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Mit einem Mal kam eine große Zufriedenheit über ihn. Keine trunkene, wie er sie damals im Schöße des Berges bei seinen einsamen Orgien empfunden hatte, sondern eine sehr kalte und nüchterne Zufriedenheit, wie sie das Bewusstsein der eigenen Macht gebiert. Er wusste jetzt, wozu er fähig war. Mit geringsten Hilfsmitteln hatte er, dank seinem eigenen Genie, den Duft des Menschen nachgeschaffen und ihn auf Anhieb gleich so gut getroffen, dass selbst ein Kind sich von ihm hatte täuschen lassen. Er wusste jetzt, dass er noch mehr vermochte. Er wusste, dass er diesen Duft verbessern konnte. Er würde einen Duft kreieren können, der nicht nur menschlich, sondern übermenschlich war, einen Engelsduft, so unbeschreiblich gut und lebenskräftig, dass, wer ihn roch, bezaubert war und ihn, Grenouille, den Träger dieses Dufts, von ganzem Herzen lieben musste.

Ja, lieben sollten sie ihn, wenn sie im Banne seines Duftes standen, nicht nur ihn als ihresgleichen akzeptieren, ihn lieben bis zum Wahnsinn, bis zur Selbstaufgabe, zittern vor Entzücken sollten sie, schreien, weinen vor Wonne, ohne zu wissen, warum, auf die Knie sollten sie sinken wie unter Gottes kaltem Weihrauch, wenn sie nur ihn, Grenouille, zu riechen bekamen! Er wollte der omnipotente Gott des Duftes sein, so wie er es in seinen Phantasien gewesen war, aber nun in der wirklichen Welt und über wirkliche Menschen. Und er wusste, dass dies in seiner Macht stand. Denn die Menschen konnten die Augen zumachen vor der Größe, vor dem Schrecklichen, vor der Schönheit und die Ohren verschließen vor Melodien oder betörenden Worten. Aber sie konnten sich nicht dem Duft entziehen. Denn der Duft war ein Bruder des Atems. Mit ihm ging er in die Menschen ein, sie konnten sich seiner nicht erwehren, wenn sie leben wollten. Und mitten in sie hinein ging der Duft, direkt ans Herz, und unterschied dort kategorisch über Zuneigung und Verachtung, Ekel und Lust, Liebe und Hass. Wer die Gerüche beherrschte, der beherrschte die Herzen der Menschen.

Ganz gelöst saß Grenouille auf der Bank im Dom von Saint-Pierre und lächelte. Er war nicht euphorischer Stimmung, als er den Plan fasste, Menschen zu beherrschen. Es war kein wahnsinniges Flackern in seinen Augen, und keine verrückte Grimasse überzog sein Gesicht. Er war nicht von Sinnen. So klaren und heiteren Geistes war er, dass er sich fragte, warum überhaupt er es wollte. Und er sagte sich, dass er es wolle, weil er durch und durch böse sei. Und er lächelte dabei und war sehr zufrieden. Er sah ganz unschuldig aus, wie irgendein Mensch, der glücklich ist.

Eine Weile lang blieb er so sitzen, in andächtiger Ruhe, und atmete die weihrauchsatte Luft in tiefen Zügen ein. Und wieder ging ein heiteres Schmunzeln über sein Gesicht: Wie miserabel dieser Gott doch roch! Wie lächerlich schlecht doch der Duft gemacht war, den dieser Gott von sich verströmen ließ. Nicht einmal echter Weihrauchduft war es, was aus den Pfannen qualmte. Schlechtes Surrogat war es, verfälscht mit Lindenholz und Zimtstaub und Salpeter. Gott stank. Gott war ein kleiner armer Stinker. Er war betrogen, dieser Gott, oder er war selbst ein Betrüger, nicht anders als Grenouille – nur ein um so viel schlechterer!

33

Der Marquis de la Taillade-Espinasse war entzückt von dem neuen Parfum. Es sei, so sagte er, selbst für ihn als Entdecker des letalen Fluidums, verblüffend zu sehen, welch eklatanten Einfluss ein so nebensächliches und flüchtiges Ding wie ein Parfum, je nachdem, ob es aus erdverbundnen oder erdentrückten Provenienzen stamme, auf den allgemeinen Zustand eines Individuums nehme. Grenouille, der noch vor wenigen Stunden blass und einer Ohnmacht nahe hier gelegen, sehe so frisch und blühend aus wie nur irgendein gesunder Mensch seines Alters, ja, man könne sagen, dass er – mit allen Einschränkungen, die bei einem Manne seines Standes und seiner geringen Bildung angebracht seien – fast so etwas wie Persönlichkeit gewonnen habe. Auf jeden Fall werde er, Taillade-Espinasse, im Kapitel über vitale Diätetik seiner demnächst erscheinenden Abhandlung zur fluidalen Letaltheorie von dem Vorfall Mitteilung machen. Zunächst wolle er sich nun aber selbst mit dem neuen Duft parfumieren.

