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Er stand am Rande der verkommenen, von Unkraut überwucherten Parkfläche und versuchte sich zu entscheiden, wo er Posten beziehen sollte. Es war fast zwei Uhr, und er mußte ein Versteck finden. Das Stationsgebäude selbst! Vielleicht konnte er sich Zutritt verschaffen. Er machte sich auf den Weg, quer über die Kiesfläche.

Ein blinkendes Licht blitzte ihm in die Augen, seine Reflexe ließen ihn einen Satz nach vorne machen. Er rollte sich über die verwundete Schulter ab, fühlte aber keinen Schmerz. Ein kräftiger Scheinwerfer hatte die Düsternis durchstochen, die das Bahnhofsgelände einhüllte, und jetzt hallten Schüsse durch die Nacht. Kugeln bohrten sich rings um ihn in den Boden oder pfiffen ihm über den Kopf. Er rollte sich weiter, wußte, daß eine der Kugeln ihn am linken Arm getroffen hatte.

Jetzt hatte er den Rand der Kiesfläche erreicht und hob seine Pistole, richtete sie auf das blendende Licht. Er feuerte schnell in Richtung auf den Feind. Der Scheinwerfer explodierte; dann hallte ein Schrei. Tanner drückte immer wieder ab, bis das Magazin leer war. Er versuchte, mit der linken Hand in die Tasche zu greifen und einen zweiten Ladestreifen herauszuholen, mußte aber feststellen, daß er den Arm nicht bewegen konnte.

Jetzt herrschte wieder Stille. Er legte die Pistole hin und holte schwerfällig mit der rechten Hand ein Magazin heraus. Dann drehte er die Pistole herum, hielt den heißen Lauf mit den Zähnen fest und schob das frische Magazin in die Kammer, verbrannte sich dabei die Lippen.

Er wartete darauf, daß sein Feind sich bewegte, irgendein Geräusch verursachte. Aber nichts regte sich.

Langsam erhob er sich. Sein linker Arm war jetzt völlig bewegungsunfähig. Er hielt die Pistole vor sich, bereit abzudrücken, wenn sich das geringste im Gras bewegte.

Aber da war nichts.

Tanner schob sich rückwärts durch die Bahnhofstüre, hielt die Waffe in die Höhe, tastete den Boden vorsichtig mit den Füßen ab, um nicht von einem unerwarteten Hindernis zu Fall gebracht zu werden. Jetzt erreichte er die mit Brettern vernagelte Türe, wußte, daß er sich unmöglich Zugang verschaffen konnte, wenn sie zugenagelt war. Sein Körper war jetzt fast bewegungsunfähig. Er verfügte nur noch über wenig Kraft.

Trotzdem drückte er mit dem Rücken gegen die Tür, und das schwere Holz gab leicht nach, ächzte dabei laut. Tanner drehte den Kopf und sah, daß der Spalt drei oder vier Zoll breit war. Die alten Scharniere waren mit Rost verkrustet. Er warf sich mit der rechten Schulter gegen die Tür, und sie gab nach, ließ Tanner in die Finsternis stürzen, auf den verfaulenden Boden des Stationsgebäudes.

Dort blieb er ein paar Sekunden lang liegen. Die Bahnhof sture stand jetzt zu Dreiviertel offen, die obere Hälfte war aus den Angeln gebrochen. Die fünfzig Meter entfernte Straßenlaterne lieferte stumpfes Licht. Zerbrochene oder fehlende Bretter im Dach ließen etwas Helligkeit hereinfallen.

Plötzlich hörte Tanner ein ächzendes Geräusch hinter sich. Unverkennbar ein Schritt auf dem verfaulenden Boden. Er versuchte sich umzudrehen, versuchte aufzustehen. Zu spät. Etwas schmetterte ihm gegen den Schädel. Er fühlte, wie ihn Benommenheit umfing, sah aber den Fuß. Einen in Verbände gehüllten Fuß.

Als er auf dem verfaulenden Boden zusammenbrach und Schwärze ihn umfing, blickte er nach oben in ein Gesicht.

Tanner wußte, daß er Omega gefunden hatte.

Es war Laurence Fassett.

Kapitel 29

Wie lange er bewußtlos gelegen hatte, wußte er nicht. Fünf Minuten? Eine Stunde?

Er hatte keine Ahnung. Er konnte seine Uhr nicht sehen, den linken Arm nicht bewegen. Sein Gesicht berührte den zersplitterten Boden des Stationsgebäudes. Er spürte, wie das Blut langsam aus seiner Armwunde tropfte; sein Kopf schmerzte.

Fassett!

Der Manipulator.

Omega.

