Das Geld strömte herein. Der Umsatz der Maklerfirma verdoppelte sich dank Joeys Freunden fast. Worthington und Bennett, Mitglieder der New Yorker Börse, wurden zu Worthington, Bennett und Cardone. Und von da war es nur ein kurzer Schritt zu Bennett-Cardone, Ltd. Cardone war seinen
Compares dankbar. Aber der Grund für seine Dankbarkeit war zugleich auch der Grund, warum er ein bißchen zusammenzuckte, wenn ein Streifenwagen zu häufig in der Nähe seines Hauses auftauchte. Denn einige wenige seiner Compares, vielleicht sogar mehr als einige wenige, standen am Rande — vielleicht sogar nicht mehr ganz am Rande — der Unterwelt.
Er beendete seine Arbeit mit den Gewichten und stieg auf seine Rudermaschine. Der Schweiß quoll ihm aus den Poren, er fühlte sich jetzt wohler. Die Bedrohung des Streifenwagens begann zu schwinden. Schließlich kehrten neunundneunzig Prozent der Saddle-Valley-Familien am Sonntag aus den Ferien zurück. Wer hatte je von jungen Leuten gehört, die an einem Mittwoch aus den Ferien zurückkehrten? Selbst wenn es so auf der Liste in der Polizeistation stand, war es durchaus möglich, daß ein gewissenhafter diensthabender Sergeant das für einen Fehler hielt und Sonntag daraus machte. Niemand kehrte am Mittwoch zurück. Mittwoch war ein Arbeitstag.
Und wer würde je ernsthaft glauben, Joseph Cardone könnte etwas mit der Cosa Nostra zu tun haben? Er war der Fleisch gewordene Beweis der Arbeitsethik. Die amerikanische Erfolgsgeschichte. Ein Princeton-All-American.
Joe zog seinen Trainingsanzug aus und ging in die Dampfkammer, die jetzt mit Dampf angefüllt war. Er setzte sich auf die Bank und atmete tief. Der Dampf wirkte reinigend. Nach fast zwei Wochen franko-kanadischer Küche bedurfte sein Körper der Reinigung.
Er lachte lauthals in seiner Dampfkammer. Es war gut, wieder zu Hause zu sein, in dem Punkt hatte seine Frau recht. Und Tremayne hatte ihm gesagt, daß die Ostermans am Freitagmorgen kommen würden. Es würde gut sein, Bernie und Leila wiederzusehen. Es waren fast vier Monate vergangen, seit er sie zuletzt gesehen hatte. Aber sie waren in Verbindung geblieben.
Zweihundertfünfzig Meilen südlich von Saddle Valley, New Jersey, liegt jener Teil der Hauptstadt der Nation, den man als
Georgetown kennt. In Georgetown ändert sich der Lebensrhythmus jeden Nachmittag um halb sechs. Vorher ist er langsam, aristokratisch, ja delikat. Nachher beschleunigt er sich
— nicht plötzlich, aber zunehmend. Die Einwohner von Georgetown, größtenteils Männer und Frauen von Macht und Wohlstand, und beidem verpflichtet, widmen sich mit großer Hingabe der Ausbreitung ihres Einflusses.
Nach halb sechs beginnen die Spiele.
Nach halb sechs ist in Georgetown die Zeit für strategische Schachzüge.
Wer ist wo? Und warum?
Mit Ausnahme des Sonntagnachmittags, wenn die Makler der Macht ihre Kreationen der vergangenen Woche überblicken und sich die Zeit nehmen, um ihre Kräfte für die nächsten sechs Tage des strategischen Spiels neu zu formieren.
Es werde Licht und es ward Licht. Es werde Ruhe und es ward Ruhe.
Nur mit der Ausnahme, daß das nicht für alle gilt.
So zum Beispiel nicht für Alexander Danforth, Berater des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Ein Berater ohne Portefeuille und ohne genau definierte Aufgaben.
Danforth war der Verbindungsmann zwischen der SicherheitsKommunikationszentrale in den unteren Stockwerken des Weißen Hauses und der Central Intellience Agency in McLean, Virginia. Er war ein Makler der Macht par excellence, weil er nie sichtbar war und doch seine Entscheidungen zu den wichtigsten in Washington zählten. Unabhängig von den Administrationen hörten alle auf seine leise Stimme. So war das seit Jahren.
An diesem Sonntagnachmittag saß Danforth mit dem stellvertretenden Administrator der Central Intelligence Agency, George Grover, unter dem Bougainvilleabaum, der Danforths kleinen Hinterhof beschattete, vor dem Fernseher. Die beiden Männer waren zu demselben Schluß wie John Tanner zweihundertfünfzig Meilen nördlich von ihnen gelangt: Charles Woodward würde morgen früh Schlagzeilen machen.
«Das Außenministerium wird einen Monatsvorrat an Toilettenpapier verbrauchen«, sagte Danforth.
