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Vor ihm stand der Flakon mit Pelissiers Parfum. Die Flüssigkeit schimmerte goldbraun im Sonnenlicht, klar, ohne die geringste Trübung. Ganz unschuldig sah sie aus, wie heller Tee – und enthielt doch neben vier Fünfteln Alkohol ein Fünftel eines geheimnisvollen Gemisches, das eine ganze Stadt in Aufregung versetzen konnte. Dieses Gemisch wiederum mochte aus drei oder aus dreißig verschiedenen Stoffen bestehen, die in einem ganz bestimmten von unzähligen möglichen Volumenverhältnissen zueinander standen. Es war die Seele des Parfums – soweit man bei einem Parfum dieses eiskalten Geschäftemachers Pelissier von Seele reden konnte – , und ihren Aufbau galt es nun herauszufinden.

Baldini schneuzte sich sorgfältig die Nase und ließ die Jalousie am Fenster etwas herunter, denn das direkte Sonnenlicht war jedem Riechstoff und jeder feineren geruchlichen Konzentration abträglich. Aus der Schublade des Schreibtischs holte er ein frisches weißes Spitzentaschentuch und entfaltete es. Dann öffnete er den Flakon durch eine leichte Drehung des Stöpsels. Den Kopf hielt er dabei weit zurück und kniff die Nasenflügel zusammen, denn er wollte um Gottes willen nicht einen vorschnellen Geruchseindruck direkt aus der Flasche erwischen. Parfum musste in entfaltetem, luftigem Zustand gerochen werden, niemals konzentriert. Er sprenkelte einige Tropfen auf das Taschentuch, wedelte es durch die Luft, um den Alkohol davonzujagen, und hielt es sich dann unter die Nase. Mit drei ganz kurzen, ruckartigen Stößen riss er den Duft in sich hinein wie ein Pulver, blies ihn sofort wieder aus, fächelte sich Luft zu, schnüffelte noch einmal im Dreierrhythmus und nahm zum Abschluss einen ganz tiefen Atemzug, den er langsam und mehrmals verhaltend, gleichsam ihn wie über eine lange flache Treppe gleiten lassend, ausströmte. Er warf das Taschentuch auf den Tisch und ließ sich gegen die Sessellehne zurückfallen.

Das Parfum war ekelhaft gut. Dieser miserable Pelissier war leider ein Könner. Ein Meister, Gott sei's geklagt, und wenn er tausendmal nichts gelernt hatte! Baldini wünschte, es wäre von ihm, dieses >Amor und Psyche<. Es war keine Spur ordinär. Absolut klassisch, rund und harmonisch war es. Und trotzdem faszinierend neu. Es war frisch, aber nicht reißerisch. Es war blumig, ohne schmalzig zu sein. Es besaß Tiefe, eine herrliche, haftende, schwelgerische, dunkelbraune Tiefe – und war doch kein bisschen überladen oder schwülstig.

Baldini stand fast ehrfürchtig auf und hielt sich das Taschentuch noch einmal unter die Nase. »Wunderbar, wunderbar…« murmelte er und schnüffelte gierig, »es hat einen heiteren Charakter, es ist lieblich, es ist wie eine Melodie, es macht direkt gute Laune… Unsinn, gute Laune!« Und er schleuderte das Tüchlein wütend auf den Tisch zurück, wandte sich ab und ging in die hinterste Ecke des Zimmers, als schäme er sich seiner Begeisterung.

Lächerlich! Sich zu solchen Elogen hinreißen zu lassen. >Wie eine Melodie. Heiter. Wunderbar. Gute Laune.< – Blödsinn! Kindischer Blödsinn. Eindruck des Augenblicks. Alter Fehler. Temperamentsfrage. Wahrscheinlich italienisches Erbteil. Urteile nicht, solange du riechst! Das ist die erste Regel, Baldini, alter Schafskopf! Rieche, wenn du riechst, und urteile, wenn du gerochen hast! >Amor und Psyche< ist ein nicht unebenes Parfum. Ein durchaus gelungenes Produkt. Ein geschickt zusammengestelltes Machwerk. Um nicht zu sagen ein Blendwerk. Und etwas anderes als ein Blendwerk war von einem Mann wie Pelissier auch gar nicht zu erwarten. Natürlich fabrizierte ein Kerl wie Pelissier kein Dutzendparfum. Der Schurke blendete mit höchster Könnerschaft, verwirrte den Geruchssinn mit perfekter Harmonie, ein Wolf im Schafspelz klassischer Geruchskunst war dieser Mensch, mit einem Wort: ein Scheusal mit Talent. Und das war schlimmer als ein Pfuscher mit dem rechten Glauben.

