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»Doch, darüber freue ich mich schon. Aber ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll, die Wahl gewonnen zu haben. Es ist eine verdammte Verantwortung, den Treck nach Oregon zu bringen.«

»Wir haben einiges an Zeit wettgemacht. Wir können es schaffen!« Sam sah hinüber zu dem Holzkreuz an dem Hügel aus aufgeschichteten Steinen. »Wir sind es Abner schuldig.«

»Ich weiß nicht, ob wir es schaffen, Sam. Ich kann mich täuschen, aber ich finde, die Luft riecht verdächtig nach Schnee.«

Der Schwarze zog mehrmals tief den Atem ein.

»Yeah, sie riecht nach Schnee. Aber das tut sie schon, seit wir uns auf den South Pass zubewegt haben. Es kommt von den Gipfeln und von den Bächen mit Schmelzwasser.«

»Gebe Gott, daß Sie recht haben, Sam«, seufzte Jacob. »Denn falls nicht, dann.«

Er sprach nicht zu Ende. Urilla Andersens laute Schreie kamen dazwischen und zogen aller Aufmerksamkeit auf sich. Wild schreiend und gestikulierend lief sie den Hügelkamm herunter auf das Lager zu.

Urilla war am Ende ihrer Kräfte, stolperte mehrmals und stürzte zu Boden. Männer aus dem Lager liefen ihr entgegen, um ihr zu helfen.

Die junge Frau war dermaßen erschöpft und erregt zugleich, daß sie kaum ein Wort herausbrachte. Es dauerte eine Weile, bis die Männer endlich verstanden, was passiert war.

Sie stellten einen Hilfstrupp zusammen. Trotz seiner Erschöpfung und seiner Schmerzen ließ es sich Jacob nicht nehmen, den Trupp anzuführen.

Fast alle Männer nahmen ihre Gewehre mit, um gerüstet zu sein, falls es zu einem Zusammenstoß mit dem Berglöwen kommen sollte. Jacob trug seinen Sharps-Karabiner, als er an ihrer Spitze den Hügelkamm erstieg, das Stechen in seiner Brust ignorierend. Ihm folgten Sam Kelley, Jackson Harris, Custis Hunter, Melvin Freeman, Billy Calhoun, Aaron Zachary, Noah Koontz und ein halbes Dutzend weiterer Männer.

Auch Urilla wollte mitgehen, aber sie war viel zu schwach. Als sie das einsah, brach sie weinend zusammen. Irene kümmerte sich um sie, unterstützt von der Witwe Cartland.

»Ich habe einiges wiedergutzumachen«, meinte die verhärmte Frau und erzählte Irene, was sich am Creek ereignet hatte.

*

»Da ist der Berglöwe!« rief Billy Calhoun und zeigte mitten im Laufen auf den Waldrand in etwa sechshundert Yards Entfernung, als die Männer den Hügelkamm überwunden hatten und auf den Creek zuliefen.

Das leichtfüßige Halbblut hatte sich schnell an die Spitze des Trupps gesetzt und führte ihn mit einem Vorsprung von zehn, zwölf Schritten an.

Jacob, noch vom Kampf gegen Patrick O'Rourke erschöpft, war ins letzte Drittel zurückgefallen. Bei jedem Schritt machten ihm die heftigen Stiche in seiner Brust zu schaffen.

Auch er sah jetzt das silbrig schimmernde Fell, das aus dem hohen Gras hervorlugte. Offenbar fühlte sich das Raubtier durch das Herannahen der Auswanderer nicht gestört. Wollte es seine blutige Mahlzeit genießen, bis die Männer über den Creek waren?

»Wo ist Martin?« keuchte Jacob.

»Ich glaube, er liegt auch da«, antwortete Billy, der jetzt den Creek erreichte und ihn mühelos mit einem Sprung überquerte.

»Wo?«

»Unter dem Berglöwen.«

Das traf Jacob schlimmer als die Stiche. In Sekundenschnelle zog die Zeit der Bekanntschaft mit Martin an seinem geistigen Auge vorüber.

Es waren nur einige Monate, aber es kam ihm vor wie ein ganzes Leben, soviel hatten sie bereits miteinander erlebt. Einer war für den anderen eingestanden. Allein hätte vielleicht keiner von ihnen die weite, gefahrvolle Reise von Hamburg bis hierher in die Rocky Mountains überstanden.

Jacob dachte daran, wie Martin den aufgrund einer falschen Anschuldigung polizeilich gesuchten Zimmermann in Hamburg auf das Auswandererschiff ALBANY geschmuggelt hatte. An die dramatische Überquerung des Atlantiks und ihre nicht weniger dramatische Ankunft in New York, wo die Freunde in die Fänge der menschlichen Ratte Max Quidor geraten waren. An die ereignisreichen Fahrten über die großen Flüsse, den Ohio, den Mississippi und den Missouri. An ihre Begegnung mit dem Präsidenten der Union, Abraham Lincoln, und an ihre Zusammenstöße mit den Bushwackers des Guerillaführers Quantrill.

