Выбрать главу

Was zum Henker lauert da draußen?, dachte Rupert. Was kann so entsetzlich sein, dass selbst die Dämonen Angst bekommen? Er erinnerte sich an den monströsen Wurm in der Kupferstadt und trat ein paar Schritte vor, um sich zwischen Julia und die Bedrohung aus der Schwärze zu schieben. Die Überlebenden des Heeres hatten sich hinter die grauenvolle Barrikade zurückgezogen und spähten atemlos in die Finsternis.

Ein tiefer Bass röhrte durch die Nacht, ein lang gezogenes, ohrenbetäubendes Geheul, das von sinnloser, bösartiger Wut erfüllt war. Das Dröhnen hallte noch in Ruperts Schläfen wider, nachdem es einem dumpfen, bedrohlichen Knurren gewichen und dann ganz verstummt war. Rupert warf einen flüchtigen Blick auf die Barrikade aus Toten, entschied jedoch rasch, dass es wenig Sinn hatte, in ihren Schutz zu flüchten. Das Ding, das aus dem Dunkel auf ihn zukam, ließ sich ganz sicher nicht von diesem schwachen Hindernis aufhalten. Er vernahm ein träges, gedämpftes Schlagen, das an das Pochen eines gigantischen Herzens erinnerte und ihm einen Schauder über den Rücken jagte. Er hatte diesen Laut schon einmal gehört, als er mit dem Großen Zauberer vor der Burg eingetroffen war. Der Boden bebte unter seinen Füßen, und wieder spürte er eine Eiseskälte in seinem Innern, als er das Geräusch erkannte: Es waren die schweren, gleichmäßigen Tritte eines Kolosses, der durch die Nacht stapfte und immer näher kam. Der stets gegenwärtige Gestank von Fäule und Verwesung wurde stärker, als der amorphe blaue Schimmer heranwogte, und die Schritte erschütterten die Erde wie Hammerschläge. Das schwebende blaue Licht verharrte schließlich knapp zwanzig Meter von den Verteidigern entfernt, und die Schritte verklangen. Das Licht flackerte kurz auf und umriss die Baumskelette mit seinem grellen Schein, ehe es erlosch und das Grauen preisgab, das es verhüllt hatte.

Obwohl es ganz offensichtlich seit geraumer Zeit tot war, konnte es sich bewegen und seine Umgebung wahrnehmen.

Das stumpfe weiße Fleisch war vertrocknet wie bei einer Mumie und an manchen Stellen so zerfressen, dass die bleichen Knochen zutage traten. In einem breiten Maul saßen riesige Sägezähne, und aus den leeren Augenhöhlen schossen grelle Flammen. Das Monster hatte zwei Arme und zwei Beine, und es konnte aufrecht gehen, aber damit war bereits jegliche Ähnlichkeit mit einem Menschen erschöpft. Ein langer Schwanz mit Widerhaken peitschte zornig hin und her und zerfetzte die morschen Baumstämme in seiner Reichweite. Das Ding war von den Toten auferstanden. Es hatte eine Ewigkeit unter der Erde gelegen, bis es geweckt und erneut zum Töten ausgesandt worden war. Der Boden zitterte unter seinen Füßen, und sein Hass verpestete die Luft.

»Die Schwerter!«, schrie König Johann. »Die Schwerter der Hölle! Sie sind unsere einzige Hoffnung!«

Er stolperte über die Barrikade, dicht gefolgt von Harald.

Das Heer traf Anstalten, sich zu sammeln, aber der König winkte ab. Er trat dem Ungeheuer mit festen Schritten entgegen. Harald, Rupert und Julia nahmen ihre Plätze hinter ihm ein. Das Monster hob den Kopf und verfolgte angespannt jede ihrer Bewegungen. Die Flammen in seinen Augenhöhlen flackerten unruhig. Unvermittelt blieb König Johann stehen, warf dem hoch aufgerichteten Angreifer einen zornigen Blick zu und rammte das Schwert in den Boden. Die Erde wölbte sich auf und barst, stöhnend wie ein verwundetes Tier, aber das Monster wankte nicht einmal. Während der König Felsenbrecher aus dem Erdreich zog, trat Harald vor und schwang Blitzstrahl hoch über den Kopf. Scharlachrote Flammen züngelten die Klinge entlang. Von der Schwertspitze jagte ein Feuerstrahl gegen die Brust des Ungeheuers. Es brüllte in blinder Wut, aber die Hitze konnte seinem toten Fleisch kaum etwas anhaben. Julia packte Hundsgift fester und versuchte, in einem weiten Bogen die linke Flanke des Monsters zu erreichen. Es drehte den Kopf, um ihre Bewegungen zu verfolgen, und Rupert scherte nach rechts aus. Er wusste nicht, was er gegen eine Kreatur ausrichten sollte, die längst tot war – insbesondere, nachdem die Höllenschwerter nicht mehr bewirkt hatten, als die Bestie zu reizen. Aber irgendetwas musste er tun. Die Flammen von Blitzstrahl erloschen plötzlich, als Harald das Schwert senkte, und das Monster taumelte vorwärts. Eine Klauenhand tastete nach Julia, und Hundsgift loderte in einem fahlen Gelb, während es sich in das mumifizierte Fleisch grub. Die Bestie zuckte zurück. Rupert sah, dass Hundsgift die Hand bis zum Knochen durchtrennt hatte. Es floss kein Blut, doch die Wunde stank nach Fäule und Verwesung. Knurrend griff die Kreatur Julia erneut an.

