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»Lanciers, aufsitzen! Torwachen, haltet euch bereit!«

Die Stimme des Champions dröhnte über den Burghof. Einen Moment lang verstummte das Stimmengewirr, um gleich darauf verstärkt wieder einzusetzen, vermischt mit lauten Befehlen und Pferdegewieher. Rupert atmete tief durch, straffte die Schultern und führte das Einhorn aus dem Stall.

Der Champion saß auf einem mächtigen Streitross mit tückischem Blick. Auf seiner frisch polierten Rüstung spiegelte sich das rötliche Licht der Fackeln. Imposant und unbezwingbar ragte er aus der Menge heraus, ein Held, wie ihn die alten Balladen besangen. Er hob ungeduldig seine Streitaxt, und hundert berittene Lanciers nahmen hinter ihm Aufstellung. Die angelegten Lanzen ragten stolz in den sternenlosen Nachthimmel, die glänzenden Schäfte mit bunten Bändern und den Tüchern der Liebsten geschmückt. Die Fußsoldaten reihten sich hinter den Lanciers ein; lachend und scherzend ließen sie ein letztes Mal die Weinflaschen kreisen. Sie stampften mit den Füßen, um sich warm zu halten, und spähten erwartungsvoll zu den geschlossenen Burgtoren hinüber, erleichtert, dass das Warten endlich ein Ende hatte. Nach ihnen kam die Schar der Höflinge, Bauern und Händler. Man sah ihnen an, wie unbehaglich sie sich in ihren schlecht sitzenden Rüstungen fühlten, aber sie waren fest entschlossen, ihr Bestes zu geben. Männer und Frauen standen Seite an Seite, mit Schwertern, Piken und Handäxten, und kein Mensch fand das sonderbar. Die Frauen kämpften aus dem gleichen Grund wie die Männer – weil sie gebraucht wurden und weil sonst niemand da war, der das Land verteidigen konnte.

Rupert bestieg das Einhorn und bahnte sich mühsam einen Weg durch die Menge, um seinen Platz an der Spitze des Heeres einzunehmen. Eine Hand voll Gardisten erschien aus dem Nichts und bildete eine Eskorte für ihn. Rupert nickte ihnen zu, und die zehn Männer, die er aus dem Dunkelwald in die Residenz zurückgeführt hatte, salutierten mit ihren Schwertern.

»Was zum Henker sucht ihr hier?«, fragte Rupert. »Solltet ihr nicht im Lazarett eure Verwundungen auskurieren?«

»Wer laufen kann, ist nicht verwundet«, erklärte Rob Hawke. »So lautete der Marschbefehl. Außerdem ist geteiltes Vergnügen das doppelte Vergnügen. Wir hatten gerade den Bogen raus, wie man mit Dämonen umspringt, als Sie uns zurück in die Kasernen scheuchten.«

»Ihr wisst, dass die Feinde weit in der Überzahl sind«, begann Rupert und wurde vom spöttischen Gelächter seiner Männer unterbrochen.

»Das waren sie in jüngster Zeit meistens«, grinste Hawke.

»Wir gewöhnen uns allmählich daran.«

»Verloren!«, stöhnte einer der Gardisten mit Grabesstimme. »Wir sind alle verloren!«

Seine Kameraden stimmten einen getragenen Trauerchoral an, fanden ihn aber nach wenigen Takten zu langweilig und wechselten zu einem schnelleren Tempo. Die Leute ringsum starrten die Gardisten an und schauten dann betreten zur Seite. Der Prinz musste so lachen, dass ihm die Luft wegblieb. Als die kleine Gruppe mit Rupert an der Spitze das Burgtor erreichte, marschierte sie zu den Klängen eines derben Soldatenlieds, in dem in regelmäßigen Abständen das Wort verloren vorkam.

König Johann kniete im Schatten des inneren Nordwalls neben seinem Pferd und mühte sich mit dem störrischen Sattelgurt ab. Sein wirres graues Haar wurde von einem schlichten ledernen Stirnband zusammengehalten, und sein Kettenpanzer trug die Spuren zahlreicher Feldzüge. Obwohl sich Felsenbrecher an seinen Rücken schmiegte, als wäre es ein Teil von ihm, hatte er zusätzlich sein vertrautes altes Schwert umgeschnallt. Der Astrologe stand neben ihm und sah ihm geduldig zu. Schließlich bückte er sich und zog den Riemen mit ein paar geschickten Handgriffen straff.

