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Doch Isham und Vaughn waren Ellery dichter auf den Fersen als gedacht. Um genau elf Uhr entließ ihre Maschine sie auf dem Flughafen von Chicago in die Nacht. Mehrere Beamte geleiteten sie in Polizeiwagen zum Loop.

Die Wiedervereinigung der einsamen Pilger wurde ausgelassen gefeiert. Man hatte sich in einer Privatsuite des Rockford versammelt, in der man vor Polizei kaum treten konnte. Ellery lag - Jackett an der Garderobe - auf dem Bett und streckte genüßlich alle viere von sich. Inspector Queen und der Commissioner hatten sich in eine Ecke des Raumes zurückgezogen und unterhielten sich leise. Professor Yardley hatte sich in den Waschraum geflüchtet, um die Schmutzschichten, die seine Reise durch mehrere Staaten hinterlassen hatte, vorsichtig abzutragen ... Die beiden gebeutelten Neuankömmlinge sahen sich erschöpft um.

»Hören Sie«, brummte Vaughn. »Haben wir‘s jetzt bald, oder jagen wir uns weiter im Kreis rum, bis wir in Alaska erfrieren? Wer ist dieser Kerl überhaupt - ein Marathonläufer?«

»Hier«, schmunzelte Ellery, »ist Endstation, Inspector. Nehmen Sie ruhig Platz; Sie auch, Mr. Isham. Gönnen Sie Ihren müden Gliedern die wohlverdiente Erholung! Der Abend ist

noch jung, und Mr. Krosac kann uns nicht entkommen. Wie wär‘s mit einem kleinen Happen?«

Während des Essens stellte man sich einander vor, scherzte und weidete sich an wildesten Spekulationen. Nur Ellery blieb auffallend wortkarg und schien in Gedanken ganz woanders zu sein. Ab und zu betrat einer der Beamten den Raum und erstattete Bericht. So erfuhren sie, daß der Herr aus Zimmer 643 -der sich als John Chase aus Indianapolis eingetragen hatte ­die Rezeption beauftragt hatte, einen sehr frühen transkontinentalen Flug nach San Francisco zu buchen, was sofort hitzige Debatten auslöste. Es war offensichtlich, daß Mr. Chase -oder Mr. Krosac -plante, Amerika zu verlassen und eine ausgedehnte Reise in den Orient zu unternehmen; es war kaum anzunehmen, daß er sich in San Francisco niederlassen wollte.

»Ganz nebenbei«, fragte Ellery ein paar Minuten vor zwölf. »Wen, Professor, glauben Sie, werden wir vorfinden, wenn wir das Zimmer 643 von Mr. John Chase aus Indianapolis stürmen?«

Der alte Inspector sah seinen Sohn irritiert an. Yardley schaute ebenfalls verwirrt drein. »Velja Krosac natürlich. Wen denn sonst?«

»So?« erwiderte Ellery, indem er einen Rauchkringel in die Luft blies.

Der Professor fuhr hoch. »Wie meinen Sie das? Ich meine, wenn ich Krosac sage, dann beziehe ich mich auf den Mann, der als Krosac geboren wurde, uns aber unter einem anderen Namen bekannt ist.«

»So?« wiederholte Ellery. »Nun, meine Herren«, sagte er, während er sich ausgiebig streckte. »Ich glaube, es ist Zeit, Mr. -Krosac auf den Boden der Tatsachen herunterzuholen. Sind wir bereit, Commissioner?«

»Absolut startklar. Wir warten nur noch -«

»Einen Moment, bitte«, bat Inspector Vaughn. »Wollen Sie etwa behaupten, Sie kennen die wahre Identität des Herrn von Zimmer 643?«

»Aber natürlich! Ich muß schon sagen, Inspector, ich bin erstaunt über Ihren Mangel an Scharfsinn! Was muß denn noch alles passieren, damit Sie endlich drauf kommen?«

»Drauf kommen? Auf was denn?«

Ellery stöhnte. »Ist jetzt nicht mehr von Bedeutung. Aber das eine kann ich Ihnen versprechen, meine Herren -Es wartet eine Mordsüberraschung auf Sie! Wollen wir? En avant!«

Fünf Minuten später schien sich das fünfte Stockwerk des Rockford-Hotels in ein einziges Truppenübungsgelände verwandelt zu haben; überall wimmelte es von Uniformierten und Polizei in Zivil; die Stockwerke darüber und darunter waren abgeriegelt, auch die Aufzüge waren unauffällig außer Betrieb gesetzt worden. Zimmer 643 hatte nur eine Tür - sie öffnete sich zum Flur hin.

