Satz aus dem Gehölz hervor und versperrte ihnen den Weg.
*
Jacob und Patrick O'Rourke hatten ihre Waffengurte abgelegt und umkreisten sich gegenseitig. Jeder belauerte den anderen, wartete auf dessen Angriff oder auf seine eigene Chance.
Die männlichen Auswanderer hatten einen großen Halbkreis um die beiden Kontrahenten gebildet. Die Frauen hatten die Kinder nach hinten zu den Wagen gebracht, um ihnen das »barbarische Schauspiel«, wie sie es nannten, zu ersparen.
Mit Sorge beobachtete Jacob die Männer, die sich um den Bruder seines Widersachers geschart hatten, auch sie teilweise - wie Liam O'Rourke - bewaffnet. Ihren Gesichtern und Äußerungen war zu entnehmen, daß sie auf Patrick O'Rourkes Seite standen. Es mußten die Männer sein, die sich bereitgefunden hatten, die O'Rourkes nach Kalifornien zu begleiten.
Jacob beruhigte sich mit dem Gedanken, daß auch er auf einige tatkräftige Männer zählen konnte: Sam Kelley und sein Schwager Jackson Harris, Custis Hunter und Melvin Freeman. Nur sein Freund Martin war verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.
Zu Jacob hielten viele der Männer, die schon seit ihrem Aufbruch vom Stockton Lake bei Abner Zachary gewesen waren, darunter eine Menge Schwarze. Sie waren nicht begierig auf Gold, sondern auf ein Land, das Menschen aller Hautfarben eine Heimat bot.
Die Männer, die sich um die O'Rourkes geschart hatten, waren dagegen - wie die Iren selbst - vornehmlich Leute, die sich erst unterwegs oder in Kansas City dem Treck angeschlossen hatten. Ausschließlich Weiße. Sie fühlten sich weder dem toten Abner Zachary noch ihren Mitreisenden gegenüber zu etwas verpflichtet. Für sie zählte nur ihr eigener Vorteil, den sie im möglichst raschen Reichtum zu finden hofften.
»Komm doch endlich, Greenhorn!« forderte Patrick O'Rourke Jacob mit lauter Stimme heraus. »Greif endlich an! Oder hast du Angst vor mir?«
Jacob grinste.
»Jedenfalls nicht solche Angst, daß ich laut in der Gegend herumschreie!«
Viele Männer lachten. Auch welche aus O'Rourkes eigenem Lager.
Die abstoßende Miene des Iren verfinsterte sich.
»Warte nur, Dutch, dir werd' ich's zeigen!«
Er hatte noch nicht ausgesprochen, als er schon auf Jacob zugestürmt kam. Der junge Deutsche wich dem Angriff des kräftigen, aber ein wenig schwerfälligen Iren durch einen schnellen Seitwärtsschritt aus und stellte dem Gegner ein Bein.
O'Rourke stolperte und landete im Dreck.
Wieder brandete Gelächter auf.
»Da bin ich nicht, O'Rourke«, meinte Jacob in einem fast gemütlichen Tonfall. »Ich stehe hier.«
Der Ire drehte sich zu ihm herum, stand aber zu Jacobs Verwunderung nicht auf. Wie ein Tier kauerte er auf allen vieren vor ihm und starrte ihn aus finsteren Augen an.
»Mach dich nur lustig über mich, Greenhorn. Dir wird das Lachen schon noch vergehen!«
Es sah aus, als wollte der Ire endlich aufstehen und weiterkämpfen. Aber es war ein Täuschungsmanöver. In der rechten Hand hatte er einen dicken, an ein großes Ei erinnernden Stein verborgen gehalten, den er nun auf Jacob schleuderte.
Jacob bemerkte das zu spät, um dem Stein noch ausweichen zu können. Er traf den Deutschen hart an der linken Schläfe.
Ein schwarzer Schleier legte sich vor Jacobs Gesicht, und Übelkeit stieg in ihm hoch. Jacob verlor das Gleichgewicht und stürzte auf den felsigen Boden.
Der Schleier vor seinem Gesicht riß auf und zeigte ihm in verschwommenen Bildern, daß der Ire aufstand und auf ihn zusprang. Bevor Jacob noch reagieren konnte, traf ihn O'Rourkes Stiefel am Kopf und wirbelte den Deutschen vor die Füße der Zuschauer, durch deren Reihen ein Raunen ging.
Die Übelkeit, die Jacob befallen hatte, wurde stärker. Sie ging einher mit einem schmerzhaften Hämmern in seinem malträtierten Kopf.
Wieder kam O'Rourke auf ihn zu, langsamer jetzt, seines Sieges schon gewiß und ihn auskostend.