»Danke«, brummte der König und richtete sich mühsam auf. »Mit Pferden konnte ich noch nie besonders gut umgehen.«

»Keine Ursache, Johann.«

»Ich bin froh, dass du bei mir bist, Thomas. Allen anderen scheint es verdammt egal zu sein, ob ich am Leben bleibe oder vor die Hunde gehe.«

»Du vergisst deine Familie.«

»Familie!« König Johann lachte verächtlich. »Ich habe seit dem Tod von Eleanor keine Familie mehr. Meine Söhne und ich stehen einander nicht gerade nahe. Harald schätze ich als guten Kämpfer und noch besseren Staatsmann, aber sein Herz ist so leer wie der Beutel eines armen Schluckers. Ich glaube nicht, dass er ein echtes Gefühl kennt… selbst wenn es ihn bisse.«

»Und Rupert?«

Einen Moment lang sah es so aus, als wolle Johann dem Astrologen eine grobe Antwort erteilen, aber dann sanken seine Schultern nach vorn, und er wirkte älter und erschöpfter als je zuvor.

»Rupert! Der Junge hat nicht ein einziges Mal im Leben meine Erwartungen erfüllt. Eigentlich sollte er jetzt gar nicht hier sein. Als ich ihn aussandte, einen Drachen zu töten, rechnete ich fest damit, ihn nie wieder zu sehen. Ich konnte doch nicht ahnen, dass er tatsächlich so ein Untier aufstöbern würde! Jeder vernünftige junge Mann wäre ins Exil gegangen und dort geblieben. Aber nein, er musste seine Pflicht erfüllen. Na schön, Rupert ist schon in Ordnung – auf seine Weise.«

»Warum ist er dann nicht hier, an deiner Seite?«

»Er hat nicht den geringsten Grund dafür. Der Junge kennt seit dem Tag seiner Geburt nur Einsamkeit und Verzweiflung.

Ich wollte und ich brauchte keinen zweiten Sohn. Leider merken die Hofschranzen so etwas sehr schnell. Sie machten Rupert das Leben zur Hölle, und ich unternahm nichts dagegen. Ich hätte ihn beschützen können, ich hätte ihm Ratschläge… und meine Liebe geben können. Ich tat nichts dergleichen, weil ich wusste, dass ich vielleicht eines Tages gezwungen wäre, ihn in den Tod zu schicken, um den Thron für Harald zu sichern. Mir blieb keine andere Wahl. Ein Bruderkampf so bald nach dem Grenzkrieg mit dem Hügelland wäre der Untergang für das Reich gewesen. Aber jetzt, nach all den Jahren… quält mich immer öfter der Gedanke, dass unser Land in Ruperts Händen sicherer wäre als in der Obhut von Harald. Rupert hat zumindest ein Herz.«

Johann wandte sich wieder seinem Pferd zu, ruckte kurz am Steigbügel, um zu sehen, ob er gut befestigt war, und schwang sich dann in den Sattel. Das Streitross warf den Kopf ungeduldig hoch und scharrte mit den Hufen, aber Johann ließ sich nicht zur Eile drängen. Er rutschte hin und her, bis er bequem saß, und sah den Astrologen mit einem Lächeln an.

»Es geht los, Thomas. Halt mir die Daumen!«

»Viel Glück, Johann! Und pass gut auf dich auf!«

König Johann nickte und lenkte sein Pferd langsam durch die Reihen der Kämpfer, bis er seine Söhne an der Spitze des Heeres erreicht hatte.

Ruperts Hände umklammerten die Zügel des Einhorns fester, während er beobachtete, wie sein Vater zielstrebig auf ihn zukam. Er war so sehr bemüht, lässig und unbekümmert zu wirken, dass sich seine Nackenmuskeln schmerzhaft verspannten. Was willst du jetzt noch?, dachte er bitter. Du kannst mir nichts mehr antun, und es gibt nichts mehr, das du mir wegnehmen könntest. Die Gardisten, die ihn eskortierten, verstummten und setzten drohende Mienen auf, als der König sein Pferd genau zwischen Rupert und Harald lenkte. Die beiden Prinzen verneigten sich knapp vor ihrem König.

»Du kommst spät, Vater«, sagte Harald verbindlich. »Wir hatten uns schon Sorgen um dich gemacht.«

»Danke, Harald«, entgegnete der König. »Wenn du uns jetzt kurz allein lassen könntest… ich möchte gern mit Rupert unter vier Augen sprechen.«

Harald versteifte sich und sah Rupert forschend an, doch dann nickte er kühl und lenkte sein Pferd ein paar Meter zur Seite. Er saß aufrecht im Sattel, studierte eingehend die Türflügel aus massiven Eichenbohlen – und seine Miene verriet keinerlei Gefühl. König Johann beachtete ihn nicht, sondern starrte missbilligend Ruperts Ehrengarde an. Die Männer wichen seinem Blick nicht aus. Einige umklammerten sogar herausfordernd ihre Schwertgriffe. Der König lächelte düster.