Ein verängstigter kleiner Page war abkommandiert worden, den Köder zu spielen. Hilflos stand er vor der Tür und wartete auf seinen Einsatzbefehl; Ellery, sein Vater, Vaughn, Isham, der Commissioner und Yardley umringten ihn: Ellery sah sich um ­außer Atemgeräuschen war kein Laut zu hören - und nickte dem Pagen zu.

Der Junge schluckte und trat näher zur Tür. Zwei Beamte drückten sich mit gezogenen Revolvern zu beiden Seiten flach gegen die Wand. Einer der beiden klopfte energisch an die Tür. Niemand antwortete; wäre der Raum erleuchtet gewesen, so wäre durch den Türspalt ein wenig Licht gedrungen; doch alles war dunkel, und der Zimmerbewohner schien fest zu schlafen.

Der Beamte klopfte noch einmal. Diesmal hörten sie ein leises Geräusch und das Quietschen von Bettfedern. Eine tiefe Männerstimme brummte unfreundlich: »Wer ist da?«

Der Hoteljunge schluckte noch einmal und rief: »Zimmerservice, Mr. Chase!«

»Was -« Der Mann schnaubte wieder, und die Bettfedern quietschten erneut. »Ich habe keinen Zimmerservice bestellt. Das muß ein Irrtum -« Die Tür öffnete sich, und ein Kopf mit zerwühltem Haar erschien im Türrahmen

An alles, was nun geschah, erinnerte Ellery sich im nachhinein nur verschwommen -an den sekundenschnellen Zugriff der beiden Polizisten, an den Pagen, der sich leise davonstahl, an den heftigen Kampf auf der Türschwelle. Dieser eine Augenblick jedoch, dieser Sekundenbruchteil vollkommener Stille, in dem der Mann in die vielen Gesichter starrte -in die Gesichter der Polizisten, in die Gesichter von Ellery Queen, Staatsanwalt Isham und Inspector Vaughn -, dieser Augenblick hatte sich unauslöschlich in Ellerys Gedächtnis eingebrannt. Der Ausdruck völliger Verblüffung auf dem kreidebleichen Gesicht. Die aufgerissenen Augen. Der Verband am Gelenk der rechten Hand, mit der er sich am Türpfosten festkrallte

»Nein, das -das -« Professor Yardley leckte sich zweimal über die Lippen, ohne Worte für das zu finden, was er sah.

»Genau, wie ich dachte«, sagte Ellery, während er den verzweifelten Kampf beobachtete. »Als ich die Hütte in den Bergen inspizierte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.«

Nachdem sie Mr. John Chase aus Zimmer 643 niedergerungen hatten, troff Speichel von einem seiner Mundwinkel herab, und seine Augen leuchteten im Wahnsinn. Es waren die Augen des Schulmeisters aus Arroyo -die Augen von Andrew Van.

30. Ein Blick zurück

»Ich glaub‘s nicht, ich glaub‘s einfach nicht«, brummte Vaughn. »Mir will nicht in den Kopf, daß es möglich gewesen sein soll, den Fall allein aufgrund von Indizien zu lösen, Mr. Queen. Ich fürchte, Sie werden mir beweisen müssen, daß Sie nicht nur geraten und zufällig ins Schwarze getroffen haben!«

»Ein Queen«, erwiderte Ellery streng, »rät nicht.«

Es war Donnerstag; die Männer -Yardley, Ellery, Inspeetor Queen, Isham und Vaughn -saßen im Konferenzabteil des Twentieth Century Limited nach New York, und trotz großer Erschöpfung herrschte in der Runde keinesfalls schlechte Stimmung. Ihre Gesichter waren von den Strapazen gezeichnet -mit Ausnahme von Inspector Queen natürlich, der sich unaufdringlich, aber herzlich zu freuen schien.

»Sie sind nicht der erste, der dumm aus der Wäsche guckt«, sagte der alte Mann und schmunzelte. »Bisher hat er‘s noch immer hingekriegt. Und jedesmal, wenn er einen sensationellen Fall gelöst hat, behauptet irgend jemand, das sei ein reiner Glückstreffer gewesen, und will genau wissen, wie der Junge das gemacht hat. Ich komme auch nie so recht dahinter, selbst wenn er‘s mir bis ins letzte Detail erklärt hat!«

»Ich stehe vor einem völligen Rätsel«, gestand Isham.

Professor Yardley konnte den indirekten Angriff auf seinen Intellekt kaum ertragen. »Ich bin ein geistig sicher nicht ganz unbedarfter Mensch«, sagte er gereizt, »aber ich lasse mich aufknüpfen, wenn dieser Fall durch reine Anwendung von Logik zu lösen ist! Von Anfang an bestand er aus nichts als einer langen Kette von Ungereimtheiten und Widersprüchen!«