm jeweils ein paar Stufen mit einem Satz; die Türen zu den Kinderzimmern und dem Gästezimmer standen offen. Die Türe zu seinem und Alis Schlafzimmer war verschlossen.
Und dann hörte er es. Den leisen Klang eines Radios. Alis Uhrenradio mit der automatischen Abschaltvorrichtung, die das Radio zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb einer Stunde abschaltete. Er und Ali benutzten immer diese Abschaltvorrichtung, wenn sie das Radio benutzten, nie den gewöhnlichen Schalter. Es war eine Angewohnheit. Und Ali war seit zweieinhalb Stunden nicht mehr da. Jemand anderer hatte das Radio eingeschaltet.
Er öffnete die Tür.
Da war niemand.
Er wollte schon kehrtmachen und die restlichen Räume des Hauses durchsuchen, als er es sah. Ein Zettel mit roten Farbstiftbuchstaben darauf neben dem Uhrenradio.
Er trat an den Nachttisch.
Ihre Frau und Ihre Kinder haben eine unerwartete Fahrt gemacht. Sie finden sie bei einem alten Bahnhof an der Lassiter Road.
In seiner Panik erinnerte Tanner sich an den alten aufgegebenen Bahnhof. Er stand mitten im Wald, an einer selten benutzten Nebenstraße.
Was hatte er getan? Um Gottes willen, was hatte er getan? Er hatte sie umgebracht! Wenn das so war, würde er Fassett umbringen! Grover umbringen! Alle umbringen, die hätten aufpassen sollen!
Er rannte aus dem Schlafzimmer, die Treppe hinunter in die Garage. Die Tür stand offen, und er sprang in den Sitz des Triumph und ließ den Motor an.
Tanner jagte den kleinen Sportwagen durch die Einfahrt, fegte durch die lange Kurve des Orchard Drive und versuchte sich zu erinnern, was der schnellste Weg nach Lassiter Road war. Er erreichte einen Teich, Lassiter Lake, wie er sich erinnerte. Die Bewohner von Saddle Valley benutzten ihn im Winter zum
Eislaufen. Lassiter Road lag auf der anderen Seite und schien in einem ziemlich verwilderten Waldstreifen zu verschwinden.
Er hielt das Gaspedal niedergedrückt, fing an, auf sich selbst einzureden, dann zu schreien.
Ali! Ali! Janet! Ray!
Die Straße war kurvig. Blinde Flecken, Kurven, Sonnenstrahlen, die zwischen den dicht beieinanderstehenden Bäumen hindurchblitzten. Es gab keine anderen Fahrzeuge, überhaupt keine Spuren von Leben.
Plötzlich tauchte der alte Bahnhof vor ihm auf. Und da war auch sein Kombi — auf dem verwahrlosten Parkplatz, umgeben von hohem Gras. Tanner trat neben dem Kombi auf die Bremsen. Niemand war zu sehen.
Er sprang aus dem Triumph und rannte auf den Kombi zu.
Im nächsten Augenblick verlor er die Kontrolle über sein Bewußtsein. Das Schreckliche war Wirklichkeit. Das Unglaubliche war geschehen.
Auf dem Boden vor der vorderen Sitzbank saß seine Frau. Zusammengesunken, reglos. Und hinten die kleine Janet und sein Sohn. Die Köpfe unten, reglos auf die roten Sitzpolster drapiert. Herrgott! Herrgott! Es war geschehen! Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er zitterte am ganzen Körper.
Er riß die Türe auf, schrie vor Schrecken auf, und plötzlich schlug ihm ein Geruch entgegen, derselbe Übelkeit erregende Geruch, den er in seiner Garage wahrgenommen hatte. Er packte Alis Kopf und zog sie in die Höhe, so erschreckt, daß all seine Empfindungen wie gelähmt waren.
«Ali! Ali! Mein Gott! Bitte! Ali!«
Seine Frau schlug langsam die Augen auf. Sie blinzelte. Bei Bewußtsein und doch nicht bei Bewußtsein. Sie bewegte de Arme.
«Wo… wo? Die Kinder!«Sie zog das Wort hysterisch in die Länge. Ihr Schrei riß Tanner in die Wirklichkeit zurück, ließ ihn wieder mit seinen Sinnen eins werden. Er sprang auf und griff über den Sitz nach seinem Sohn und seiner Tochter.
Sie bewegten sich. Sie lebten! Sie lebten alle!
Ali stieg aus dem Kombi und sank zu Boden. Ihr Mann hob seine Tochter vom Rücksitz und hielt sie fest, als sie zu weinen anfing.