»Du wolltest uns sprechen, Vater«, begann Harald schließlich. »Geht es um die Hochzeit?«
»Nein«, erwiderte der König. Ihm entging nicht, dass Ruperts Hand lässig mit dem Schwertgriff spielte. »Ich fürchte, deine Hochzeit muss wieder mal verschoben werden.«
»So ein Pech aber auch!«, spöttelte Rupert.
»Das kannst du laut sagen«, meinte Harald.
»Worum geht es dann?«, fragte Rupert. »Um meinen Angriffsplan gegen die Dämonen?«
»Das Wort Plan ist wohl etwas übertrieben«, erklärte Harald. »Ich würde eher von Massenselbstmord sprechen.«
»Wenn du einen besseren Vorschlag hast, dann wird es Zeit, uns davon zu unterrichten!«, fuhr Rupert auf. »Oder sollen wir uns in der Burg verkriechen, bis uns die Dämonen holen? Glaub mir, Harald, es ist besser, im Kampf zu sterben!«
»Es ist besser, überhaupt nicht zu sterben«, sagte Harald.
»Es muss einen anderen Weg geben. Vielleicht weiß der Große Zauberer…«
»Nein«, unterbrach ihn der König ruhig, »selbst auf dem Gipfel seines Ruhms war er nie so mächtig. Aber du hast Recht, Harald. Es muss einen anderen Weg geben. Und mir ist auch etwas eingefallen. Etwas, das zumindest unsere Stellung gegen die Dämonen verbessern könnte.«
»Das verstehe ich nicht.« Rupert runzelte die Stirn.
»Wenn es einen anderen Weg gibt, warum hast du ihn dann nicht vor versammeltem Hofstaat erwähnt?«
Der König wich seinem Blick nicht aus. »Weil der Hofstaat ihn nicht gebilligt hätte.«
»Es hat etwas mit dem Curtana-Schwert zu tun, nicht wahr?«, warf Harald unvermittelt ein.
»In gewisser Weise ja«, entgegnete der König. »Ich hatte die feste Absicht, das Curtana gegen die Dämonen einzusetzen, aber das ist nun nicht mehr möglich. Es gibt jedoch andere Schwerter, die ebenso mächtig, wenn nicht noch mächtiger sind.«
Rupert und Harald sahen einander entgeistert an, als ihnen dämmerte, wovon er sprach, und Johann beobachtete mit einer Spur von Belustigung, dass sie sich zumindest in ihrer entsetzten Ablehnung einig zu sein schienen.
»Du sprichst von den Schwertern der Hölle«, sagte Rupert ungläubig. »Das kann nicht dein Ernst sein, Vater!«
»Warum nicht?«
»Die Schwerter der Hölle sind für uns tabu«, erklärte Harald, doch der König sah sehr wohl die kalte Berechnung in seinem Blick.
»Wir können sie nicht einsetzen«, sagte Rupert. »Das Curtana war schlimm genug, aber diese Klingen… ich bin nicht sicher, was mir mehr Angst einjagt, die Dämonen oder diese Schwerter des Bösen!«
»Verständlich«, meinte Harald. »Aber wir wissen ja, dass dir viele Dinge Angst einjagen.«
Rupert schaute ihn an, und Harald rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her. »Sprich ruhig weiter, Harald«, sagte Rupert leise. »Reden ist schließlich deine große Stärke!«
»Schluss jetzt!«, fauchte der König. »Verschiebt eure Privatfehde, bis wir einen Weg aus der Finsternis gefunden haben. Das ist ein Befehl!« Er starrte seine Söhne an, bis sie beide zögernd nickten. Johann lehnte sich zurück, und als er wieder das Wort ergriff, klang seine Stimme unbewegt: »Die Schwerter der Hölle besitzen Macht. Genug Macht, um uns vor der Langen Nacht zu retten, die das Waldkönigreich bedroht. Und nur das zählt.«
»Aber wir wissen nicht einmal, was diese Schwerter bewirken«, protestierte Rupert. »Es ist so lange her, seit jemand die Klingen zu ziehen wagte, dass selbst die Legenden in diesem Punkt unklar sind. Felsenbrecher! Blitzstrahl! Hundsgift! Diese Namen können alles Mögliche bedeuten. Vielleicht bringen sie mehr Unheil in die Welt, als die Dämonen je anrichten können.«
»Selbst ein böses Schwert kann einem guten Ziel dienen«, erklärte Harald. »Vorausgesetzt, man behält es wachsam im Auge.«
Rupert schüttelte störrisch den Kopf. »Ich traue keinem Zauberschwert mehr.«
»Wir haben keine andere Wahl«, erklärte der König ruhig.
