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Er spürte mehr, als daß er es sah, wie seine Faust den Iren traf. Der Schatten wankte, ruderte hilflos mit den Armen in der Luft und stürzte zu Boden, wo er reglos liegenblieb.

Jacob verspürte keine Befriedigung oder gar Stolz über seinen Sieg, nur das fast übermächtige Bedürfnis, sich neben O'Rourke niederzulegen, die Augen zu schließen und die wohltuende Kühle des Felsgesteins zu spüren.

Sein Körper wankte. Nur mühsam hielt er sich aufrecht. Er durfte jetzt nicht umfallen.

Sam Kelley und alle, die auf Jacobs Seite standen, brachen in lauten Jubel aus. Sie durften nicht enttäuscht werden.

Jacob mußte unbedingt stehenbleiben, damit nicht alle Anstrengung vergeblich gewesen war.

*

Urilla stieß einen spitzen Schrei aus und klammerte sich am Arm ihres Begleiters fest, als das Untier mit blitzartiger Geschwindigkeit an ihr und Martin vorbeisprang und sich zwischen die beiden Menschen und den Wildbach stellte. Als wüßte es, daß jenseits des Creeks und des dahinterliegenden Hügelkamms der Auswanderertreck Martin und Urilla Zuflucht bot. Vielleicht wußte es das Untier tatsächlich.

Ganz ruhig stand es jetzt vor ihnen und starrte die Menschen aus seinem einzigen Auge an. Wo das andere Auge einst gesessen hatte, war nur noch eine verkrustete Narbe zu sehen.

Das Tier war groß, gewiß ebenso groß wie Martin, stände es aufrecht. Aber es kauerte auf allen vieren vor den Menschen, den Hals und den Kopf geduckt, bereit zum Sprung.

Seine Augen waren zu Schlitzen verengt. Das Maul stand offen und entblößte die großen gelblichen Fangzähne. Speichel troff aus dem geöffneten Maul auf den Boden.

»Eine riesige Katze«, ächzte Martin, der, ebenso wie Urilla, zur Salzsäule erstarrt war. »Sieht so ähnlich aus wie ein Luchs, nur viel größer. Was ist das für ein Tier?«

»Ein Berglöwe«, antwortete Urilla tonlos, unfähig, ihre Augen von dem schrecklich Anblick zu wenden.

Sie hatte bisher noch nie gehört, daß ein Berglöwe einen Menschen angegriffen hatte. Aber dieses Tier schien es auf sie abgesehen zu haben. Es wirkte abgemagert, ausgehungert.

Ein altes Tier, wie das stark ergraute Fell verriet. Vom einstigen Braun war kaum etwas geblieben. Die Sonnenstrahlen ließen das Fell silbrig schimmern.

Vielleicht war das Alter verantwortlich dafür, daß der Berglöwe hungerte, lange keine Beute mehr geschlagen hatte. Vielleicht auch das Fehlen des linken Auges, was dem Tier Schwierigkeiten bei der Jagd bereitete.

Was auch immer, die gewaltige Raubkatze schien fest entschlossen zu sein, sich die beiden Menschen nicht entgehen zu lassen.

Obwohl es Urilla nicht wollte, begann sie am ganzen Körper zu zittern. Wie damals, als die fremden betrunkenen Männer in ihre Hütte eingedrungen waren und Urilla das Nachthemd vom Leib gerissen hatten. Damals hatte es keine Rettung für sie gegeben.

»Wenn ich es sage, laufen Sie los«, sagte Martin leise, ohne sich zu bewegen. »Sie schlagen einen Bogen um das Tier herum und laufen zum Lager, so schnell sie können. Schauen Sie sich nicht um. Verstanden?«

»Ja«, krächzte die junge Frau und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. »Was haben Sie vor?«

»Die Katze angreifen, bevor sie uns angreift. Was sonst?«

»Das ist Wahnsinn! Der Berglöwe wird Sie umbringen, Martin.«

Täuschte sich Martin, oder schwang Angst in Urillas Stimme mit - Angst um ihn?

»Ich hoffe, nicht«, sagte er leise. »Machen Sie sich bereit!«

Es war offensichtlich, daß der Berglöwe nicht mehr lange mit seinem Angriff zögern würde. Er hatte sich noch tiefer geduckt und alle Muskeln zum Sprung angespannt. Aus seiner Kehle drang ein tiefes, gurgelndes Fauchen.

»Jetzt!« schrie Martin und gab Urilla einen Stoß, um sie aus ihrer Erstarrung zu reißen.

Die junge Frau rannte los.

Gleichzeitig riß der stämmige Mann den WhitneyMarinerevolver aus dem Holster an seiner rechten Hüfte. Er bedauerte, nicht seinen Karabiner mitgenommen zu haben, als er sich auf die Suche nach Urilla machte.

