Tanner konnte das Vibrieren spüren, als die Kugeln gegen die Wand über ihm krachten und rings um ihn abprallten.
Sperrfeuer!
Er hielt den Axtstiel mit beiden Händen umkrampft und warf sich nach vorne durch das Fenster, begriff voll und ganz, daß jede einzelne Kugel jetzt seinem Leben ein Ende machen konnte. Aber niemand würde es beenden können, ehe er sein Ziel erreicht hatte. Nichts konnte ihn daran hindern!
Er erreichte das Seitenfenster und schwang die Axt schräg hinein. Ein erschreckter Schrei folgte; Blut schoß durch die Öffnung. Tanners Gesicht und Arme waren mit Blut bedeckt.
Das Gewehr im Vorderfenster versuchte, in Tanners Richtung zu zielen, aber das war unmöglich. Die Kugeln trafen den Boden.
Osterman rannte auf das andere Gewehr zu, hielt den Spaten an der Schulter. Im letzten Augenblick schleuderte er ihn durch die Umrisse der zerbrochenen Glasscheibe, als wäre er ein Wurfspieß. Ein Schmerzensschrei; das Feuer verstummte.
Tanner stützte sich gegen die Wand unter dem Fenster. In den Blitzen draußen konnte er das Blut über die Steine rinnen sehen.
Er lebte, und das war für sich allein betrachtet schon bemerkenswert.
Er drehte sich um und ging zu seiner Frau und den Kindern zurück. Ali hielt die immer noch schreiende Janet im Arm. Der Junge hatte sein Gesicht gegen die Wand gedreht und weinte unkontrolliert.
«Leila! Herrgott! Leila!«Bernies hysterischer Schrei ließ das Schlimmste befürchten.»Leila, wo bist du?«
«Hier bin ich«, sagte Leila leise.»Mir fehlt nichts, Darling.«
Tanner fand Leila an der vorderen Mauer. Sie war seiner Anweisung nicht nachgekommen, Deckung zu suchen.
Und dann sah Tanner etwas, das ihm trotz seiner Erschöpfung auffiel. Leila trug eine große, grüne Brosche — sie war ihm vorher nicht aufgefallen. Er sah sie jetzt ganz deutlich, denn sie leuchtete in der Finsternis. Ein irisierendes Leuchten, es handelte sich um eines dieser Modeschmuckstücke, wie sie in Boutiquen verkauft wurden. Es war unmöglich, sie in der Finsternis zu übersehen.
Ein schwacher Blitz erleuchtete die Mauer hinter ihr. Tanner war nicht sicher, aber er hatte kaum Zweifeclass="underline" Rings um sie waren keine Einschußspuren.
Tanner hielt seine Frau und seine Tochter mit einem Arm und drückte den Kopf seines Sohnes mit dem anderen an sich. Bernie rannte zu Leila hinüber und umarmte sie. Jetzt war im Sturm das Heulen einer Sirene zu hören, der Wind trug das Geräusch durch die zerschmetterten Fenster zu ihnen.
Sie blieben bewegungslos stehen, wo sie waren, völlig ausgepumpt und am Rande ihrer Energie. Einige Minuten später hörten sie die Stimmen und das Klopfen oben.
«Tanner! Tanner! Aufmachen!«
Er ließ Frau und Sohn los und ging langsam zu dem zerbrochenen Vorderfenster.
«Hier sind wir. Hier, ihr verdammten, dreckigen Schweine!«
Kapitel 26
Tanner hatte diese beiden Streifenbeamten häufig in der Ortschaft gesehen, wenn sie den Verkehr regelten oder in ihren Streifenwagen langsam durch die Straßen rollten, aber ihre Namen kannte er nicht. Sie waren vor einem knappen Jahr eingestellt worden und jünger als Jenkins und McDermott.
Jetzt griff er an. Er stieß den ersten Polizisten unsanft gegen die Flurmauer. Das Blut an seinen Händen besudelte den Regenmantel des Beamten. Der zweite Polizist war die Kellertreppe hinuntergerannt zu den anderen.
