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»Drache?«, rief er leise. »Ich bin es, Rupert.«

Es kam keine Antwort aus dem Dunkel. Rupert hielt die Fackel hoch, und ganz hinten im Stall schimmerten dunkelgrüne Schuppen schwach im zuckenden Licht. Der Prinz ging langsam auf den schlafenden Drachen zu, ohne auf die Schatten zu achten, die sich jenseits des Fackelscheins sammelten.

Die trockene, staubige Luft war von einem starken Moschusgeruch erfüllt, der alles überlagerte. Der Drache lag in einem Nest aus schmutzigem Stroh zusammengerollt, den Kopf auf den Schweif gestützt, die Schwingen wie eine riesige smaragdgrüne Decke um den Leib gewickelt. Die Flanken bebten schwach im Rhythmus seiner trägen Atemzüge. Rupert schob die Fackel in eine Wandhalterung und kniete neben dem Kopf des Drachen nieder. Die großen goldenen Augen waren geschlossen, während das breite Maul ein wenig offen stand und ihm den Anschein verlieh, als grinse er im Schlaf. Rupert streckte die Hand aus, zögerte und strich dann sanft über die knochige Stirn des Kolosses.

»Drache? Ich bin es, Rupert. Ich muss mit dir reden. Ich brauche deine Hilfe.«

Der Drache schlief ungerührt weiter. Rupert kauerte im schmutzigen Stroh und starrte den Kampfgefährten verzweifelt an. Eine Woge der Entmutigung schwappte über ihn hinweg. Tief im Innern hatte er stets geglaubt, der Drache werde zumindest dann an seiner Seite sein, wenn er zu seinem letzten Kampf in den Dunkelwald hinauszöge. Ich hätte es besser wissen müssen… Erst Julia, dann der Große Zauberer und nun der Drache. Er hatte keinen Anspruch auf ihre Unterstützung, und es wäre ihm nie eingefallen, Unterstützung zu fordern, selbst wenn er einen Anspruch gehabt hätte.

Aber er hätte es begrüßt, wenn wenigstens einer der drei an seiner Seite gewesen wäre. Damit er die Finsternis nicht allein ertragen musste. Rupert seufzte leise. Ihm kam in den Sinn, wie der Drache hoch aufgerichtet in der Lichtung gestanden und Dutzende von Dämonen mit seinem Feueratem niedergemäht hatte. Und er erinnerte sich, wie er auf der gleichen Lichtung zusammengebrochen war, mit halb zerfetzter Schwinge, während ihm goldenes Blut in Strömen über seine Flanken floss. Sterbend in der Finsternis, weil Rupert ihn in den Dunkelwald geführt und der Drache ihm vertraut hatte.

»Schlaf weiter, mein Freund«, murmelte Rupert. »Ich habe kein Recht, noch mehr von dir zu verlangen.«

Er richtete sich auf, nahm die Fackel aus der Wandhalterung und ging zur Tür. Auf der Schwelle zögerte er und warf einen letzten Blick auf den schlafenden Drachen. Er hätte gern Abschied von seinem Freund genommen, aber dann wandte er sich achselzuckend ab, zog die Tür hinter sich zu und legte das Schloss vor. Der Stall war wieder in völliges Dunkel gehüllt, und nur das langsame, gleichmäßige Atmen des Drachen durchdrang die Stille.

Der Große Zauberer lümmelte auf der Haupttreppe, blickte düster in die Runde und nahm noch einen Zug aus seiner Flasche. Der Wein war ein lausiges Gesöff, aber er hatte keine Lust, ihn zu verbessern. Irgendwie schaffte er es nicht, sich einen Rausch anzutrinken, obwohl er hart daran arbeitete. Er spürte, wie der Wein seinen Magen übersäuerte, während der Geist weiterhin störrisch wach blieb. Seine Sicht war ein wenig verschwommen, und die Beine wollten ihm nicht so recht gehorchen, aber die alten quälenden Erinnerungen ließen sich nicht abschütteln, nicht so richtig jedenfalls. Der Zauberer runzelte die Stirn und suchte vergeblich nach dem Text des Liedes, das er vor sich hin gesummt hatte. Er hasste es, wenn ihm solche Dinge nicht mehr einfielen. Er hasste es.

Immer häufiger entdeckte er Lücken in seinem Gedächtnis.