Aber für solche Gedanken war jetzt keine Zeit. Der Berglöwe sprang und erreichte Martin, noch ehe er den Revolver auf das Tier angelegt hatte.

Der harte Aufprall raubte dem Mann für Sekunden die Luft zum Atmen. Er fand sich auf dem Boden wieder, lag auf dem Rücken.

Der Berglöwe mußte falsch aufgekommen sein. Er rollte über die Wiese, vollzog einen ungelenken Überschlag und kam erst dann wieder auf seine Beine.

Zeit genug für Martin, sein Bowiemesser zu ziehen. Den Revolver hatte er beim Angriff des Raubtiers verloren. Er mußte irgendwo in dem hohen Gras liegen. Aber Martin konnte ihn jetzt nicht suchen. Er wußte, daß er den Berglöwen keine Sekunde außer acht lassen durfte. Das Tier würde jede Unaufmerksamkeit für einen neuen Angriff nutzen.

Aus den Augenwinkeln nahm Martin wahr, daß Urilla auf halbem Weg zum Creek stehengeblieben war. Sie stand dort und sah angsterfüllt nach Martin.

»Laufen Sie!« schrie er ihr zu, ohne seinen Blick von dem wütend fauchenden Berglöwen zu nehmen. »Zurück zum Treck! Holen Sie Hilfe!«

Noch während Martin sprach, sprang ihn der Berglöwe erneut an.

*

Urilla mußte sich zwingen, den Blick von Martin zu nehmen und weiterzulaufen.

Sie konnte dem Mann nicht helfen. Nicht hier. Nur dadurch, daß sie die Männer beim Treck benachrichtigte.

Hinter sich hörte sie Martins Schreie und das Fauchen des Berglöwen. Mit einem Satz überquerte sie den Creek und rannte weiter, der unbändigen Versuchung widerstehend, sich umzudrehen. Das würde nur wertvolle Zeit kosten.

Zeit!

Spielte es überhaupt eine Rolle, wann sie den Treck erreichte? Würde es nicht auf jeden Fall zu spät sein, bis sie den vor ihr liegenden Hügelkamm überquert hatte und bis der Hilfstrupp bei Martin war? Wie konnte der junge Deutsche dem hungrigen Berglöwen so lange widerstehen?

Urilla spürte auf einmal, daß sie mehr für Martin empfand als für einen guten Freund. Sie wußte nicht, ob es Liebe war. Damals in der Nacht, als die Betrunkenen über sie hergefallen waren, hatte sie gedacht, niemals einen Mann lieben zu können.

Sie wußte nur, daß ihr Martins Tod unerträglichen Schmerz bereiten würde. Größeren Schmerz als der Tod von Adam Zachary. Sie mußte das verhindern!

Urilla holte alles aus sich heraus, rannte den Hügel hinauf, stolperte mehrmals auf dem unebenen Grund, rappelte sich ohne Rücksicht darauf, daß sie ihre Schuhe verlor und an mehreren Stellen ihre Haut abschürfte, auf und rannte weiter.

Immer weiter.

Für Martin.

*

Als der Berglöwe ihn zum zweitenmal ansprang, hatte sich Martin erst auf die Knie erhoben. Der sehnige Körper des Raubtiers flog direkt auf ihn zu.

Er hob die Rechte mit dem Bowiemesser und rammte die lange Klinge in das silbrige Fell der großen Katze, als sie ihn erreichte und erneut umriß.

Wieder fiel Martin auf den Rücken. Diesmal hatte der Berglöwe seinen Sprung besser plaziert. Er lag auf Martin und riß das Maul auf, um dem Mann die Kehle durchzubeißen. Fauliger, Übelkeit erregender Atem schlug Martin entgegen.

Der stämmige Bauernsohn hielt mit der Rechten noch den Nußholzgriff des Bowiemessers umklammert, das bis zum Heft in der Brust des Tieres steckte. Das austretende Blut lief klebrig und warm über den Messergriff und über Martins Hand. Das Gewicht der riesigen Katze erdrückte ihn fast, aber er schaffte es dennoch, die zweischneidige Klinge in ihrem Körper herumzudrehen.

Noch mehr Blut strömte aus der vergrößerten Wunde. Ein schmerzhaftes Zucken durchlief den Berglöwen, und sein Biß ging fehl. Statt in Martins Hals schlug er seine Zähne in die Schulter des Mannes.

Als der Berglöwe ein großes Stück Fleisch aus seiner Schulter riß, raubte der Schmerz Martin die Besinnung. Er nahm nicht mehr wahr, wie das Raubtier über ihm erschlaffte.