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Bei den nun einsetzenden Untersuchungen im häuslichen Umfeld des Ermordeten ergeben sich die genretypischen Sekundärgeheimnisse, die im Roman selbst als »Wirrwarr von Motiven, verheimlichten Tatsachen und dreisten Lügen« bezeichnet werden. Die einzige erfolgversprechende Spur weist auf West Virgina zurück: Auf der Insel, die dem Anwesen des zweiten Mordopfers gegenüberliegt, betet die Sekte des ägyptoiden Halbirren die Sonne an. Daß seine Jünger und Jüngerinnen dies nackt tun, sorgt in den späten zwanziger Jahren für beträchtliches Aufsehen, wenn man bedenkt, daß es in den USA bis heute keinen offiziellen Nacktbadestrand gibt. Für den Sommer gemietet hat dies anrüchige Paradies ausgerechnet der untergetauchte Geschäftsführer, der schon wegen des ersten Mordes gesucht wird.

Ein Clue weist weit über seine faktische Bedeutung hinaus ­das Opfer muß mit seinem Mörder Dame gespielt haben. Dieser Zug erschließt sich in seiner Symbolik für den ganzen Fall erst durch das, was man heute Intertextualität nennt -die Anspielung auf ein Vorbild, wie sie für den Detektivroman als Variationsgattung immer schon kennzeichnend war. In der Einleitung zu »Der Doppelmord in der Rue Morgue« führt Poe aus, das Spiel für den analytischen Verstand sei das Damespiel, nicht das durch den Figurenreichtum komplexere Schachspiel. Beim Damespiel gewinne der, der die Züge des Gegners vorauskalkulieren könne -und schon bald gewinnt Ellery das Gefühl, der scheinbar wahnsinnige Täter habe nicht nur seine Taten sorgfältig geplant, sondern verstehe es auch, den jeweiligen »Erkenntnisstand« der Ermittler von langer Hand zu manipulieren, so daß sie genau das finden, von dem er wünscht, daß es zu diesem Zeitpunkt gefunden wird. Obwohl Ellery dies durchschaut, vermag er sich nicht von dem Brett zu lösen, auf dem ihm der unsichtbare Gegner sein Spiel aufzwingt. Noch nach dem vorletzten Zug des Kontrahenten erfolgt Ellerys letzter Zug so, wie der Mörder es erwartet hat - erst beim letzten begeht er selbst den Fehler, der endlich Ellery das Spiel gewinnen läßt - an dieser Stelle rückt er die Herausforderung an den Leser ein.

Der gleichermaßen schaurig blutrünstige wie kalt kalkulierte Krimi hat eines der spannendsten Finale des gesamten Genres ­der Showdown bildet eine vierfach gestaffelte Verfolgungsjagd mit allen damals gängigen Verkehrsmitteln. Angeführt wird sie vom sich sicher glaubenden vierfachen Mörder, dem Queens alter Lehrer, Professor Yardley, folgt, der zwar die Identität des Täters nicht erraten hat, wohl aber vor seinem Schüler dessen Spur aufnehmen konnte. Ihm folgt Ellery, den einzuholen sich wiederum der Detective und der Staatsanwalt von Long Island bemühen. Im Loop, der von der Hochbahn umschlossenen Innenstadt von Chicago, ist die Jagd endlich zuende, und alle sind, mit einem adäquaten Aufgebot örtlicher Polizei, vor der Hoteltür des Mörders versammelt. Welches Gesicht aber im Türspalt erscheinen wird, wenn der Page vom angeblichen Zimmerservice klopft, weiß außer Ellery niemand -und der wird es nicht verraten und seinen Triumph über die Ermittlungsbehörden -und die Leser -stattdessen recht arrogant auskosten.

Dem Leser gilt das letzte Wort -wer wird die Kosten der gigantischen Verfolgungsjagd mit Leihwagen und mehreren Charterflugzeugen durch vier Bundesstaaten tragen? Nichts einfacher als das -Ellery wird aus dem Abenteuer ein Buch machen, es eingedenk seiner zuweilen blühenden Phantasie »Das ägyptische Kreuz« nennen »und die Leser zur Kasse bitten«. In einem vom Spiel zwischen Mörder und Detektiv dominierten klassischen Detektivroman wird zugleich das Spiel zwischen Autor und Leser erstmals andeutungsweise preisgegeben -ein Zug, der dann in Carrs »Der verschlossene Raum« und bei seinen Schülern Michael Innes und Edmund Crispin fast zum Gattungsmerkmal wird.

Volker Neuhaus