Grenouille händigte ihm die beiden Flakons mit dem konventionellen Blütenduft aus, und der Marquis besprengte sich damit. Er zeigte sich hochbefriedigt von der Wirkung. Ein wenig sei ihm, so gestand er, nachdem er jahrelang von dem entsetzlichen Veilchenduft wie von Blei belastet gewesen, als wüchsen ihm blütene Flügel; und wenn er nicht irre, so lasse der gräßliche Schmerz seines Knies ebenso nach wie das Sausen der Ohren; alles in allem fühle er sich beschwingt, ionisiert und um etliche Jahre verjüngt. Er ging auf Grenouille zu, umarmte ihn und nannte ihn »mein fluidaler Bruder«, hinzufügend, es handle sich dabei keineswegs um eine gesellschaftliche, sondern um eine rein spirituelle Anrede in conspectu universalitatis fluidi letalis, vor welchem – und vor welchem allein! – alle Menschen gleich seien; auch plane er – und dies sagte er, indem er sich von Grenouille löste, und zwar sehr freundschaftlich, nicht im geringsten angewidert, fast wie von seinesgleichen löste – , in Bälde eine internationale supraständische Loge zu gründen, deren Ziel es sei, das fluidum letale vollständig zu überwinden, um es in kürzester Zeit durch reines fluidum vitale zu ersetzen, und als deren ersten Proselyten Grenouille zu gewinnen er schon jetzt verspreche. Dann ließ er sich die Rezeptur für das Blütenparfum auf einen Zettel schreiben, steckte diesen zu sich und schenkte Grenouille fünfzig Louisdor.

Pünktlich eine Woche nach seinem ersten Vortrag präsentierte der Marquis de la Taillade-Espinasse seinen Schützling abermals in der Aula der Universität. Der Andrang war ungeheuer. Ganz Montpellier war gekommen, nicht allein das wissenschaftliche, auch und gerade das gesellschaftliche Montpellier, darunter viele Damen, die den sagenhaften Höhlenmenschen sehen wollten. Und obwohl die Gegner Taillades, hauptsächlich Vertreter des >Freundeskreises der botanischen Universitätsgärten< und Mitglieder des >Vereins zur Förderung der Agrikultur<, all ihre Anhänger mobilisiert hatten, wurde die Veranstaltung ein fulminanter Erfolg. Um dem Publikum Grenouilles Zustand vor Wochenfrist ins Gedächtnis zu rufen, ließ Taillade-Espinasse zunächst Zeichnungen kursieren, die den Höhlenmenschen in seiner ganzen Häßlichkeit und Verkommenheit zeigten. ann ließ er den neuen Grenouille hereinführen, im schönen samtblauen Rock und seidenen Hemd, geschminkt, gepudert und frisiert; und schon die Art, wie er ging, aufrecht nämlich und mit zierlichen Schritten und elegantem Hüftschwung, wie er ganz ohne fremde Hilfe das Podest erklomm, sich tief verbeugte, bald hier-, bald dorthin lächelnd nickte, ließ alle Zweifler und Kritiker verstummen. Selbst die Freunde der botanischen Universitätsgärten schwiegen betreten. Zu eklatant war die Veränderung, zu überwältigend das Wunder, das hier offenbar geschehen war: Wo vor Wochenfrist ein geschundenes, verrohtes Tier gekauert hatte, da stand jetzt wahrhaftig ein zivilisierter, wohlgestalter Mensch. Es breitete sich eine fast andächtige Stimmung im Saale aus, und als Taillade-Espinasse zum Vortrag anhob, herrschte vollkommene Stille. Er entwickelte abermals seine sattsam bekannte Theorie des letalen Erdfluidums, erläuterte dann, mit welchen mechanischen und diätetischen Mitteln er es aus dem Körper des Demonstranten vertrieben und durch Vitalfluidum ersetzt habe, und forderte schließlich alle Anwesenden auf, Freunde wie Gegner, angesichts solch überwältigender Evidenz den Widerstand gegen die neue Lehre aufzugeben und gemeinsam mit ihm, Taillade-Espinasse, das böse Fluidum zu bekämpfen und sich dem guten vitalen Fluidum zu öffnen. Hierbei breitete er die Arme aus und schlug die Augen gen Himmel, und viele der gelehrten Männer taten es ihm gleich, und die Frauen weinten.

Grenouille stand auf dem Podest und hörte nicht zu. Er beobachtete mit größter Genugtuung die Wirkung eines ganz anderen Fluidums, eines viel realeren: seines eignen. Er hatte sich, den räumlichen Erfordernissen der Aula entsprechend, sehr stark parfumiert, und die Aura seines Duftes strahlte, kaum dass er das Podium bestiegen hatte, mächtig von ihm ab. Er sah sie – in der Tat sah er sie sogar mit Augen! – die zuvorderst sitzenden Zuschauer erfassen, sich weiter nach hinten fortpflanzen und endlich die letzten Reihen und die Galerie erreichen. Und wen sie erfasste – das Herz im Leibe sprang Grenouille vor Freude – , den veränderte sie sichtbar. Im Banne seines Duftes, aber ohne sich dessen bewusst zu sein, wechselten die Menschen ihren Gesichtsausdruck, ihr Gehabe, ihr Gefühl. Wer ihn zunächst nur mit bassem Erstaunen beglotzt hatte, der sah ihn nun mit milderem Auge an; wer zurückgelehnt in seinem Stuhl verharrt hatte, mit kritisch gefurchter Stirn und bedeutend herabgezogenen Mundwinkeln, der lehnte sich jetzt lockerer nach vorn und bekam ein kindlich gelöstes Gesicht; und selbst in den Gesichtern der Ängstlichen, der Verschreckten, der Allersensibelsten, die seinen ehemaligen Anblick nur mit Entsetzen und seinen jetzigen immerhin noch mit gehöriger Skepsis ertragen konnten, zeigten sich Anflüge von Freundlichkeit, ja Sympathie, als sein Duft sie erreichte. Am Ende des Vertrags erhob sich die ganze Versammlung und brach in frenetischen Jubel aus. »Es lebe das vitale Fluidum! Es lebe Taillade-Espinasse! Hoch die fluidale Theorie! Nieder mit der orthodoxen Medizin!« – so schrie das gelehrte Volk von Montpellier, der bedeutendsten Universitätsstadt des französischen Südens, und der Marquis de la Taillade-Espinasse hatte die größte Stunde seines Lebens.