«Geschieht ihnen recht. Wer nur Ashton hingeschickt hat? Er ist nicht nur dumm, er sieht sogar dumm aus. Dumm und glatt. John Tanner ist für dieses Programm verantwortlich, oder?«»Ja.«
«Raffinierter Hund. Es wäre nett, wenn man sicher wüßte, daß er auf unserer Seite steht«, sagte Grover.
«Fassett sagt ja. «Die beiden Männer tauschten Blicke.»Nun, Sie haben ja die Akte gesehen. Sind Sie nicht auch der Meinung?«
«Ja. Doch. Fassett hat recht.«
«Das hat er meistens.«
Auf dem mit Keramikplatten belegten Tisch vor Danforth standen zwei Telefone. Das eine war schwarz und mit einer Steckdose am Boden verstöpselt. Das andere war rot, und ein rotes Kabel führte ins Haus hinein. Das rote Telefon summte — es klingelte nicht. Danforth nahm ab.
«Ja… Ja, Andrews. Gut… Sehr gut. Rufen Sie Fassett an und sagen Sie ihm, daß er herüberkommen soll. Hat Los Angeles die Ostermans bestätigt? Keine Veränderung? Ausgezeichnet. Alles läuft planmäßig.«
Bernard Osterman, Absolvent des Jahrgangs 1946 der C.C.N.Y., zog das Blatt aus seiner Schreibmaschine und sah es an. Dann legte er es auf einen dünnen Stapel beschriebener Blätter und stand auf. Er ging um seinen nierenförmigen Pool herum und reichte das Manuskript seiner Frau Leila, die nackt in ihrem Liegestuhl saß.
Osterman war ebenfalls nackt.
«Weißt du, eine ausgezogene Frau wirkt in der Sonne nicht besonders attraktiv.«
«Du hältst dich wohl für einen Adonis? Gib her!«Sie nahm ihm die Blätter ab und griff nach ihrer großen Sonnenbrille.»Ist das der Schluß?«
Bernie nickte.»Wann kommen denn die Kinder nach Hause?«
«Die rufen vom Strand aus an, ehe sie nach Hause fahren. Ich habe Marie gesagt, sie sollte unbedingt anrufen. ch möchte nicht, daß Merwyn schon in seinem Alter etwas von nackten Mädchen in der Sonne erfährt. In dieser Stadt gibt es dagegen schon genügend Aversionen.«
«Da hast du recht. Lies!«Bernie sprang in den Pool. Er schwamm drei Minuten lang schnell auf und ab, bis er außer Atem war. Er war ein guter Schwimmer. In seiner Militärzeit hatte man ihn in Fort Dix zum Schwimmlehrer gemacht. Den >schnellen Juden< hatten sie ihn genannt. Aber nur hinter seinem Rücken. Er war ein drahtiger Mann, ungeheuer zäh. Wenn die C.C.N.Y. ein Football-Team gehabt hätte, wäre er sicher ihr Kapitän gewesen. Joe Cardone hatte Bernie gesagt, er hätte ihn gut in Princeton gebrauchen können.
Bernie hatte gelacht, als Joe ihm das sagte. Trotz der scheinbaren Demokratisierung, die er beim Militär erlebt hatte — und die ging nicht sehr tief —, war es Bernard Osterman, aus der Bronx, New York, Tremont Avenue, nie in den Sinn gekommen, ehrwürdige Barrieren zu überspringen und der Ivy League beizutreten. Vielleicht wäre es sogar möglich gewesen, er war intelligent und clever, und es gab immerhin die G.I.-Stipendien, aber es kam ihm überhaupt nie in den Sinn.
Er hätte sich damals dort nicht wohl gefühlt — 1946. Jetzt schon; die Dinge hatten sich verändert.
Osterman stieg die Leiter hinauf. Es war gut, daß er und Leila an die Ostküste reisten, zurück nach Saddle Valley, wo sie ein paar Tage verbringen würden. Irgendwie kam es einem immer vor wie ein kurzer, konzentrierter Kurs im angenehmen Leben. Alle sagten immer, das Leben im Osten wäre hektisch und die Leute stünden alle unter ewigem Druck — in viel stärkerem Maße, als das in Los Angeles der Fall war; aber das stimmte nicht. Das schien nur so, weil dort alles viel beengter war.
Los Angeles, sein Los Angeles, und das bedeutete Burbank, Hollywood, Beverly Hills, war da, wo man den wirklichen Wahnsinn praktizierte. Männer und Frauen, die wie verrückt zwischen den Regalen eines von Palmen gesäumten Drugstores auf und ab rannten. Und alles stand zum Verkauf, alles trug ein Etikett, und alle konkurrierten in ihren psychedelischen Hemden und orangefarbenen Hosen. Manchmal gab es Zeiten, da Bernie sich nichts sehnlicher wünschte, als jemanden in einem grauen Nadelstreifen-Anzug und einem weißen Hemd mit Krawatte zu sehen. Eigentlich hatte es nichts zu bedeuten, es kam wirklich nicht darauf an; es war ihm schnurzegal, welche Kostüme die Stämme von Los Angeles trugen. Vielleicht war es einfach nur dieser übertriebene ewige Angriff auf seinen Gesichtssinn.