Das britische Diebespaar wurde unter strenger Bewachung nach Mineola gebracht. Der Inspector streckte gerade genüßlich seine Glieder, als sein Leutnant Bill armewedelnd auf sie zu stürmte und schneller sprach, als er Luft holen konnte. Während er Professor Yardleys Nachricht las, wich seine Sonntagslaune nervöser Sorge. Isham stieß ein paar halbherzige Flüche aus.
»Was machen wir jetzt?«
»Hinfliegen natürlich!« brummte Vaughn und kletterte in den Polizeiwagen zurück. Isham kratzte sich an der kahlen Stelle seines Hinterkopfes und folgte ihm resigniert.
Am Flugplatz von Mineola erfuhren sie, daß Yardley um sechs Uhr morgens ein Flugzeug gechartert hatte und in südwestliche Richtung geflogen war. Zehn Minuten später waren sie in der Luft und ließen sich von der dreimotorigen Maschine mit demselben Ziel in südwestliche Richtung fliegen.
Um halb zwei trotteten sie endlich nach Arroyo hinein. Die Maschine war einen knappen Kilometer außerhalb des Städtchens auf einer Weide gelandet und hatte ihre Passagiere dort abgesetzt. Zielstrebig gingen sie auf das Rathaus zu. Ein Mann in blauem Jeansanzug saß friedlich schnarchend auf den Eingangsstufen; zu seinen Füßen lag ein ausgefranster Besen. Als der Inspector ihn anstieß, erhob er sich taumelnd.
»Kommse aus New York?«
»Ja.«
»Vaughn und Ish‘m oder so ähnlich?«
»Ja.«
»Dann hab‘ ich ‘ne Nachricht für Sie.« Der Hausmeister öffnete seine riesige Faust; darin lag -zerknittert, schmutzig,
feucht, aber vollständig - die Nachricht des Professors.
Sie lasen schweigend und drehten das Blatt herum. Ellery hatte einen Nachtrag dazugekritzelt:
Yardleys Zeilen sprechen für sich. Ich war in der Hütte. Furchtbare Schweinerei da oben. Gehen Sie sofort hoch. Die kreisförmig verlaufenden Fußspuren sind meine, die anderen allerdings ... Schauen Sie es sich selbst an.
Beeilen Sie sich, Q.
»Es ist passiert«, stöhnte Isham.
»Wann hat Mr. Queen Arroyo verlassen?« fauchte Vaughn.
»So um eins«, antwortete der Hausmeister schläfrig. »Sagense ma‘, Captain, was is‘n eigentlich hier los? Alle schnüffelnse auf emma‘ hier rum.«
»Kommen Sie, Isham«, sagte der Inspector. »Zeigen Sie mir den Weg. Wir müssen zuerst zur Hütte rauf.«
Sie bogen um die nächste Ecke und ließen den Mann in Jeans kopfschüttelnd zurück.
Die Tür war geschlossen.
Isham und Vaughn kletterten umständlich über den Stacheldrahtzaun. »Nicht über die Abdrücke laufen«, mahnte Vaughn. »Aha ... Die hier, die im Halbkreis verlaufen, sind von Queen. Und die anderen ...«
Sprachlos standen sie da und folgten mit den Augen den Spuren, die Ellery erst eine Stunde zuvor aufgefallen waren. Es handelte sich um zwei Spurenabschnitte, die von denselben Schuhen stammten. Ellerys Fußabdrücke waren die einzigen, die andere Spuren hinterlassen hatten. Die beiden Doppelspuren waren klar zu deuten: Die erste führte vom Zaun zur Hütte, die andere leicht abweichend zurück zum Zaun. Hinter dem Zaun endeten sie -der felsige Untergrund war härter als jeder Schuh.
Die Abdrücke, die der Mörder auf dem Weg zur Hütte hinterlassen hatte, waren tiefer als diejenigen, die entstanden waren, als er sie wieder verließ; ebenso war der Abdruck des rechten Fußes durchgängig tiefer als der des linken.
»Klares Hinken«, murmelte Vaughn. »Aber die erste Spur seltsam.« Er machte wie Ellery einen Bogen darum und öffnete die Tür. Isham tapste vorsichtig hinterher.
Blankes Entsetzen erfüllte sie angesichts der Szenerie.
An der gegenüberliegenden Holzwand hing die Leiche eines Mannes -und wirkte vor dem rustikalen Hintergrund wie eine Jagdtrophäe. Der Kopf fehlte; die Beine hatte man nebeneinander ans Holz genagelt. Der zerlumpten Kleidung Old Petes nach zu urteilen, war es die Leiche des unglücklichen Schulmeisters.
