Am Fenster fiel Ali ein leichter Lichtreflex, vielleicht auch nur ein Wechsel in der Helligkeit auf. Sie drehte den Kopf. Was sie sah, ließ sie erstarren. Draußen auf dem Rasen, höchstens sechs Fuß vom Fenster entfernt, stand Betty Cardone in einem weißen Badeanzug, in das blau-grüne Licht des Swimmingpools gehüllt.
Betty hatte gesehen, was sich zwischen Alice und ihrem Mann zugetragen hatte. Das verrieten ihre Augen Ali.
Joes Frau starrte durch das Fenster, und ihr Blick war grausam. Die vollen Töne des jungen Sinatra erfüllten die warme Sommernacht, während die vier Ehepaare um den Pool saßen. Einer nach dem anderen — aber jeder einzeln, John Tanner hatte das Gefühl, daß sie das nie zu zweien taten — ließen sie sich ins Wasser fallen und paddelten träge hin und her.
Die Frauen redeten von der Schule und den Kindern, während die Männer am gegenüberliegenden Poolrand etwas weniger leise von der Börse, von Politik und der unergründlichen Wirtschaft redeten.
Tanner saß am Sockel des Sprungbretts, in der Nähe von Joe. Er hatte ihn noch nie so betrunken gesehen, und es lohnte sich, ihn zu betrachten. Wenn irgend jemand von den Leuten, die um den Pool saßen, oder vielleicht alle, zu Omega gehörten, dann war Joe das schwächste Glied. Er würde als erster zerbrechen.
Kleine Streitgespräche entwickelten sich, flackerten auf und erloschen wieder. Einmal, wurde Joes Stimme zu laut, und Betty reagierte schnell, aber leise.
«Du bist betrunken, lieber Mann. Sei vorsichtig.«
«Joe ist schon in Ordnung, Betty«, sagte Bernie und schlug Cardone aufs Knie.»Heute war es in New York scheußlich heiß, erinnerst du dich?«
«Du warst doch auch in New York, Bernie«, antwortete Ginny Tremayne und ließ die Füße ins Wasser hängen.»War es wirklich so scheußlich heiß?«
«Scheußlich, Liebste. «Das war Dick, der quer über den Pool hinweg seiner Frau die nicht für ihn bestimmte Frage beantwortete.
Tanner sah, wie Osterman und Tremayne Blicke tauschten. Das bezog sich auf Cardone, aber er, Tanner, hätte das nicht wahrnehmen sollen. Dann stand Dick auf und fragte, wer sein Glas nachgefüllt haben wolle.
Nur Joe beantwortete die Frage mit ja.
«Ich hol's schon«, sagte Tanner.
«Nein, zum Teufel«, erwiderte Dick.»Paß du lieber auf deine Ballspielerin auf. Ich werde das Mädchen jetzt ohnehin anrufen. Wir haben ihr gesagt, sie soll um eins zurück sein, jetzt ist es fast zwei. Man muß da wirklich aufpassen.«
«Du bist ein gemeiner Vater«, sagte Leila.
«Solange ich nur nicht Großvater bin. «Tremayne ging über das Gras auf die Küchentüre zu.
Ein paar Sekunden herrschte Schweigen, dann begannen die Frauen wieder ihr leichtes Gespräch, und Bernie ließ sich über den Beckenrand ins Wasser gleiten.
Joe Cardone und Tanner sagten nichts.
Einige Minuten später kam Dick mit zwei Gläsern aus der Küchentür.»Hey, Ginny! Peg war richtig sauer, daß ich sie geweckt habe. Was hältst du davon?«
«Ich denke, daß ihr Begleiter sie gelangweilt hat.«
Tremayne ging auf Cardone zu und gab ihm sein Glas.»Bitteschön, Mister Fullback.«*
* [Verteidiger beim Footballspiel. Anm. d. Ü.]
«Ein verdammter Halfback** war ich. Richtig fertiggemacht hab' ich deinen verdammten Levi Jackson in Yale!«
** [Läufer, Anm. d. Ü.]
«Sicher. Aber ich habe mit Levi gesprochen. Er hat gesagt, daß die dich jederzeit fertigmachen konnten. Sie brauchten bloß >Tomatensauce< zu rufen, und schon bist du ins Aus gerannt!«»Das ist vielleicht komisch! Abgemurkst hab' ich diesen schwarzen Schweinehund!«
«Erhält auch sehr viel von dir«, sagte Bernie und lächelte über den Poolrand.
«Und ich halte viel von dir, Bernie! Und Dick auch!«Cardone erhob sich schwerfällig.»Von euch allen halte ich viel.«
«Hey, Joe…«Tanner stieg vom Sprungbrett.