Wie er so dalag, huschten ihm isolierte Fragmente früherer Gespräche durch den Sinn.

>… wir sollten einmal zusammenkommen… unsere Frauen sollten zusammenkommen…<

Aber Laurence Fassetts Frau war in Ost-Berlin getötet worden. Ermordet in Ost-Berlin.

Und dann war da noch etwas. Etwas, das mit einer Woodward-Sendung zu tun hatte. Der Sendung über die CIA vor einem Jahr.

>… ich war damals in den Staaten. Ich habe die Sendung gesehen.<

Aber er war damals nicht >in den Staaten<. Fassett hatte gesagt, er wäre vor einem Jahr an der albanischen Grenze gewesen: >… fünfundvierzig Tage des Feilschens.< Im Außendienst. Das war der Grund gewesen, weshalb er mit John Tanner Verbindung aufgenommen hatte, dem soliden, über alle Zweifel erhabenen Chef der Nachrichtenredaktion von

Standard Mutual, einem Bewohner des Zielortes, Abgrund des Leders.

Es gab auch noch andere Widersprüche — keine so offensichtlichen mehr, aber es gab sie. Sie würden ihm jetzt nichts nützen. Sein Leben war im Begriff, in den Ruinen der alten Bahnstation von Lassiter ein Ende zu finden.

Er bewegte den Kopf und sah Fassett, der über ihm stand.

«Wir haben Ihnen für vieles zu danken. Wenn sie ein so guter Schütze sind, wie ich glaube, haben Sie dort draußen den perfekten Märtyrer geschaffen. Einen toten Helden. Wenn er nur verwundet ist, wird er ohnehin bald tot sein. Oh, er ist ein Teil von uns, aber selbst er würde erkennen, welch perfekten Beitrag er mit seinem Opfer leistet. Sehen Sie, ich habe Sie nämlich nicht belogen. Wir sind Fanatiker. Das müssen wir sein.«

«Was nun?«

«Wir warten auf die anderen. Ein oder zwei müßten auftauchen. Dann wird es vorbei sein. Deren Leben und das Ihre, fürchte ich. Und Washington wird sein Omega haben. Und dann wird vielleicht ein Außenagent namens Fassett eine weitere Belobigung bekommen. Wenn die nicht vorsichtig sind, machen sie mich eines Tages noch zum Direktor ihrer Operationen.«

«Sie sind ein Verräter. «Tanner spürte in dem dunklen Schatten unter seinem Rücken etwas. Es war ein lockeres Stück des Fußbodens, etwa zwei Fuß lang und ein oder zwei Zoll breit. Er setzte sich schwerfällig und unter Schmerzen auf und zog die Diele zu sich heran.

«Nach meiner Definition nicht. Ein Abtrünniger vielleicht. Kein Verräter. Wir wollen darauf nicht weiter eingehen. Sie würden meinen Standpunkt weder verstehen noch würdigen können. Wir wollen einfach sagen, daß nach meiner Ansicht Sie der Verräter sind. Sie alle. Sehen Sie sich doch um…«

Tanner schlug mit dem Stück Holz zu, ließ es mit der ganzen ihm noch verbliebenen Kraft auf den verbundenen Fuß heruntersausen. Blut brach hervor, breitete sich durch das Verbandsgewebe aus. Tanner warf sich in die Höhe, auf

Fassetts Unterleib zu, versuchte verzweifelt, die Hand mit der Waffe zu packen. Fassett schrie auf. Tanner fand mit der rechten Hand das Handgelenk des Agenten, sein linker Arm war bewegungsunfähig. Er trieb Fassett gegen die Wand, trat mit dem Absatz auf seinen verwundeten Fuß, trat immer wieder zu.

Tanner riß dem anderen die Waffe weg, und sie fiel zu Boden, glitt auf die offene Türe und den schwachen Lichtstrahl zu, der von draußen hereinfiel. Fassetts Schreie zerrissen die Stille des Stationsgebäudes, als er gegen die Wand taumelte.

John hechtete auf die Pistole zu, hob sie auf und hielt sie in der Hand. Dann stand er auf, jeder Teil seines Körpers schmerzte, und das Blut floß ihm aus dem Arm.

Fassett war kaum noch bei Bewußtsein, stöhnte vor Schmerz. Tanner wollte diesen Mann lebend, wollte Omega lebend. Aber er dachte an den Keller, an Ali und die Kinder, und so zielte er sorgfältig und feuerte zweimal, einmal in die Masse von Blut und Fleisch, die Fassetts Wunde war, und einmal in seine Kniescheibe.

Er taumelte zurück zur Türe, stützte sich am Türrahmen. Von Schmerzen gequält sah er auf die Uhr: zwei Uhr