Sollte Martin das alles überstanden haben, nur um hier oben in der Einsamkeit der Berge von einem wilden Tier zerfleischt zu werden? Endete so der Traum von einem neuen Leben in einer neuen Heimat?

Das durfte nicht sein!

Jacob beschleunigte seine Schritte, sprang ebenfalls über den Creek und schloß wieder zur Spitze des weit auseinandergezogenen Trupps auf. Er mußte Martin helfen können.

Er mußte!

Der noch immer ganz an der Spitze laufende Halbindianer hatte Martin und den Berglöwen fast erreicht. Nur noch etwa ein Dutzend Schritte trennte Billy von ihnen. Und noch immer lag das Raubtier reglos da, zum größten Teil vom Gras verborgen. Lauerte es dort, bereit zum Sprung, um weitere Opfer zu schlagen?

Billy hielt an, brachte seinen Smith-Karabiner in Anschlag und ging dann vorsichtig näher. Schwer atmend holte Jacob ihn ein und machte seinen Sharps schußbereit.

»Vorsichtig, Mr. Adler«, flüsterte der junge Scout. »Der Berglöwe ist schneller als das Auge. Er kann jeden Moment springen.«

»Warum schießen wir nicht?«

»Wir müssen näher ran, um einen sicheren Treffer landen zu können. Wenn wir in dem Moment abdrücken, in dem der Löwe springt, treffen unsere Kugeln vielleicht Mr. Bauer.«

Das sah Jacob ein, auch wenn es ihm schwerfiel, nicht sofort auf seinen Freund zuzurennen. Das zögernde Herangehen, diese letzten Sekunden waren die Hölle.

Plötzlich blieb Billy stehen und stieß einen überraschten Laut aus, in der Sprache der Oto, wie Jacob vermutete. Er wollte das Halbblut schon fragen, was ihn dazu veranlaßt hatte, als er es auch sah: zwei Pfeile, die im Nacken des reglosen Tieres steckten.

Unter dem Berglöwen lag Martin mit geschlossenen Augen auf dem Rücken.

Blutüberströmt.

Wie tot.

Jacob legte den Sharps an, zielte genau und schoß. Die Kugel fuhr in den Kopf des Tieres. Das Zucken, das durch den mächtigen, graubraun bepelzten Schädel ging, rührte nur von der Wucht des Einschlags her. Der Berglöwe schien bereits tot zu sein. Er war es auf jeden Fall, als auch Billy seinen Karabiner abgefeuert hatte.

Martin, der in einer roten Pfütze lag, bewegte sich noch immer nicht.

Mit der Hilfe der anderen Männer, die jetzt sämtlich heran waren, zogen Jacob und Billy den schweren Körper des alten, einäugigen Berglöwen von dem jungen Deutschen. Dabei sahen sie Martins Bowiemesser, das bis zur Parierstange in der Brust des Löwen steckte.

»Wenn nicht die Pfeile den Berglöwen umgebracht haben, war es das Messer«, meinte Billy. »Vielleicht beides.«

»Wichtig ist jetzt nur, was mit Martin ist«, sagte Jacob leise, fast tonlos, und beugte sich tief über seinen Freund.

Es sah nicht gut aus. Auch wenn nicht alles Blut von Martin stammte. Das tote Raubtier hatte viel von seiner Körperflüssigkeit verloren. Das Bowiemesser hatte eine mehr als handtellergroße Wunde in das Fleisch des Tieres gerissen. Ein Hinweis darauf, wie verzweifelt sich Martin gewehrt hatte.

Die scharfen Pranken des Berglöwen hatten Martins Haut an mehreren Stellen zerfetzt. Am schlimmsten aber hatte es seine linke Schulter erwischt. Sie war regelrecht zerfleischt worden.

Billy war so umsichtig gewesen, seine Feldflasche mitzubringen. Vorsichtig ließ er das Wasser über Martins Gesicht laufen. Es wischte einen Teil des Blutes herunter. Die Männer konnten erkennen, daß Martins Gesicht unverletzt war.

Aber Martin selbst?

Sein Leben?

Martins Augenlider flatterten, hoben sich, und seine klaren blauen Augen blickten verwundert in die Runde.

»Was.«, stöhnte er leise und kam nicht weiter. Der Schmerz überwältigte ihn.

»Ruhig, Martin«, sagte Jacob, überglücklich, daß sein Freund lebte. »Streng dich nicht unnötig an. Wir kümmern uns schon um dich.«