Jacob zwang sich zu klarem Denken. Viel hing davon ab, daß er diesen Kampf gewann. Er dachte dabei nicht in erster Linie an sich, sondern an die große Schar der Auswanderer. Ein Sieg des Iren würde den Verlust jeglicher Autorität bedeuten. Aber die Menschen brauchten eine starke Hand, um in der Wildnis zu überleben. Nicht unbedingt Jacobs Hand, aber bestimmt nicht die des grobschlächtigen, selbstsüchtigen Patrick O'Rourke.
Der stand über Jacob und sah verächtlich auf ihn herunter.
»Mit dir mache ich mir doch nicht die Hände schmutzig, Greenhorn«, rief er spöttisch und riß erneut seinen Fuß hoch, um Jacob mit einem weiteren Tritt endgültig auszuschalten.
Der Deutsche hatte das kommen sehen. Blitzschnell riß er die Hände hoch und griff nach O'Rourkes Unterschenkel, in der Hoffnung, daß ihn sein verschwommener Blick nicht danebenpacken ließ. Er bekam das Bein des Iren tatsächlich zu fassen und drehte es mit aller Kraft herum.
Sein Gegner stieß einen Schrei der Überraschung aus, hing für eine Sekunde in der Luft und krachte dann schwer mit der Seite auf den Boden. Sein Schrei ging in ein schmerzhaftes Stöhnen über.
Jacob warf sich auf ihn und kam rittlings auf ihm zu sitzen. Noch immer stöhnend, drehte O'Rourke seinen kantigen Kopf zu ihm herum und sah ihn aus blutunterlaufenen Augen an. In seinem Blick lagen Schmerz und Angst, aber auch Zorn.
Dieser Zorn verlieh O'Rourke neue Kraft. Jacob hatte ihn unterschätzt und mußte jetzt dafür büßen, als der Ire plötzlich eine Faust hochriß und gegen den Kopf des Deutschen schmetterte.
Es war für Jacob wie ein Paukenschlag, der in seinem Schädel ausgelöst wurde. Der schwarze Schleier wollte sich wieder vor seine Augen legen, und die Übelkeit stieg erneut in ihm hoch. Während er noch damit beschäftigt war, gegen die beginnende Ohnmacht anzukämpfen, stieß ihn der Ire von sich weg.
Jacob rollte über den Boden, würgte die Übelkeit hinunter und schaffte es, sich auf die Knie zu erheben. Aber O'Rourke stand schon wieder auf den Beinen, wankte zwar, aber stapfte auf den jungen Deutschen zu. In seinem verzerrten Gesicht mit den aufeinandergepreßten, gebleckten Zähnen stand die wilde Entschlossenheit, Jacob endgültig den Garaus zu machen.
Jacob fühlte sich hundeelend. Er hätte sich am liebsten auf der Stelle übergeben und wäre in die erlösende Schwärze der Nacht eingetaucht, die immer wieder das Tageslicht verschluckte. In seinem Kopf hämmerte es ununterbrochen, als hätte Sam Kelley dort seine Schmiede errichtet.
Nein, der schwarze Schmied stand ihm gegenüber neben seinem Schwager und seinem Sohn und sah Jacob mit einer Mischung aus Hoffnung und Angst an. Sie vertrauten Jacob wie viele der anderen Auswanderer auch. Er durfte sie nicht enttäuschen, durfte Patrick O'Rourkes Eigensinn und roher Gewalt nicht unterliegen.
Er sammelte alle verfügbaren Kräfte und stieß sich vom Boden ab, den Kopf vorgereckt wie ein wütender Stier. So rammte er seinen Schädel in den Magen des überraschten Iren.
Das hielt den grobschlächtigen Mann auf und warf ihn zurück. Nachdem er ein paar Schritte nach hinten getaumelt war, fing er sich wieder, stand schwer atmend mit herunterhängenden Armen und nach vorn geneigtem Kopf vor Jacob. Er schien es nicht fassen zu können, daß der Deutsche zu einem solchen Gegenschlag fähig gewesen war.
Jacob, der O'Rourke gefolgt war, sah, daß sein Gegner am Ende seiner Kraft war. Aber ihm selbst ging es nicht besser. Auch er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Wer den nächsten harten Schlag beim anderen landete, würde der Sieger sein.
O'Rourkes rechte Faust flog auf Jacob zu. Als der junge Zimmermann seinen linken Arm hob, um den Schlag abzufangen, fühlten sich seine Glieder schwer wie Blei an. Sie wollten ihm kaum gehorchen. Im letzten Sekundenbruchteil stieß sein Arm gegen die Faust des Iren und lenkte den Schlag ab.
Mit einer großen Kraftanstrengung führte Jacob den Gegenschlag aus, eine rechte Gerade mitten in das Gesicht des Gegners, den er nur sehr verschwommen vor seinen Augen sah, wie einen verblassenden Schatten in der Morgendämmerung.