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»Ich bin das, wozu du mich gemacht hast«, sagte Harald und verstand nicht, weshalb sein Vater bei diesen Worten zusammenzuckte.

Die Stallungen lagen dunkel und verlassen am anderen Ende des Burghofs. Niemand kümmerte sich darum, dass die Tore weit offen standen. Die Pferde und die Rossknechte waren längst im Freien. Eine einzige Laterne im Innern verbreitete einen goldenen Schein über die letzte Box, in der Rupert sein Einhorn sattelte. Die winzigen Geräusche ringsum wurden in der Stille seltsam verstärkt, und ihre Echos schienen ewig weiter zu wispern. In der Luft hing der schwere Geruch von Staub, Heu und Pferdemist. Eigentlich hatte so ein leerer Stall etwas Unheimliches an sich, aber Rupert mochte die Stille. Es beruhigte ihn, wenigstens für kurze Zeit gegen alles und jeden abgeschirmt zu sein. Jenseits der Stalltore hoben und senkten sich die Stimmen wie eine ferne Brandung; das Rauschen war so weit weg, dass es nichts mit ihm zu tun hatte.

Rupert legte den Sattel auf, rückte ihn zurecht und begann, die vielen losen Riemen festzuziehen. Das Einhorn sah sehr viel besser aus als nach seiner Ankunft. Die Wunden waren gereinigt und genäht, Mähne und Schwanz gesäubert und gekämmt, und in der Futterraufe lag sogar ein kleiner Berg Hafer.

»Und wie fühlst du dich?«, fragte Rupert.

»Verdammt elend«, entgegnete das Einhorn. »Aber wenn ich sage, ich fühle mich wie ein Wrack, dann bringt ihr mich nur zum Abdecker und macht Leim aus meinen Hufen. Ich kann es nicht glauben, dass wir schon wieder gegen die Dämonen in die Schlacht ziehen müssen. Wer hatte denn diesen großartigen Einfall?«

»Genau genommen ich.«

»Das hätte ich mir denken können«, murmelte das Einhorn.

»Nun fang nicht zu streiten an! Noch ein einziger Kampf und dann ist alles vorbei!«

»Genau das befürchte ich auch. Gibt es denn keinen anderen Weg?«

»Weißt du einen?«

»So ganz spontan fällt mir nur die Flucht ein.«

Rupert lachte müde, während er den Sattelgurt einstellte.

»Und wohin sollen wir fliehen? Die Dunkelheit ist inzwischen überall. Nein, Einhorn. Entweder wir greifen an, oder wir warten, bis wir tot sind. Das sind die beiden Möglichkeiten.«

Lange Zeit schwiegen sie beide. Schatten verdichteten sich am Rand des Lichtscheins, und die Luft wurde spürbar kälter.

Rupert war mit seinen Vorbereitungen fertig und ließ sich erschöpft in einen Strohhaufen sinken. Bestenfalls noch eine Stunde, dann musste er sich dem Dunkelwald stellen. Der Schwärze und den Dämonen und den Schrecken der endlosen Nacht. Rupert gähnte und lehnte sich gegen die Wand der Pferdebox. Er war zu müde, um echte Angst zu empfinden.

Das Einhorn schnaubte plötzlich, als sei es nach langem innerem Kampf zu einer Entscheidung gelangt. Es wandte sich Rupert zu und sah ihn aus seinen rot glimmenden Augen ruhig an.

»Rupert…«

»Ja?«

»Du hast mich einmal nach meinem Namen gefragt. Damals entgegnete ich, dass ich ihn erst wieder tragen würde, wenn ich frei wäre. Aber jetzt… nun ja, ich habe das Gefühl, dass du meinen Namen erfahren solltest, ehe es zu spät ist.«

Rupert fühlte sich unter dem ruhigen Blick des Einhorns zunehmend unbehaglich. »Du musst ihn mir nicht sagen, wenn du nicht willst.«

»Du bist mein Freund«, erklärte das Einhorn. »Mein Name ist Sturmwind.«

Rupert stand auf und legte die Arme um den Hals des Einhorns. »Sturmwind«, sagte er. Seine Stimme schwankte. Er wartete, bis er sich wieder gefasst hatte, und trat dann einen Schritt zurück, damit er dem Einhorn in die Augen schauen konnte. »Sturmwind, falls wir durch irgendein Wunder dieses Chaos überleben sollten, dann bist du frei! Ich schwöre es bei Blut und Stein. Ich werde versuchen, im Archiv herauszufinden, aus welchem Tal man dich entführt hat. Vielleicht gibt es dort noch Überlebende aus deiner Herde. Vielleicht könnten wir… hinreiten und sie suchen. Zusammen.«

