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»Rückzug!«, rief er mit rauer Stimme. »Wir können hier nichts mehr ausrichten. Achtung, Torwache! Lasst die Zugbrücke herunter!«

Vom Bergfried her hörte man schwach das Rasseln und Klirren von Ketten und Gegengewichten, und langsam senkte sich die Zugbrücke über den Burggraben. Müde, gebrochen und besiegt stolperten die Überlebenden des zusammengewürfelten Kämpferaufgebots über die Zugbrücke, so schnell es ihre Wunden und ihre Erschöpfung zuließen. Die Banner lagen zerfetzt und blutgetränkt neben den Toten. Jegliche Zuversicht war verschwunden. Harald und König Johann hatten an der Zugbrücke Aufstellung genommen und versuchten die fliehenden Krieger zu trösten und aufzumuntern. Sie hatten das Heer angeführt und sie wollten die Letzten sein, die den Rückzug antraten. Das erwartete das Volk von ihnen.

Rupert und Julia standen ein wenig abseits, Arm in Arm, die Augen leer vor Erschöpfung. Ein paar Meter von ihnen entfernt spähte der Champion in die Finsternis hinaus. Seine Züge wirkten unbewegt und kalt, und obwohl seine Rüstung mit Blut verkrustet war, hielt er den Rücken gerade und den Kopf hoch erhoben.

Unvermittelt drang ein lautes Getöse aus dem Dunkel, und aus den Schatten kam das Burggraben-Ungeheuer herangestürmt, umringt von Dämonen, die ihm mit Klauen und Fängen zusetzten. Das Ungeheuer schlug wild um sich, aber die Angreifer waren einfach zu zahlreich. Es schleppte sich über die aufgewühlte Erde und stürzte sich in den Graben. Das Eis zersplitterte unter seinem Gewicht und erstarrte sofort wieder, nachdem es im schwarzen Wasser versunken war. Es riss ein gutes Dutzend Dämonen mit in die Tiefe, und kein Einziger tauchte wieder auf.

Neue Dämonenrudel strömten aus dem Dunkel. Die wenigen Männer und Frauen, die sich noch auf der Zugbrücke befanden, gerieten in Panik und flohen Hals über Kopf in die Burg. Harald und der König betraten die Eichenbohlen mit betont gelassenen Schritten, gefolgt von Rupert und Julia.

Der Champion stand allein am Ende der Zugbrücke, die Streitaxt in beiden Händen. Die Dämonen drangen in Scharen aus der langen Nacht. Das blaue Mondlicht schimmerte fahl auf ihren Fängen und Klauen. Mit einem schwachen Lächeln erwartete der Champion ihren Ansturm.

Die Dämonen warfen sich auf ihn, und er wehrte sie lässig ab, mit weiten Schwüngen seiner Streitaxt, die mit Leichtigkeit durch Fleisch und Knochen schnitt. Die Angreifer versuchten in seinen Rücken zu gelangen, um ihn zu umzingeln, rutschten jedoch hilflos auf dem spiegelglatten Eis des Burggrabens aus. Die Zugbrücke bot den einzigen Zugang zur Burg, und diesen Zugang versperrte ihnen der Champion. In einem nicht enden wollenden Strom warfen sie sich auf ihn, doch der Champion rückte nicht von der Stelle und wich keinen Schritt zurück.

Rupert blieb am inneren Burgtor stehen und warf einen Blick zurück. Auf den Böschungen des Burggrabens wuselte es von Dämonen und eine kleine Gruppe der dunklen, grotesken Gestalten versuchte sich an dem belagerten Champion vorbeizuschieben. Er kämpfte tapfer und unermüdlich, aber es war nur eine Frage der Zeit, wann die Dämonen ihn besiegen würden. Rupert ging weiter, und plötzlich war Harald an seiner Seite.

»Was gibt es da draußen noch?«

Rupert deutete nach draußen, und Harald wandte sich rasch ab, um den Wächtern am Torhaus Befehle zu erteilen.

Rupert lief in den Bergfried zurück.

