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entzieht. Wenn ich Van als Wahnsinnigen bezeichne, dann meine ich damit selbstverständlich nicht, daß er den Verstand verloren hätte; ganz im Gegenteil, wie wir wiederholt festgestellt haben, verfügt er über einen außerordentlich scharfen Verstand und ist -bis auf diesen krankhaften Tick, der sich verselbständigt und zur Manie ausgewachsen hat -völlig normal. Meinem Vater und Inspector Vaughn fallen sicherlich Dutzende von Fällen ein, in denen der Täter so normal wirkte wie Sie oder ich, in Wirklichkeit aber zu den gefährlichsten Psychopathen zählte.«

»Das Motiv kennen wir inzwischen«, sagte Inspector Queen. »Schade, daß du gestern abend nicht dabei warst, Junge, oder Sie Professor, als der Commissioner und Vaughn Freund Van in die Mangel genommen haben. War das spannendste Verhör, das ich je erlebt habe! Wir dachten erst, der kriegt ’nen epileptischen Anfall; aber dann wurde er auf einmal ruhig und hat -während er die scheußlichsten Verwünschungen auf die Häupter seiner Brüder häufte - schließlich ausgepackt.«

»Die er real übrigens mit Bleigewichten im Sund versenkt hat«, fügte Isham hinzu. »Die anderen hat er in den Bergen verbuddelt.«

»Im Falle seines Bruders Tomis-Tomis-Tom«, fuhr lnspector Queen fort, »war es das Übliche - eine Frau. Van hatte in seiner alten Heimat wohl eine Freundin, die Tom ihm ausspannte und heiratete. Brad soll seine Frau grausam gequält haben. An seinen Mißhandlungen soll sie auch gestorben sein. Ob da etwas dran ist oder nicht, werden wir nie mehr herausfinden; Van jedenfalls behauptet, daß es so war.«

»Und was hatte Megara verbrochen?« fragte Ellery. »Mir schien er ein äußerst liebenswürdiger, wenn auch verschlossener Mensch zu sein.«

»Das ist alles etwas vage«, antwortete Vaughn. »Es sieht so aus, als hätte Van als der Jüngste der drei Brüder keinen rechtlichen Anspruch auf das Erbe des alten Tvar gehabt, und als hätten sich seine älteren Brüder prompt alles unter den Nagel gerissen, ohne Van etwas davon abzugeben. Megara war der Älteste und hatte die Finger auf dem Geld. Als sie Krosacs Erbe an sich gebracht hatten, gaben sie ihm wieder nichts ab ­mit der Begründung, er sei noch zu jung oder irgend so was. Denen hat er‘s gezeigt, was?« Vaughns Gesicht überzog ein sardonisches Grinsen. »Er konnte seine Brüder natürlich nicht verpfeifen, weil er mit drin hing. Aber all das erklärt, warum Van sich, sobald sie hierherkamen, von den anderen abgesondert hat. Brad muß immerhin Gewissensbisse gehabt haben, sonst hätte er seinem kleinen Bruder kaum die fünf Riesen vermacht. Als ob ihm das noch etwas genützt hätte!«

Die Männer schwiegen längere Zeit, während der Twentieth Century durch New York State donnerte.

Nur Professor Yardley hatte sich so in den Fall verbissen, daß er nicht lockerließ. Minutenlang kaute er auf seinem Pfeifenstiel herum, bevor er sich an Ellery wandte: »Sagt mir, o Allwissenheit, glaubt Ihr an Zufälle?«

Ellery streckte sich und paffte Rauchkringel an die Decke. »Der Herr Professor hat offenbar noch etwas auf dem Herzen ... Nein, mein Lieber, wenn es um Mord geht, gibt es für mich keine Zufälle.«

»Wie erklären Sie sich dann die beunruhigende Tatsache«, fragte Yardley, während seine Pfeife rhythmisch auf und ab wippte, »daß sich unser Freund Stryker -noch ein Irrer, Himmel! Ein Zufall in sich! -zur jeweiligen Tatzeit sowohl im Falle des ersten als auch, soweit wir wissen, der folgenden Morde immer in der Nähe des Tatorts aufhielt? Wenn Van der Mörder ist, muß Ra-Haracht, der alte Sonnengott, unschuldig sein ... Ist sein Auftauchen am zweiten Tatort nicht ein sehr merkwürdiger Zufall?«