»Ja«, sagte Sturmwind. »Das wäre schön, Rupert.«

»Du glaubst nicht, dass wir diesen Kampf überleben, stimmt's?«

»Stimmt.«

»Also gut, dann: Kraft meines Amtes und königlichen Geschlechts schwöre ich hiermit bei Blut und Stein, dass ich das Einhorn namens Sturmwind von allen Verpflichtungen mir und meiner Familie gegenüber entbinde. Das war es, Sturmwind. Von nun an bist du zu hundert Prozent unabhängig – so frei, wie ein Lebewesen auf dieser Welt je sein kann.«

»Das ist alles?«

»Was hast du erwartet? Fanfaren und Trommeln? Oder reicht dir mein Wort nicht?«

»Dein Wort hat mir immer gereicht, Rupert? Aber ist das Verfahren legal?«

»Natürlich. Schließlich bin ich ein Prinz.«

»Was du nicht sagst!«, meinte das Einhorn trocken. »Frei.

Frei. Ich dachte immer, das müsste ein ganz anderes Gefühl sein.«

»Wie fühlst du dich denn?«

»Komisch. Ich weiß auch nicht wie. Irgendwie nackt.«

»Zumindest musst du jetzt nicht mehr zurück in den Dunkelwald. Denk daran, du bist von allen Verpflichtungen entbunden!«

»Du würdest ohne mich keine fünf Minuten überleben.«

»Darum geht es nicht, Sturmwind.«

»O doch!«, sagte das Einhorn mit großer Entschiedenheit.

»Ich hätte dich in der Vergangenheit jederzeit verlassen können. Du hast mir genug Gelegenheiten gegeben. Letzten Endes blieb ich bei dir, weil du mein Freund warst und mich brauchtest. Einzig und allein aus diesem Grund. Also Schluss jetzt mit dem Unsinn, dass du ohne mich in den Dunkelwald zurückkehrst! Wir sind ein Team, merk dir das!«

»Trotzdem – du bist jetzt frei«, beharrte Rupert. »Ich habe die Formel gesprochen.«

»Muss das nicht vor Zeugen geschehen?«

»Ich habe die Worte gehört«, sagte der Champion.

Rupert und das Einhorn fuhren herum und sahen den Champion im Stalltor stehen. Er neigte den Kopf vor Rupert, der sich ebenfalls verbeugte. Der Champion trug eine schwere Rüstung. Das polierte Metall glänzte kalt im Licht der Laterne. In die glatten Flächen waren Wappen und uralte magische Symbole eingraviert. Unter den Arm hatte er einen schlichten Eisenhelm geklemmt, und schwere Eisenhandschuhe reichten ihm bis zu den Ellbogen. Er wirkte imposant, bedrohlich und zu allem entschlossen.

»Sir Champion«, sagte Rupert ruhig. »Müssen wir aufbrechen?«

»Bald, Sire. Ich erfuhr vom König, dass Sie sich weigerten, das Höllenschwert zu tragen, das man Ihnen anbot.«

»Allerdings.«

»Es wäre Ihre Pflicht gewesen, das Schwert entgegenzunehmen.«

»Meine Pflicht besteht darin, das Waldkönigreich zu retten, Sir Champion. Und diese verfluchten Schwerter bedrohen unser Land nicht weniger als der Dunkelwald selbst.«

Der Champion nickte langsam. »Vielleicht haben Sie Recht, Sire. Aber ich will nicht verhehlen, dass ich selbst nie viel mit Magie anfangen konnte.«

Rupert musterte den Champion mit einem eindringlichen Blick. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass der Erste Krieger ihm etwas Wichtiges sagen wollte.

»Haben Sie den Zauberer gesehen?«, fragte der Champion plötzlich.

»Ja.« Rupert nickte. »Wir wechselten vorhin ein paar Worte.«

»Er ist schon wieder betrunken.«

»Ich habe ihn nie anders erlebt.«

»Ich schon«, sagte der Champion. »Aber das ist lange her.« Er lehnte an der Stallwand, und seine kalten, dunklen Augen starrten an Rupert vorbei in die Vergangenheit. »Er war damals ein eindrucksvoller Mann. Hätte es leicht zu höchsten Ehren in seinem Beruf bringen können – zu dem legendären Magier, für den ihn viele hielten. Er hätte der größte Held werden können, den dieses Land je hervorbrachte.«