»Sir Champion!«, schrie er verzweifelt. »Die Leute sind alle in Sicherheit! Nun kommen Sie endlich! Die Zugbrücke wird hochgezogen.«

Der Champion hörte ihn nicht. Immer wieder fielen Dämonen unter den Hieben seiner Streitaxt, aber stets drängten neue Horden nach. Es war ein gutes Gefühl, zu kämpfen, sich als Champion zu beweisen, jene zu töten, die das Reich bedrohten. Die Dämonen griffen pausenlos an, und er begegnete ihnen mit kaltem Stahl und einem kalten Lächeln. Er wusste, dass er in diesem Kampf den Tod finden würde, aber das war ihm völlig gleichgültig. Die Residenz brauchte ihn, und das genügte. Er schwang die mächtige Axt, als wäre sie schwerelos, und mähte die Dämonen nieder wie überreifen Weizen.

Das Blut der Gegner spritzte hoch auf, und das Ende der Zugbrücke war übersät von Leichenteilen. Der Champion kämpfte weiter, ein Mann gegen ein Heer, bis sich der Ansturm des Heers verlangsamte und zum Stillstand kam.

Aber am Ende war er doch nur ein Mann, und kein Einzelkämpfer kann es lange gegen ein Heer aufnehmen. Die Dämonen durchdrangen seinen Panzer immer öfter und zerfleischten ihn mit ihren Klauen und Fängen. Er spürte weder die Wunden noch das Blut, das ihm über die Flanken und Beine lief. Die Burg stand unter seinem Schutz. Er dachte nicht daran, die Flucht zu ergreifen.

Er würde nie wieder davonlaufen.

Die Dämonen warfen sich auf ihn und rissen ihn zu Boden.

Er spürte die Klauen nicht, die ihm an die Kehle fuhren, und versuchte noch im Sterben die Streitaxt zu schwingen. Die Dämonen überrannten ihn und stürmten über die Zugbrücke zum Bergfried.

Es bleibt keine Zeit mehr, das Fallgitter zu senken, dachte Rupert plötzlich, und die Dämonen werden hier sein, ehe die Männer die Tore geschlossen und verriegelt haben… es sei denn, jemand hält die Angreif er auf…

Er rannte durch den Bergfried auf die Dämonen zu, das Schwert hoch erhoben. Es reichte, wenn er sie ein paar Minuten aufhielt, bis die Tore fest verrammelt waren. Rupert hatte den Rand der Zugbrücke erreicht, und die Vorhut der Dämonen sprang ihn an. Er mähte sie mit schnellen, wilden Hieben nieder. Warum ich?, dachte er verbittert.

Warum trif f t es immer mich? Und dann rollte die Hauptwoge der Dämonen heran. Die Angreifer blieben unvermittelt stehen, als er ihnen mit drohend erhobenem Schwert den Weg versperrte.

»Schließt die Tore!«, schrie er heiser. »Schließt die verdammten Tore!«

Die Dämonen stürzten sich mit Klauen und Fängen auf ihn. Die Schmerzen trieben ihm Tränen in die Augen, aber noch konnte er die Horde zurückhalten. Ein paar Minuten, nicht mehr als ein oder zwei Minuten, dann wäre es geschafft! Julia, mein Mädchen, wenn wir nur etwas mehr Zeit f ür uns gef unden hätten… Und dann stürmten die Dämonen über ihn hinweg und rissen ihn zu Boden. Er hielt verzweifelt sein Schwert fest.

Im Hof standen Harald und eine Hand voll Wachen bereit, die schweren Eisenbolzen vorzuschieben, sobald die Männer an der großen Winde die Tore ganz geschlossen hätten. Julia lehnte an der inneren Südmauer und starrte benommen umher.

»Rupert? Wo bist du, Rupert?«

Sie richtete sich auf, als sie merkte, dass er nicht mehr neben ihr war, und ließ den Blick rasch über die Menschenmenge auf dem Burghof schweifen. Er war nirgends zu sehen.

Eiskalte Panik erfasste sie. Sie stieß sich von der Mauer ab und ging taumelnd auf Harald zu. Er wusste sicher, wo sich Rupert befand. Und dann blieb sie wie angewurzelt stehen, als sie einen Blick durch den Spalt der sich langsam schlie­

ßenden Torflügel warf und mitansehen musste, wie die Dämonen Rupert überrannten. Julia eilte zu Harald hinüber und packte ihn am Arm.

»Lass das Tor offen! Rupert ist noch draußen!«

»Er ist so gut wie tot«, sagte Harald mit rauer Stimme. »Er hat sein Leben geopfert, um uns die nötige Zeit zum Schlie­ßen der Tore zu verschaffen. Jetzt hilf mir, die Bolzen vorzuschieben, oder geh aus dem Weg!«