«Ali, schaff sie ins Speisezimmer! Bleibt auf dem Boden!«befahl Tanner.»Bernie, du hast keine Waffe, oder?«
«Tut mir leid, habe nie eine gehabt.«
«Ich auch nicht. Ist das nicht komisch? Ich war immer dagegen, daß man sich Waffen kauft. Das ist so verdammt primitiv.«
«Was werden wir jetzt tun?«Leila gab sich Mühe, ruhig zu bleiben.
«Wir werden hier verschwinden«, antwortete Tanner.»Die Schüsse kommen von den Büschen. Aber der Heckenschütze weiß nicht, ob wir bewaffnet sind oder nicht. Er wird nicht von vorne das Feuer aufnehmen. Zumindest glaube ich das nicht. Auf dem Orchard Drive kommen verhältnismäßig oft Wagen durch. Wir zwängen uns jetzt alle in den Kombi und sehen, daß wir hier verschwinden.«
«Ich öffne die Tür«, sagte Osterman.
«Für einen einzigen Nachmittag hast du genug den Helden gespielt. Jetzt bin ich dran… Wenn wir es richtig einteilen, gibt es überhaupt keine Probleme. Die Tür geht schnell auf.«
Sie krochen in die Garage.
Die Kinder lagen im hinteren Teil des Kombis zwischen den Koffern, beengt aber geschützt. Leila und Ali kauerten sich hinter den Vordersitz auf den Boden. Osterman saß am Steuer, und Tanner stand neben der Garagentür, bereit, sie hochzuziehen.
«Los jetzt, laß den Motor an!«Er würde warten, bis der Motor auf Touren lief und dann das Tor öffnen und in den Wagen springen. Es gab keine Hindernisse. Der schwere Wagen würde an dem kleinen Triumph vorbeirollen und dann die Einfahrt hinunterrasen.
«Los Bernie! Laß ihn endlich an!«
Aber Osterman öffnete seine Tür und stieg aus. Er sah Tanner an.
«Tot.«
Tanner drehte den Zündschlüssel im Triumph. Der Motor reagierte nicht. Osterman klappte die Motorhaube des Kombi auf und winkte John heran. Die beiden Männer sahen den Motor an, Tanner hielt ein Streichholz.
Jeder einzelne Draht war abgezwickt worden.
«Kann man diese Tür von außen öffnen?«fragte Bernie.
«Ja. Sofern nicht abgesperrt ist.«
«War sie das?«
«Nein.«
«Hätten wir sie öffnen gehört?«
«Wahrscheinlich nicht bei dem Regen.«
«Dann ist es möglich, daß jemand hier drinnen ist.«
Die beiden Männer blickten zu der schmalen Toilettentüre. Sie war geschlossen. Das einzige Versteck in der Garage.»Holen wir sie raus«, flüsterte Tanner.
Ali, Leila und die beiden Kinder gingen ins Haus zurück. Bernie und John sahen sich an den Garagenwänden nach irgendwelchen Gegenständen um, die als Waffen dienen konnten. Tanner nahm schließlich eine verrostete Axt, Osterman einen Spaten. Beide Männer näherten sich der verschlossenen Tür.
Tanner gab Bernie ein Zeichen, sie aufzuziehen. Tanner rannte vor und hielt die Axt zum Schlag bereit.
Der kleine Raum war leer. Aber an die Wand war mit schwarzer Sprühfarbe der griechische Buchstabe Omega geschmiert.
Kapitel 25
Tanner drängte sie alle in den Keller. Ali und Leila schafften die Kinder über die Treppe hinunter und machten dabei den matten Versuch, das Ganze als Spiel erscheinen zu lassen. Tanner hielt Osterman an der Treppentüre auf.
«Wir wollen ein paar Hindernisse aufbauen, okay?«
«Meinst du, daß es dazu kommen wird?«
«Ich will einfach kein Risiko eingehen.«
Die beiden Männer krochen unter dem Fenster hindurch und schoben drei schwere Armsessel, einen über dem anderen, den dritten auf der Seite liegend, gegen die Haustüre. Dann krochen sie zu den Fenstern, um sicherzustellen, daß sie verriegelt waren.
Tanner holte eine Taschenlampe aus der Küche und steckte sie ein. Dann schoben sie gemeinsam den schweren Tisch gegen die Außentür. Tanner schob Osterman die Aluminiumstühle hin, worauf dieser sie unter den Tisch packte, so, daß die Rückenlehne eines Stuhles unter die Türklinke geklemmt war.
«So taugt das nichts«, sagte Bernie.»Du dichtest ja alles ab und schließt uns völlig ein. Wir sollten uns aber vielmehr überlegen, wie wir hier wegkommen!«
«Hast du dir das überlegt?«
Bei der schwachen Beleuchtung konnte Osterman nur die Silhouette von Tanners Körper sehen. Dennoch spürte er die Verzweiflung in seiner Stimme.
