»Um die Mittagszeit, mit einem Mietwagen.«
»Nach Zanesville, nicht wahr?« Ellery griff nachdenklich zu einem Telefonhörer: »Den Polizeichef von Zanesville, bitte ... Hallo? Bitte verbinden Sie mich sofort mit dem Chief ... Bitte beeilen Sie sich, es ist dringend! Wer ich bin, tut nichts zur Sache! ... Hallo! Ellery Queen aus New York am Apparat, der Sohn von Inspector Richard Queen -Mordkommission New York ... Ja! Ich befinde mich jetzt in Steubenville und bin einem großen brünetten Mann mit verbundenem Handgelenk auf der Spur, der mit einem Mietwagen unterwegs ist und von einem anderen großen Mann mit Bart verfolgt wird, der ebenfalls einen Mietwagen fährt ... Der erste Mann ist ein gesuchter Mörder ... Ja! Er hat Steubenville um halb acht heute morgen verlassen ... Hm. Da haben Sie wahrscheinlich recht; da wird er längst durch sein. Aber halten Sie bitte trotzdem die Augen offen! Der zweite Mann kann aber noch nicht in Zanesville sein ... Bleiben Sie in Verbindung mit dem Portier des Clarendon-Hotels. Ich werde sobald wie möglich dort sein.«
Er hängte ein und spurtete aus dem Fort-Steuben-Hotel zu seinem Duesenberg, der -wie der Pony Express - unverzüglich in Richtung Westen losklapperte.
Es dauerte nicht lange, bis Ellery das Clarendon-Hotel gefunden hatte, doch begrüßte ihn nicht nur der Portier des Hotels, sondern auch ein gedrungener Mann in Polizeiuniform, der ihm mit ausgestreckter Hand und einem breiten Rotariergrinsen entgegenkam.
»Ja?« fragte Ellery.
»Ich bin Hardy, der Chief hier«, erwiderte der untersetzte Polizist. »Ihr Mann mit dem Kinnbart hat vor kurzem hier angerufen, zumindest hat er sich als solcher ausgegeben. Sieht so aus, als hätte der erste Mann seine Route geändert. Soll nach
Columbus gefahren sein.«
»Himmel, nein!« rief Ellery. »Ich wußte ja, daß er mir am Ende noch die Tour vermasselt. Haben Sie Columbus benachrichtigt?«
»Selbstverständlich. Großer Fisch, Mr. Queen?«
»Groß genug«, gab Ellery kurz zurück. »Ich danke Ihnen, Chief. Ich bin dann -«
»Entschuldigen Sie bitte«, unterbrach der Portier schüchtern. »Der Herr, der heute bei uns war, sagte mir, er werde eine Nachricht im Seneca-Hotel in Columbus hinterlegen. Ich bin mit dem Mann an der Rezeption dort befreundet.«
Ellery verabschiedete sich eilig und ließ ratlose Gesichter zurück.
Um sieben Uhr früh -während Vaughn und Isham sich durch das unübersichtliche Landstraßengeflecht zwischen Steubenville und Columbus quälten -, hielt Ellery, der nach einer halsbrecherischen Fahrt durch Zanesville in Columbus angekommen war, entlang der East Broad Street nach dem Seneca-Hotel Ausschau.
Diesmal stellte sich ihm kein Hindernis in den Weg; unverzüglich händigte ihm der Mann an der Rezeption Yardleys Nachricht aus:
Queen: Hätte mich beinahe abgeschüttelt, der Hund, aber ich bin ihm wieder auf der Spur. War wahrscheinlich keine Absicht, hat es sich wohl anders überlegt und ist nach Columbus gefahren. Ich habe leider unnütz Zeit vergeudet; aber eines ist sicher: K. hat den Ein-Uhr-Zug nach Indianapolis genommen. Versuche gerade, verlorene Zeit mit dem Flieger wettzumachen. Hebe gleich ab! Macht enormen Spaß! Wo bleiben Sie, junger Mann? Vielleicht stelle ich den Fuchs ja in Indianapolis, auch wenn Sie mir dafür den Hals rumdrehen!
y.
Wenn er versucht zu scherzen, dachte Ellery zähneknirschend, wird er vollends unausstehlich ... »Wann hat der Herr die Nachricht geschrieben?« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Um halb sechs, Sir.«
Ellery schnappte sich ein Telefon und verlangte, nach Indianapolis durchgestellt zu werden. Kurze Zeit später sprach er mit dem Polizeihauptquartier. Kaum hatte er seinen Namen genannt, da erfuhr er, dass die Polizei von Columbus Indianapolis bereits informiert hatte; aufgrund der dürftigen Beschreibung hatte sich jedoch nichts ergeben; von dem gesuchten Mann fehlte leider jede Spur.