»Denk an deine eigenen Worte, Rupert: Der Dunkelwald ist ein Ort der Magie und muss mit Magie bezwungen werden.
Die Legenden berichten, dass die Schwerter der Hölle die mächtigsten Waffen waren, die der Mensch je ersonnen hat.«
»Und als sie das letzte Mal gezogen wurden, verwüsteten sie die halbe Welt, ehe es gelang, sie zu bändigen und wieder in ihre Scheiden zu stecken. Berichten die Legenden…«
»Diesmal könnten sie die Welt retten!«
»Oder vollständig zerstören.«
»Welchen Unterschied macht das schon?«, fragte Harald.
»Jenseits dieser Mauern herrscht die Finsternis. Das Reich steht vor dem Untergang. Die Schwerter der Hölle sind unsere letzte Hoffnung… oder sie vernichten uns alle. Es ist im Grunde völlig gleichgültig. Wir sind verdammt, wenn wir handeln, und wir sind verdammt, wenn wir nicht handeln. Ich persönlich nähme unsere Feinde gern mit in den Abgrund, wenn sich das irgendwie bewerkstelligen lässt.«
Rupert zog die Stirn kraus und schüttelte den Kopf. »Es muss einen anderen Weg geben.«
»Nein«, entgegnete Johann. »Wir sind am Ende unserer Möglichkeiten angelangt, Rupert. Die Schwerter der Hölle sind unser letzter Ausweg.«
»Dann sei Gott unseren Seelen gnädig«, murmelte Rupert.
Johann, Harald und Rupert starrten eine Weile schweigend ins Feuer, weil keiner dem anderen in die Augen schauen mochte. Sie wussten, dass sie sich in Kürze zum Südflügel begeben würden, um die verbotenen Schwerter aus den alten Hüllen zu ziehen. Aber nicht sofort. Noch nicht. Sie starrten mit stummer Verzweiflung in die Flammen, jeder in seine eigenen Gedanken verloren. Rupert erinnerte sich an die Grube nahe der Kupferstadt und an den Wurm, dem er dort begegnet war. Am deutlichsten aber erinnerte er sich an das Zauberschwert, das ihn im Stich gelassen hatte.
Felsenbrecher. Blitzstrahl. Hundsgif t.
Rupert begann zu zittern und konnte sich nicht mehr beruhigen.
In dem stillen, verlassenen Saal, der den Übergang zum Südflügel bildete, verdichtete sich die Finsternis. Es gab zwar lodernde Fackeln, Öllampen und Fuchsfeuer-Ampeln, aber ihr Schein reichte nicht aus, um die Düsterkeit zu durchdringen, die wie ein schmuddeliger Nebel die Luft erfüllte. Rupert stand am Nordeingang und starrte zweifelnd auf die verschlossene Doppeltür am anderen Ende des weitläufigen, widerhallenden Saales. Irgendwo hinter diesem Portal befand sich das Arsenal mit den Schwertern der Hölle, der letzten Hoffnung des Waldkönigreichs. Rupert runzelte die Stirn und trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Dieser Saal führte in den Südflügel, und seine Atmosphäre gefiel ihm ganz und gar nicht; er erinnerte ihn zu sehr an den Dunkelwald.
Rupert hatte Wert darauf gelegt, sich vor den anderen einzufinden, zum Teil, weil er ein wenig allein sein wollte, vor allem aber, um den wieder entdeckten Flügel verdammt genau in Augenschein zu nehmen, ehe er einen Fuß hineinsetzte. Eine Menge Geschichten hatten sich während der zweiunddreißig Jahre um den verschollenen Teil der Burg gerankt
– und keine einzige davon mit gutem Ausgang. Über hundert Suchtrupps hatten im Lauf der Zeit versucht, dem Rätsel des Südflügels auf die Spur zu kommen, aber zurückgekehrt waren nur jene, die den Eingang nicht gefunden hatten. Rupert ließ die Blicke umherschweifen und schüttelte den Kopf.
Nach allem, was er bisher gesehen hatte, wäre es kein Unglück gewesen, den Flügel weiterhin in seiner Versenkung ruhen zu lassen.
Eine Lampe flackerte plötzlich und erlosch. Die Schatten rückten näher. Rupert spürte ein wachsendes Unbehagen.
Aber statt seiner Angst nachzugeben, betrat er entschlossen den Saal. Er nahm die Lampe aus ihrer Nische und stellte mit einem kurzen Schütteln fest, dass sich kein Öl mehr im Behälter befand. Er lächelte und entspannte sich ein wenig. Von innen wirkte der Saal nicht mehr so groß und abweisend, aber die Stille und die unbewegte Luft legten sich auf sein Gemüt.