Kleinigkeiten meistens, aber immerhin. Du wirst alt, dachte er gallig. Hast zu viele Jahre auf dem Buckel. Oder zu viel Fusel im Hirn. Oder beides. Ja genau, beides. Er nahm einen weiteren tiefen Zug. Der Wein tropfte ihm über das Kinn.

Wenn er sich nur an den Text dieses Liedes erinnern könnte!

Eleanor hatte dieses Lied so geliebt.

Sie standen zusammen auf dem Balkon und betrachteten das Feuerwerk, das leuchtende Farben in den Nachthimmel spritzte. Hinter ihnen, im Großen Saal, war der Siegesball in vollem Gang. Eine schwache Sommerbrise bauschte das Gewand des Zauberers und strich sanft über Eleanors Haar.

Es hatte die Farbe von Sommerweizen, und sie trug ein blaugoldenes Kleid. Nur an ihre Augen konnte er sich nicht mehr erinnern. Im Hintergrund spielten und sangen die Barden ihr Lied, halb übertönt vom Geplauder der Höflinge. Der Zauberer betrachtete das Feuerwerk. Er hatte die Vorführung bis in die letzte Einzelheit geplant, aber am Schluss misslang dann meistens doch irgendetwas. Launische Dinger, solche Feuerwerke. Eine Rakete zerplatzte in der Nacht, und ihr Gefunkel nahm die Form eines Löwenhauptes an. Der Zauberer lächelte und entspannte sich ein wenig. Eleanor nahm seinen Arm und schmiegte sich an ihn. Er konnte sich einfach nicht an ihre Augen erinnern.

Das Feuerwerk ist wunderschön.

Danke, Eure Majestät.

Müssen Sie immer so steif sein, Sir Zauberer? In einer Nacht wie dieser sollte es keine Formalitäten zwischen Freunden geben. Nennen Sie mich Eleanor!

Wie Sie wünschen, Eleanor.

So ist es besser. Und Sie – wie heißen Sie?

Wer den Namen eines Zauberer kennt, besitzt Macht über ihn.

Tut mir Leid. Das wusste ich nicht.

Das konnten Sie nicht wissen.

Oh, sehen Sie sich das an! Ein Wasserf all! Wo nehmen Sie nur die Einf älle her? Es ist eine wunderbare Nacht, Sir Zauberer.

Ja, Eleanor.

Ich glaube nicht, dass ich jemals glücklicher war. Johann kehrt siegreich aus dem Grenzkrieg zurück, die Ernte war gut und ist sicher in den Scheunen, und… und mein bester Freund auf der Welt veranstaltet zu meinem Geburtstag ein herrliches Feuerwerk! Das ist f ast zu viel des Schönen. Und die Barden spielen mein Lieblingslied! Kommen Sie, tanzen Sie mit mir, Sir Zauberer! Bitte!

Ich… weiß nicht, ob sich das f ür mich geziemt, Eleanor.

Der Hof…

Dann tanzen wir eben hier, auf dem Balkon. Nur wir beide, ganz allein.

Ihr Parfüm machte ihn schwindlig, als sie zusammen tanzten, Hand in Hand, Wange an Wange, sich mit langsamen, anmutigen Schritten im Takt der leisen Musik wiegten.

Er konnte sich nicht an ihre Augen erinnern.

Der Große Zauberer starrte die halb leere Flasche in seiner Hand an und machte sich bittere Vorwürfe, dass er den Schwarzen Turm je verlassen hatte. Er hätte nie auf die Burg des Waldkönigreichs zurückkehren sollen. In seinem Turm, verborgen vor dem Rest der Welt, mit seinem Fusel und seiner Arbeit, war er sicher gewesen. Sicher vor seiner Vergangenheit, seinen Erinnerungen und all den Dingen, die man von ihm erwartete. Er hätte nie zurückkehren sollen.

Seine Blicke schweiften über den Hof, und er nickte Rupert zu, der auf ihn zukam und sich zu ihm gesellte. Rupert warf einen Blick auf die Flasche in seiner Hand und presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

»Ich weiß«, sagte der Zauberer, »das gefällt Ihnen nicht.

Aber Zauberer hin oder her, ich brauche etwas, das mir Mut macht.« Er nahm einen langen Zug aus der Flasche und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Ich versichere Ihnen immer wieder, dass ich nicht der allmächtige Magier bin, für den mich die Leute hier halten. Es gibt keine richtigen Zauberer mehr. Jedenfalls keine mehr wie früher. Die Magie schwindet aus der Welt, Rupert. Und warum? Weil wir sie zerstören!«