Ellery hängte kopfschüttelnd ein. »Hat Mr. Yardley sonst nichts für mich hinterlegt?«
»Doch, Sir. Am Flughafen von Indianapolis wartet eine weitere Nachricht auf Sie.«
Ellery zog seine Brieftasche hervor. »Ich schätze prompte Bedienung. Könnten Sie mir sofort eine Maschine chartern?«
Der Mann hinter der Theke lächelte. »Mr. Yardley hat gesagt, Sie würden eine brauchen. Ich habe mir erlaubt, eine für Sie zu chartern, Sir. Die Maschine wartet auf der Rollbahn.«
»Soll der Teufel ihn persönlich holen!« fluchte Ellery, indem er dem Mann einen Schein hinüberschob. »Der verpatzt mir am Ende noch die Pointe! Wessen Fall ist das eigentlich?« Dann begann er zu grinsen und sagte leise: »Gute Arbeit. Habe ich dem Alten gar nicht zugetraut, soviel Geistesgegenwart. Mein Wagen steht draußen -ein alter Duesenberg. Bitte kümmern Sie sich um ihn. Ich komme zurück -wann auch immer das sein mag!«
Ellery stürmte auf die Straße, winkte ein Taxi herbei und rief dem Fahrer ein »Zum Flughafen, schnell!« entgegen.
Um kurz nach acht -eine Stunde, nachdem Ellery, und fast drei Stunden, nachdem Yardley gestartet war, und sieben Stunden, nachdem Krosac Columbus auf dem Schienenweg verlassen hatte -rasten Vaughn und Isham, zwei sichtlich müde Gestalten, nach Columbus hinein. Vaughns Polizeirang hatte ihnen Flügel verliehen und dafür gesorgt, daß aus Zanesville alles blitzschnell weitergeleitet worden war. In Columbus wartete bereits eine Maschine auf sie. Bevor Staatsanwalt Isham dreimal stöhnen konnte, waren sie in der Luft.
Wäre der Anlaß nicht so ernst gewesen, hätte die abenteuerliche Verfolgungsjagd durchaus ihre komischen Züge gehabt. Ellery entspannte sich auf seinem Sitz und überließ sich seinen Gedanken. So vieles, was sieben Monate lang rätselhaft und widersprüchlich geblieben war, hatte sich endlich geklärt! Im Geiste ging er noch einmal den ganzen Fall durch; als er schließlich beim Mord an Andrew Van angelangt war, lehnte er sich zurück, betrachtete das Ergebnis seiner Mühen -und sah, daß es gut war.
Das Flugzeug segelte weiter durch die Lüfte; fast schien es, als hinge es in den flockigen Wolken, ohne sich von der Stelle zu bewegen; lediglich das Land weit unter ihm zerstörte mit seinen dahinkriechen den winzigen Städten die Illusion der vollkommenen Ruhe. Indianapolis ... Würde es Yardley gelingen, den Fuchs zu stellen? Zeitlich war es, wie Ellery flüchtig kalkuliert hatte, durchaus möglich. Der Mann, der sich unter der Maske Krosacs verbarg, reiste mit dem Zug; vor sechs konnte er nicht in Indianapolis ankommen, wahrscheinlich sogar etwas später. Fünf Stunden mindestens dauerte die Fahrt mit dem Zug. Yardley hingegen, der um halb sechs in Columbus gestartet war, würde bei der vergleichsweise kurzen Flugstrecke nicht länger als anderthalb Stunden in der Luft sein und gegen sieben landen. Die Flugbedingungen konnten besser nicht sein, wie Ellery sah und spürte. Wenn Krosacs Zug auch nur die geringste Verspätung hatte oder es in Indianapolis Verzögerungen gab und Krosac daran gehindert wurde, seine Reise zügig fortzusetzen, konnte der Professor ihn leicht einholen.
Ellery entfuhr ein Seufzer; wenn er ganz ehrlich mit sich war, wünschte er, Krosac möge den unerfahrenen Fängen des Professors entwischen. Nicht, daß Yardley für einen Anfänger schlechte Arbeit geleistet hätte!
Sie fegten über die Landebahn von Indianapolis wie ein Blatt im Abendwind. Ellery sah auf seine Armbanduhr. Es war halb neun.
Als drei Männer vom Flughafen die Maschine bei den Tragflächen faßten und Bremsklötze unter ihre Räder schoben, rannte ein junger Mann in Uniform auf das Cockpit zu. Ellery stieg aus und sah sich um.
»Mr. Queen?«
Er nickte. »Nachrichten für mich?«
»Ja, Sir. Von einem Herrn namens Yardley, der vor etwa anderthalb Stunden hier war. Er sagte, es sei wichtig.«
»Dezent ausgedrückt.« Ellery griff nach dem kleinen Kuvert. Das große Finale, befand Ellery mißmutig, während er den Umschlag öffnete, verkam langsam zur Farce. Immer nur hetzte er der nächsten Nachricht hinterher.