«Wirklich, Joe, du solltest dich hinsetzen«, riet Betty.»Sonst kippst du um.«
«Da Vinci!«
Es war nur ein Name, aber Cardone brüllte ihn förmlich hinaus. Und dann noch einmal.
«Da Vinci… «Er zog es in die Länge, daß es ganz italienisch klang.
«Was soll das denn bedeuten?«fragte Tremayne.
«Das möchte ich auch wissen!«brüllte Cardone durch die angespannte Stille, die den Pool umgab.
«Er ist verrückt«, sagte Leila.
«Er ist total betrunken, wenn ich das sagen darf«, fügte Ginny hinzu.
«Da wir — zumindest ich — dir nicht sagen können, was ein da Vinci ist, möchtest du uns das vielleicht erklären«, meinte Bernie leichthin.
«Hört auf! Aufhören sollt ihr!«Cardone ballte die Fäuste und öffnete sie dann wieder.
Osterman stieg aus dem Wasser und ging auf Joe zu. Die Hände hingen ihm locker herunter.»Beruhige dich doch, Joe. Bitte… Ganz ruhig.«
«Zürichchchch!«Der Schrei kam von Joe Cardone und war meilenweit zu hören, dachte Tanner. Jetzt passiert es! Er hatte es gesagt!
«Was meinst du, Joe?«Tremayne trat zögernd einen Schritt auf Cardone zu.
«Zürich! Das meine ich!«
«Das ist eine Stadt in der Schweiz! Was zum Teufel soll das?«Osterman stand Cardone gegenüber und sah ihn an; er würde jetzt nicht locker lassen.»Sag uns, was du meinst!«
«Nein!«Tremayne packte Osterman an der Schulter.
«Rede nicht mit mir«, schrie Cardone.»Du bist doch derjenige, der…«
«Hört auf! Ihr alle!«Betty stand auf der Betonfläche am Ende des Pools. Tanner hätte es nie für möglich gehalten, daß von Cardones Frau soviel Kraft ausgehen könnte.
Aber sie war da. Die drei Männer lösten sich voneinander wie geprügelte Hunde. Die Frauen sahen Betty an, und dann gingen Leila und Ginny weg, während Ali reglos und ohne zu verstehen dastand.
Jetzt schlüpfte Betty wieder in die Rolle der weichen VorstadtHausfrau, die sie zu sein schien.»Ihr benehmt euch alle kindisch, und ich weiß, daß es für Joe jetzt Zeit ist, nach Hause zu gehen.«
«Ich… Ich denke, wir sollten alle noch einen kleinen Schlummertrunk nehmen, Betty«, sagte Tanner.»Was meinst du?«
«Aber mach den für Joe ganz leicht«, antwortete Betty und lächelte.
«Die anderen auch«, meinte Bernie.
«Ich hole sie. «Tanner ging auf die Türe zu.»Kommen alle rein?«
«Augenblick, Johnny!«Das war Cardone, ein breites Grinsen im Gesicht.»Ich bin hier der unartige Junge, also laß mich helfen. Außerdem muß ich mal für kleine Jungs.«
Tanner ging vor Cardone in die Küche. Er war verwirrt. Als Joe das Wort» Zürich «geschrien hatte, hatte er erwartet, daß alles vorbei sein würde. Zürich war der Schlüssel, der den
Zusammenbruch hätte auslösen müssen. Aber es passierte nicht.
Statt dessen passierte das Gegenteil.
Alles war wieder unter Kontrolle, und das ging von der unwahrscheinlichsten Stelle aus, die man sich vorstellen
konnte, von Betty Cardone.
Plötzlich war hinter ihm ein Krachen zu hören. Tremayne stand unter der Tür und blickte auf den gestürzten Cardone hinunter.
«Well. Ein Muskelberg aus Princeton ist soeben umgekippt! Schaffen wir ihn in meinen Wagen. Ich bin heute abend der Chauffeur.«
Umgekippt? Tanner glaubte das nicht. Cardone war schon betrunken. Aber dem Zusammenbruch war er keineswegs nahe.
Kapitel 20
Die drei Männer kleideten sich schnell an und verfrachteten den torkelnden, zusammenhanglos redenden Cardone auf den Vordersitz von Tremaynes Wagen. Betty und Ginny nahmen hinten Platz. Tanner beobachtete die ganze Zeit Joes Gesicht, besonders die Augen, ob dort irgend etwas darauf deutete, daß der andere sich verstellte. Aber da war nichts zu sehen. Und doch stimmte da etwas nicht, dachte er; an Cardones übertriebenen Bewegungen war zuviel Präzision. Setzte Joe sein Schweigen ein, um die anderen zu prüfen, fragte er sich?