«Herrgott, loslassen!«
«Sie dreckiges Schwein! Scheißkerl! Wir hätten… Wir wären dort unten umgebracht worden! Wir alle! Meine Frau! Meine Kinder! Warum haben Sie das getan? Antwort will ich haben, und zwar schnell!«»Verdammt, loslassen! Was getan? Was für eine Antwort, um Gottes willen?«
«Sie sind vor einer halben Stunde an diesem Haus vorbeigefahren! Sie haben die verdammte Taschenlampe gesehen und sind abgehauen! Weggerast sind Sie!«
«Sie sind verrückt! Ich war mit Ronnie im Norden! Wir haben vor nicht einmal fünf Minuten über Funk den Befehl bekommen, hierher zu fahren. Ein Ehepaar namens Scanlan hat Schüsse gemeldet…«
«Wer ist in dem anderen Wagen? Ich will wissen, wer in dem anderen Wagen ist!«
«Wenn Sie mich jetzt loslassen, dann geh' ich hinaus und hol' den Einsatzplan. Ich hab' vergessen, wer — aber ich weiß, wo sie sind. Sie sind drüben am Apple Drive. Dort ist eingebrochen worden.«
«Die Cardones wohnen am Apple Drive!«
«Das Haus der Cardones war es nicht. Das kenne ich. Needham heißen die Leute. Ein altes Ehepaar.«
Ali kam jetzt die Treppe herauf, sie trug Janet in den Armen. Das Kind würgte, rang keuchend nach Luft. Ali weinte leise und wiegte ihre Tochter in den Armen.
Ihr Sohn folgte ihr, das Gesicht vom Staub schmutzig und mit Tränen beschmiert. Anschließend kamen die Ostermans. Bernie hielt Leila an der Hüfte, stützte sie auf der Treppe. Er hielt sie fest, als würde er sie nie wieder loslassen.
Jetzt kam der zweite Streifenbeamte langsam durch die Kellertüre. Sein Gesichtsausdruck erschreckte den anderen Beamten.
«Heilige Maria, Mutter Gottes«, sagte er mit leiser Stimme.»Das reinste Schlachthaus ist das dort unten… Ich schwöre bei Gott, ich verstehe nicht, daß da noch welche am Leben sind.«»Ruf MacAuliff an. Er soll gleich herkommen.«»Die Leitung ist tot«, sagte Tanner und führte Ali behutsam zu der Couch im Wohnzimmer.
«Ich mach' es über Funk. «Der Streifenbeamte namens Ronnie ging zur Haustüre.»Er wird es mir nicht glauben«, sagte er leise.
Der andere Polizist holte einen Sessel für Leila. Sie brach förmlich in ihm zusammen und fing zum ersten Mal zu weinen an. Bernie beugte sich von hinten über seine Frau und strich ihr über das Haar. Raymond kauerte neben seinem Vater nieder, vor seiner Mutter und seiner Schwester. Er war so verstört, daß er nichts anderes tun konnte, als seinem Vater ins Gesicht zu starren.
Der Polizeibeamte ging auf die Kellertreppe zu. Es war offensichtlich, daß er hinuntergehen wollte, nicht nur aus Neugierde, sondern auch, weil die Szene im Wohnzimmer irgendwie zu persönlich war.
Die Tür öffnete sich, und der zweite Streifenbeamte beugte sich herein.»Ich hab' es Mac gesagt. Er hat den Anruf über sein Funkgerät entgegengenommen. Herrgott! Du hättest ihn hören sollen. Er kommt gleich.«
«Wie lange wird das dauern?«fragte Tanner von der Couch her.
«Nicht lange, Sir. Er wohnt etwa acht Meilen außerhalb. Und die Straßen sind in ziemlich miesem Zustand. Aber so wie seine Stimme klang, wette ich, daß es nicht lang dauern wird.«
«Ich habe ein Dutzend Beamte außen um das Grundstück herum aufgestellt und zwei Männer im Haus. Einer bleibt im Keller, der andere im Korridor. Ich weiß nicht, was ich sonst noch tun kann. «MacAuliff war mit Tanner zusammen im Keller. Die anderen waren oben. Tanner wollte den Polizeichef für sich.
«Hören Sie mir zu! Irgend jemand, einer von Ihren Leuten ist an diesem Haus vorbeigefahren und hat nicht angehalten! Ich weiß ganz genau, daß er die Taschenlampe gesehen hat! Er hat sie gesehen und ist weggefahren!«
«Das glaube ich nicht. Ich habe das überprüft. Niemand in den Streifenwagen hat hier irgend etwas entdeckt. Sie haben den Einsatzplan gesehen.«
«Ich habe gesehen, wie der Streifenwagen wegfuhr! Wo ist Jenkins? McDermott?«
«Die haben ihren freien Tag. Ich habe schon überlegt, ob ich sie holen soll.«
«Komisch, daß die am Wochenende frei haben, nicht wahr?«»Ich wechsle meine Männer an den Wochenenden ab. Wir haben genügend Leute im Einsatz, genauso wie der Stadtrat es befohlen hat.«