«Nein. Nein, das habe ich nicht. Aber wir müssen es versuchen!«
«Ich weiß. Aber inzwischen sollten wir alle Vorsichtsmaßregeln treffen. Wir wissen nicht, was dort draußen ist. Wie viele das sind oder wo sie stecken.«
«Dann laß uns weitermachen.«
Die beiden Männer krochen ans andere Ende der Küche, vorbei an der Anrichte, bis zum Garageneingang. Die äußere Garagentüre war versperrt worden, aber sie schoben trotzdem als zusätzliche Sicherheit den letzten Küchenstuhl unter den Türgriff und krochen dann in den Flur zurück. Sie nahmen ihre primitiven Waffen — die Axt und den Spaten — und gingen in den Keller hinunter.
Man konnte den schweren Regen auf die kleinen rechteckigen Fenster herunterprasseln hören, die dem Keller Licht verschafften. Immer wieder erhellten Blitze den Raum.
«Hier drinnen ist es trocken«, meinte Tanner.»Wir sind sicher. Wer auch immer dort draußen lauert, ist bis auf die Haut naß und wird nicht die ganze Nacht dort bleiben. Es ist Samstag. Ihr wißt ja, daß die Polizei am Wochenende dauernd Streife fährt. Sie werden sehen, daß hier kein Licht brennt, und nachsehen kommen.«
«Warum sollten sie das?«fragte Ali.»Die werden einfach glauben, wir wären Essen gegangen…«
«Nicht nach dem, was letzte Nacht passiert ist. MacAuliff hat klar und eindeutig gesagt, daß er das Haus im Auge behalten würde. Seine Streifenwagen können nicht bis in den Hinterhof sehen, aber die Vorderfront wird ihnen auffallen. Sie müssen… Da schau!«Tanner packte seine Frau am Ellbogen und führte sie zu dem einzigen Vorderfenster, das genügend weit über der Erde lag, so daß man neben der Eingangstreppe hinaussehen konnte. Der Regen rann in dünnen Rinnsalen über die Glasscheibe; man konnte nur schlecht sehen. Selbst die Straßenlaterne am Orchard Drive war nicht die ganze Zeit sichtbar. Tanner holte die Taschenlampe heraus und winkte Osterman zu sich.»Ich habe Ali gerade gesagt, daß MacAuliff heute morgen versprochen hat, er würde das Haus beobachten lassen. Das wird er auch. Er will keinen weiteren Ärger hier haben. Wir wechseln uns an diesem Fenster ab. Auf diese Weise können keinem die Augen müde werden oder anfangen, ihn zu täuschen. Sobald einer von uns den Streifenwagen sieht, geben wir mit der Taschenlampe Signale — auf und ab. Das werden sie sehen. Dann halten sie an.«
«Das ist gut«, sagte Bernie.»Das ist sogar sehr gut! Ich wünschte, du hättest das oben schon gesagt!«
«Ich war nicht sicher. Komisch, aber ich konnte mich nicht erinnern, ob man von diesem Fenster aus die Straße sehen kann. Ich habe bestimmt hundertmal hier unten saubergemacht, aber ich wußte das einfach nicht mit Bestimmtheit. Er lächelte ihnen zu.
«Jetzt fühle ich mich besser«, sagte Leila und gab sich große Mühe, Johns Zuversicht auch auf die anderen zu übertragen.
«Ali, du übernimmst die erste Schicht. Jeder fünfzehn Minuten. Bernie, du und ich, wir wechseln uns zwischen den anderen Fenstern ab. Leila, bleib du bitte in Janets Nähe, ja?«
«Was kann ich tun, Dad?«fragte Raymond.
Tanner sah seinen Sohn an, war stolz auf ihn.
«Bleib bei deiner Mutter am vorderen Fenster. Du beziehst dort dauernd Posten. Schau nach dem Polizeiwagen aus.«
Tanner und Osterman gingen zwischen den beiden Fenstern am Hinterende des Hauses und dem an der Seite hin und her. Nach fünfzehn Minuten wechselte Leila Ali am Vorderfenster ab. Ali fand eine alte Decke, aus der sie eine Liegestatt bereitete, so daß Janet sich hinlegen konnte. Der Junge blieb mit Leila am Fenster, spähte hinaus und rieb immer wieder mit der Hand über das Glas, als könne er so das Wasser draußen wegwischen.
Keiner sagte ein Wort; das Trommeln des Regens und die Windstöße schienen zuzunehmen. Jetzt war Bernie dran. Als er seiner Frau die Taschenlampe abnahm, drückte er sie ein paar Sekunden lang an sich.