»Vorbildlich, wie Sie mitdenken, Professor! Ich danke Ihnen für das Stichwort«, erwiderte Ellery forsch. »Natürlich handelte es sich auch dabei nicht um einen Zufall, wie ich schon während unserer ersten Unterhaltung im Selamik Ihres Freundes -ich liebe dieses Wort -indirekt angedeutet hatte. Die Fakten sprechen für sich; Krosac war kein Mythos, sondern Realität! -Krosac erfährt also durch ein anonymes Schreiben, daß sich einer der Tvar-Brüder in Arroyo aufhält; man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, daß in demselben anonymen Brief ebenfalls stehen wird, wo die beiden anderen Brüder leben -auf Long Island. Van weiß, daß Krosac mit Stryker durch Illinois zieht und sich auf seinem Weg nach Osten logischerweise zuerst den Schulmeister vornehmen wird. Krosac ist, wie wir höflicherweise annehmen, auch nicht völlig auf den Kopf gefallen. Er plant, zuerst den Tvar zu erledigen, der sich Andrew Van nennt, und dann die beiden anderen, die inzwischen Brad und Megara heißen. Er weiß, daß der Mord an dem unverdächtigen Lehrer erhebliches Aufsehen erregen wird und er danach untertauchen muß. Warum eigentlich nicht gleich in der Nachbarschaft seiner nächsten beiden Opfer? Er studiert die New Yorker Zeitungen, stößt auf die Anzeige von Ketcham, der Oyster Island zur Pacht anbietet, überredet Stryker, dort hinzuziehen und einen Sonnenkult aufzumachen, zahlt die Pachtgebühr für Oyster Island lange im voraus per Post ... Ist doch sonnenklar, was dann passiert, oder? Krosac wird ermordet. Stryker, le pauvre innocent, der von nichts etwas ahnt, tut sich mit dem ebenfalls unschuldigen Romaine zusammen, zeigt Romaine den Pachtvertrag, und sie machen sich auf den Weg. Womit die Anwesenheit der Sonnenanbeter auf der Insel erklärt wäre!«

»Du lieber Gott«, rief der alte Inspector. »Van hätte es selbst nicht besser arrangieren können, um den Hauptverdacht auf Stryker zu lenken!«

»Oh, das erinnert mich jetzt an etwas«, sagte der Professor nachdenklich. »Die Sache mit dem ägyptischen Dingsbums, Queen. Sie wollen aber nicht etwa darauf hinaus, Van hätte mit seinen Kreuzigungen Strykers Ägyptenfimmel ausschlachten wollen?«

»Danke!« parierte Ellery grinsend. »Ich will auf nichts dergleichen hinaus. Habe ich mich mit meinem Geschwafel vom ›ägyptischen Kreuz‹ noch immer nicht genug blamiert, Professor?« Plötzlich richtete er sich auf und schlug sich auf die Schenkel. »Dad! Das ist die Idee!«

»Jetzt hör mir erst einmal gut zu, Bürschchen!« fuhr ihn der Inspector gereizt an; seine gute Laune hatte sich offenkundig verflüchtigt. »Weißt du, was mir gerade einfällt? Das muß uns unser halbes Vermögen gekostet haben, Flugzeuge und was nicht alles für deine idiotische Verfolgungsjagd quer durch ganz Amerika zu chartern! Wer bitte soll das alles bezahlen?«

»Wenn ich das Problem logisch betrachte, habe ich drei Möglichkeiten. Die erste wäre, Nassau County für die Ausgaben aufkommen zu lassen.« Er fixierte Staatsanwalt Isham, der aufschreckte, zu reden begann und schließlich mit einem verschämten, ausgesprochen dummen Grinsen auf seinen Sitz zurücksank. »Nein, ich sehe ein, daß dies -um es vorsichtig zu formulieren -wohl nicht zu machen ist. Die zweite Möglichkeit: Ich begleiche die Rechnungen persönlich.« Er schüttelte den Kopf und verzog den Mund. »Nein, so menschenfreundlich bin ich nun auch wieder nicht ... Aber sagte ich nicht gerade eben, ich hätte einen großartigen Einfall gehabt?«

»Also, ich fürchte«, murmelte Inspector Vaughn, »wenn Sie keinen Spesenbetrug beabsichtigen und auch nicht selbst dafür geradestehen wollen, dann sehe ich nicht -«

»Mein lieber Inspector«, entgegnete Ellery triumphierend. »Ich werde aus unserem Abenteuer einfach ein Buch machen, es eingedenk meiner zuweilen blühenden Fantasie ›Das ägyptische Kreuz‹ nennen und die Leser zur Kasse bitten!«

Si finis bonus est;

Totum bonum erit.

GESTA ROMANORUM

Nachwort

Die zwanziger und die dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts waren die Zeit, in der sich die durch Sir Arthur Conan Doyle und seinen schon zu Lebzeiten unsterblichen Sherlock Holmes zum Kultgenre gewordene Detektivgeschichte zu einer Kunstform sui generis verwandelte: Sie wurde zum intelligenten und hochartifiziellen Spiel zwischen dem Autor und seinen Lesern. Nicht genug, daß es dem Autor gelingen mußte, seine Leser erst auf die Folter zu spannen, um sie dann mit einem verblüffenden Schlußcoup zu überraschen -er hatte dies auch nach ganz bestimmten Regeln zu tun, deren wichtigste die war, alle ›Clues‹, d. h. Hinweise, Indizien usw., die zur Lösung der Rätsel erforderlich waren, dem Leser zu präsentieren. Er mußte also einerseits ein Rätsel sauber und fair konstruieren und zugleich die dabei verwendeten Baumaterialien seinen Lesern sozusagen einzeln vorführen. Dies aber hatte wiederum so zu geschehen, daß das Geheimnis vom Leser in der Regel nicht vorschnell gelöst wurde ­andernfalls würde der komplexe und komplizierte Kommunikationsprozeß zwischen Autor und Leser, den die Lektüre jetzt darstellt, zusammenbrechen, wie schon Edgar Allan Poe am Beispiel von Dickens‘ »Barnaby Rudge« dargelegt hatte: Der Autor geht beim Schreiben davon aus, daß sein Leser immer noch vor einem Rätsel steht, während dieser es längst gelöst hat und sich über das geheimnisvolle Geraune des Autors wundert.