Blut war auf den Steinfußboden getropft, Blut war überall an die Wände gespritzt. Der vormals saubere, gemütliche Innenraum glich dem Allerheiligsten eines Schlachthofes. Die Schilfmatten waren von dicken roten Flecken übersät; selbst den Boden zierten verschmierte Streifen. Die Platte des stabilen alten Tisches, der zuvor freigeräumt worden war, hatte als Tafel gedient, und auf ihr prangte ein überdimensionaler Buchstabe aus Blut - das vertraute große T, mit dem Krosac seine Morde zu signieren pflegte.
»Jesus«, stammelte Vaughn. »Das dreht einem den Magen um! Wenn ich diese Bestie in die Finger kriege, werde ich ihm mit meinen bloßen Händen die Kehle zudrücken, bis er krepiert, auch wenn es mich meine Marke kostet!«
»Ich muß mal eben raus«, keuchte Isham heiser. »Mir ist flau.« Er taumelte aus der Hütte und lehnte sich, von Würgekrämpfen geschüttelt, gegen die Außenwand.
Vaughn kniff ein Auge zu, atmete tief durch und ging quer durch den Raum, vermied es jedoch, in eine der verkrusteten Blutlachen zu treten. Er berührte die Leiche; sie war stocksteif.
Dunkle Streifen rannen rötlich aus den Wunden, die die Nägel ins Fleisch gebohrt hatten. »Seit fünfzehn Stunden tot«, dachte Vaughn und ballte die Fäuste. Mit bleichem Gesicht starrte er auf den Gekreuzigten. Ein dunkelrotes Loch, dort, wo der Kopf gewesen war, die Arme hilflos ausgebreitet, die Beine gestreckt und zusammengebunden, war der Körper zu jenem monströsen T aus Menschenfleisch verformt ... Eine Choreographie des Grauens, die auch dem Leibhaftigen Respekt abnötigte.
Vaughn versuchte, den Schwindel abzuschütteln, und machte einen Schritt rückwärts. Wie durch Nebelschwaden hindurch registrierte er, daß es einen Kampf gegeben haben mußte. In der Nähe des Tisches lagen einige Gegenstände auf dem Boden, die keine andere Deutung zuließen. Eine schwere Axt, an deren Griff und Klinge getrocknetes Blut klebte, hatte offenbar dazu gedient, Andreja Tvar den Kopf abzuschlagen. Daneben lag ein Kranz aus Verbandszeug wie ein platter Doughnut, der sich auf einer Seite mit bräunlich-roter Flüssigkeit vollgesogen hatte. Der Inspector bückte sich und hob ihn auf. Er fiel auseinander, und er sah zu seinem Erstaunen, daß die Gaze mit einem scharfen Gegenstand durchgeschnitten worden war. Mit einer Schere, dachte Vaughn und ließ seinen Blick suchend über den Boden gleiten ... Zwei Meter entfernt lag eine große Schere, als wäre sie in großer Eile achtlos dorthin geschleudert worden.
Vaughn ging zum Eingang zurück; Isham sah zwar blaß und elend aus, schien sich aber zumindest partiell erholt zu haben. »Was halten Sie davon?« fragte Vaughn, indem er Isham den durchtrennten Kranz aus Verbandszeug hinhielt. »Mensch, reißen Sie sich zusammen, Isham, wir haben zu tun!«
Der Staatsanwalt rümpfte angewidert die Nase. »Sieht so aus, als hätte sich jemand damit das Handgelenk verbunden. Muß eine größere Wunde gewesen sein, bei all dem Blut und dem Jod.«
»Genau«, sagte Vaughn. »Das Handgelenk. Jedenfalls wüßte
ich keinen anderen Körperteil mit so geringem Durchmesser; nicht einmal die Fußgelenke kommen in Frage. Mr. Krosac läuft zur Zeit mit einem ordentlichen Katscher am Handgelenk herum.«
»Entweder hat es einen Kampf gegeben, oder er hat sich aus Versehen geschnitten, während -während er die Leiche bearbeitet hat«, mutmaßte Isham und schüttelte sich. »Aber warum hat er den Verband hier liegenlassen, wo wir ihn mit Sicherheit finden?«
»Ganz einfach. Schauen Sie sich an, wie blutig er ist. Krosac muß sich zu Beginn des Kampfes, oder was immer hier stattgefunden hat, verletzt und stark geblutet haben. Den alten Verband hat er später abgeschnitten und sich einen neuen angelegt ... Er hat ihn hier liegenlassen, weil er es verdammt eilig hatte, aus der Gegend zu verschwinden. Und riskiert hat er dabei auch nichts. Wahrscheinlich hat er sich an einer Stelle verletzt, die sich gut verbergen läßt -unter Manschetten zum Beispiel. Lassen Sie uns wieder reingehen.«