Aber du, Baldini, wirst dich nicht betören lassen. Du warst nur einen Augenblick lang überrascht vom ersten Eindruck des Machwerks. Aber weiß man denn, wie es in einer Stunde riechen wird, wenn seine flüchtigsten Substanzen sich verflogen haben und sein Mittelbau hervortritt? Oder wie es heute Abend riechen wird, wenn nur noch jene schweren, dunklen Komponenten wahrzunehmen sind, die jetzt geruchlich wie im Zwielicht unter angenehmen Blütenschleiern liegen? Wart es ab, Baldini!

Die zweite Regel sagt: Das Parfum lebt in der Zeit; es hat seine Jugend, seine Reife und sein Alter. Und nur wenn es in allen drei verschiedenen Lebensaltern auf gleich angenehme Weise Duft verströmt, ist es als gelungen zu bezeichnen. Wie oft hatten wir nicht schon den Fall, dass eine Mischung, die wir machten, bei der ersten Probe herrlich frisch roch, nach kurzer Zeit nach faulem Obst und endlich nur noch ekelhaft nach reinem Zibet, das wir zu hoch dosierten. Vorsicht überhaupt mit Zibet! Ein Tropfen zu viel schafft Katastrophen. Alte Fehlerquelle. Wer weiß – vielleicht hat Pelissier zu viel Zibet erwischt? Vielleicht bleibt bis heut Abend von seinem ambitiösen >Amor und Psyche< nur noch ein Hauch von Katzenpisse übrig? Wir werden's sehn.

Wir werden's riechen. So wie ein scharfes Beil den Holzklotz in die kleinsten Scheite teilt, wird unsre Nase sein Parfum in jede Einzelheit zerspalten. Dann wird sich zeigen, dass dieser angebliche Zauberduft auf sehr normalem, wohlbekanntem Weg entstanden ist. Wir, Baldini, Parfumeur, werden dem Essigmischer Pelissier auf die Schliche kommen. Wir werden ihm die Maske von der Fratze reißen und dem Neuerer beweisen, wozu das alte Handwerk in der Lage ist. Haargenau wird es ihm nachgemischt, sein modisches Parfum. Es wird unter unsern Händen neu entstehen, so perfekt kopiert, dass es der Windhund selbst nicht mehr von seinem eignen unterscheiden kann. Nein! Das genügt uns nicht! Wir werden's noch verbessern! Wir werden ihm Fehler nachweisen und sie ausmerzen und es ihm auf diese Weise unter die Nase reiben: Du bis ein Pfuscher, Pelissier! Ein kleiner Stinker bist du! Ein Emporkömmling im Duftgewerbe, und sonst nichts!

An die Arbeit jetzt, Baldini! Die Nase geschärft und gerochen ohne Sentimentalität! Den Duft zerlegt nach den Regeln der Kunst! Bis heute Abend musst du im Besitz der Formel sein! Und er stürzte zurück an den Schreibtisch, holte Papier, Tinte und ein frisches Taschentuch heraus, legte sich alles zurecht und begann seine analytische Arbeit. Das geschah so, dass er das mit frischem Parfum getränkte Tuch rasch unter der Nase vorbeizog und aus der vorüberfliegenden Duftwolke den einen oder anderen Bestandteil aufzufangen suchte, ohne allzusehr von der komplexen Mischung aller Teile abgelenkt zu sein; um dann, während er das Taschentuch mit ausgestrecktem Arm weit von sich hielt, den Namen des gefundenen Bestandteils rasch zu notieren und hierauf neuerdings das Tuch an der Nase vorbeifliegen zu lassen, das nächste Duftfragment zu erhaschen und so fort…

13

Er arbeitete zwei Stunden lang ununterbrochen. Und immer hektischer wurden seine Bewegungen, immer fahriger das Gekrakel seiner Feder auf dem Papier, immer höher die Dosen des Parfums, das er aus dem Flakon in sein Taschentuch schüttete und sich unter die Nase hielt.

Er roch jetzt kaum noch etwas, er war längst betäubt von den ätherischen Substanzen, die er einatmete, konnte nicht einmal mehr wiedererkennen, was er zu Beginn seines Probierens zweifelsfrei analysiert zu haben glaubte. Er wusste, dass es sinnlos war, weiterzuriechen. Er würde nie herausbekommen, woraus dieses neumodische Parfum zusammengesetzt war, heute schon überhaupt nicht mehr, aber auch morgen nicht, wenn sich seine Nase, so Gott wollte, wieder erholt haben würde. Er hatte dieses zersetzende Riechen nie gelernt. Es war ihm eine unselig widerwärtige Beschäftigung, einen Duft zu zerspalten; ein Ganzes, ein gut oder weniger gut Gefügtes, aufzuteilen in seine simplen Fragmente. Es interessierte ihn nicht. Er wollte nicht mehr.