Harald hob Blitzstrahl, und dunkelrote Flammen zwangen den Feind, stehen zu bleiben. König Johann stieß Felsenbrecher in den Boden und ließ die Klinge stecken. Das Schwert leuchtete hell auf, und in der Erde klafften Risse, die sich rasch verbreiterten. Aber immer noch stand das Monster aufrecht da. Julia rannte vorwärts und hieb auf die Beine ein.

Es heulte in mörderischem Zorn, und Julia duckte sich, als eine riesige Klauenhand dicht über ihrem Kopf hinwegsauste.

Wieder tastete die Bestie nach ihr, aber im gleichen Moment kam Rupert von hinten und hieb mit dem Schwert auf den Knöchel des Ungeheuers ein. Die Sehne zerriss mit einem Schnappen wie ein überdehntes Seil, und das Monster röhrte ohrenbetäubend los, als das Bein unter seinem mächtigen Körper einknickte. Es taumelte rückwärts und fiel dann der Länge nach in einen gähnenden Spalt. Das lose Geröll gab wie Treibsand unter Ruperts Füßen nach, und plötzlich merkte er, dass er ebenfalls in die Tiefe schlitterte. Er schleuderte sein Schwert zur Seite, schnellte mit letzter Kraft nach oben und umklammerte mit der gesunden Hand die Bruchkante, während seine Beine frei über dem Abgrund baumelten. Das Erdreich bröckelte unter seinen Fingern weg, doch im nächsten Moment hatte ihn Julia am Handgelenk gepackt und hielt ihn fest, bis er sich hochziehen und auf festen Grund retten konnte.

König Johann zog Felsenbrecher aus dem Boden, und die Erde beruhigte sich wieder. Rupert angelte sich sein Schwert, ehe er mit Julias Hilfe wieder auf die Beine kam. Eine Zeit lang stützten sie sich gegenseitig, weil sie beide Halt und vor allem Trost brauchten. Und dann drang das Echo eines schaurigen, lang gezogenen Brüllens aus der Tiefe herauf. Eine totenbleiche, riesige Hand erschien in dem Spalt und schlug ihre Klauen tief in das Geröll. Der große keilförmige Schädel tauchte über dem Rand der Verwerfung auf. Die Augenhöhlen leuchteten grell auf, als das Monster versuchte, sich aus dem Erdreich zu befreien. Harald sprang vor und stieß ihm Blitzstrahl tief in den Nacken. Blutrote Flammen verzehrten das Fleisch des Ungeheuers. Es heulte laut auf und riss Harald das Schwert aus der Hand, als es den Kopf in Todespein zurückwarf. Flammen züngelten über seinen Schädel, aber es ließ die Grabenkante nicht los. Julia beugte sich vor und rammte ihm Hundsgift bis an den Griff in den Rachen. Das tote weiße Fleisch verfaulte und zerfiel vor ihren Augen, während die Flammen von Blitzstrahl immer höher loderten.

Endlich löste das Monster seine Umklammerung und fiel zusammen mit den beiden Höllenschwertern in den Erdspalt.

Die Bruchkanten schlossen sich, und in der Nacht herrschte wieder Stille.

Rupert stand neben Julia, die wortlos die Stelle anstarrte, wo noch vor kurzem ein Riss im Boden geklafft hatte. »Du hast das Schwert nicht zurückgeholt«, sagte er leise. »Warum?«

»Weil es mich veränderte – auf eine Art und Weise, die mir nicht gefiel«, entgegnete Julia und wandte sich von der aufgewühlten Erde ab.

König Johanns Blicke wanderten über das dezimierte Heer, das sich hinter der Barrikade aus Leichen am Rand des Burggrabens versammelt hatte. Draußen im Dunkelwald hörte er das erste Rascheln und Scharren, das die Rückkehr der Dämonenhorde verkündete. Er starrte in die endlose Schwärze hinaus, und tief im Herzen der Finsternis zeigte sich ein schwacher bläulicher Schimmer, dann noch einer und noch einer. König Johann hob Felsenbrecher, und plötzlich überkam ihn die Versuchung, die ganze Macht des Schwertes in einer endgültigen Geste zu entfesseln, die das Waldkönigreich und alles Leben darin für immer zerstören würde. Der Augenblick verging, und er schüttelte müde den Kopf. Vielleicht kam es ohnehin dazu, und dann brauchte er das Schwert, um den Untergang des Landes zu rächen. Aber noch war es nicht so weit. Er wollte warten, warten, bis keine Hoffnung mehr bestand und die Burg gefallen war. Erst dann wollte er seine Entscheidung treffen. Die Dämonen kamen näher. Der König wandte sich dem wartenden Heer zu.