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»Wie geht es ihm?«, fragte der König und musste sich zwingen, den Blick nicht abzuwenden, als er das ganze Ausmaß von Ruperts Verletzungen erkannte.

»Schlecht«, sagte Harald, und Julia fuhr wütend zu ihm herum.

»Du hast ihn einfach da draußen liegen gelassen, du Dreckskerl!«

Harald hielt ihren zornigen Blicken gelassen stand. »Wenn er den Dämonen nicht den Weg blockiert hätte, wären wir niemals in der Lage gewesen, rechtzeitig die Tore zu schlie­

ßen. Der kurze Vorsprung, den er uns verschaffte, reichte aus, um alle jene zu retten, die sich in die Burg geflüchtet hatten.

Rupert wusste, dass er sich opfern würde, als er zum Eingang des Bergfrieds lief, aber er kannte seine Pflicht. Meine Pflicht bestand darin, die Tore zu verrammeln, damit sein Opfer nicht umsonst war. Ich habe das Notwendige veranlasst, Julia.

Ich habe richtig gehandelt.«

»Das tust du immer, Harald«, sagte der König. Er kniete schwerfällig neben Julia nieder und legte ihr einen Arm um die Schultern.

»Wir müssen etwas unternehmen«, flehte ihn Julia an. »Es muss irgendeinen Weg geben. Er stirbt!«

»Ja«, sagte der König leise. »Ich fürchte, du hast Recht.

Es war ein mutiger Einsatz. Der mutigste Einsatz, den ich je gesehen habe.«

»Du darfst nicht sterben!«, schrie Julia plötzlich. Sie packte Rupert an den Schultern und schüttelte ihn. »Wach auf, verdammt noch mal! Ich lasse nicht zu, dass du stirbst!«

Harald und der König versuchten sie sanft von Rupert wegzuziehen, aber sie setzte sich gegen die beiden Männer zur Wehr.

»Lasst mich durch!« Die Stimme des Großen Zauberers klang müde. Julia hörte auf, um sich zu schlagen, und drehte sich rasch um.

»Helfen Sie ihm! Sie besitzen magische Kräfte! Helfen Sie ihm!«

»Mal sehen, was ich tun kann, Mädchen.« Der Zauberer kam näher, mit langsamen, bedächtigen Schritten, wie ein uralter Mann, dem sämtliche Knochen wehtaten. Und dann erkannte Julia entgeistert, dass der Zauberer ein uralter Mann war. Das kurz zuvor noch tiefschwarze Haar war grau und von weißen Strähnen durchzogen; tiefe Falten und Runzeln zerfurchten das hagere, knochige Gesicht. Die krummen, knotigen Hände zitterten unentwegt, als er sie über Ruperts Brust ausstreckte. Einen Moment lang züngelten grelle Blitze aus seinen Fingerspitzen, und Ruperts Wunden schlossen sich. Die Blutungen kamen zum Stillstand, und die Züge des Prinzen entspannten sich ein wenig, aber er erwachte nicht aus seiner Ohnmacht. Der Große Zauberer nickte grimmig und wandte sich Julia zu. Sie spürte eine intensive Wärme, die sich in ihrem Körper ausbreitete, und als die Wärme verschwand, nahm sie die Schmerzen mit. Nur die Müdigkeit blieb und die tiefe Verzweiflung, die sie bei dem Gedanken erfasste, dass sie Rupert um ein Haar für immer verloren hätte.

»War es das?«, fragte sie den Zauberer ängstlich. »Wird er wieder gesund?«

»Ich weiß es nicht, Julia. Meine Magie ist fast erloschen, aber ich habe für ihn getan, was ich vermochte.«

»Was geschah während des Kampfes mit deiner Magie?«, fragte der König vorwurfsvoll.

»Wir wurden verraten«, entgegnete der Zauberer ruhig.

»Kurz bevor die Torflügel aufschwangen, erschien ein Diener mit mehreren Krügen Wein, mit besten Empfehlungen von dir. Wir waren alle sehr gerührt über diese Geste. Die Leute lachten, prosteten sich zu und tranken auf dein Wohl. Das Gift in dem Wein hätte ausgereicht, um ein ganzes Heer zu töten. Meine Magie war stark genug, um dem Trank entgegenzuwirken, aber die anderen waren verloren. Sie brachen im gleichen Moment zusammen, als sich die Tore öffneten, die Hände gegen die Kehlen gepresst und nach Luft ringend.

Ich hielt durch, solange ich konnte, aber dann übermannte auch mich das Gift. Als ich schließlich aus meiner Ohnmacht erwachte, sah ich ringsum Berge von Leichen, und die Schlacht war vorbei. Ich gab mein Bestes, Johann, und es tut mir Leid, dass es nicht ausgereicht hat.«

»Thomas Grey!«, rief der König plötzlich. »Er war an deiner Seite!«

»Er hatte Glück«, sagte der Zauberer. »Ihm schmeckte der Wein nicht, deshalb nippte er nur daran. Er und ich waren die beiden einzigen Überlebenden unter mehr als fünfzig Magiern.«

»Wer hat das getan?«, fragte Harald. »Wer trägt die Verantwortung für diese gemeine Intrige? Ich dachte, wir hätten alle Verräter entlarvt und ausgeschaltet.«

Der Zauberer zuckte mit den Schultern. »Der Diener, der uns den Wein kredenzte, ist tot. Jemand benutzte ihn und brachte ihn dann um, damit die Wahrheit nicht ans Licht kam.«

Er verstummte, als Rupert sich plötzlich bewegte und aufzusetzen versuchte.

»Julia?«

»Ich bin bei dir, Rupert.« Sie legte ihm einen Arm um die Schultern und stützte ihn. Er schüttelte schwerfällig den Kopf, um seine Gedanken zu ordnen.

»Wie fühlst du dich, mein Sohn?«, fragte der König.

»Schrecklich – aber ich werde überleben.«

»Natürlich«, sagte Harald. »Das hast du noch jedes Mal geschafft.«

»Mein Auge schmerzt«, murmelte Rupert und erstarrte, als seine Finger anstelle des rechten Auges nur ein geschlossenes Lid ertasteten. »Mein Auge – was ist mit meinem Auge geschehen?«

»Immer sachte, mein Junge«, sagte der König, und Julia hielt rasch seine Hand fest, damit er die frischen Narben im Gesicht nicht wieder aufriss.

»Tut mir Leid, Rupert«, meinte der Große Zauberer leise.

»Aber mehr konnte ich nicht für dich tun.«

Rupert schluckte und kämpfte gegen die aufsteigende Panik an. Er fühlte sich verstümmelt, verkrüppelt, weit schlimmer, als wenn er einen Arm oder ein Bein verloren hätte. Die Welt wirkte merkwürdig verändert, wenn man sie nur durch ein Auge betrachtete; sie sah flach und irgendwie unwirklich aus, und es fiel ihm schwer, die Entfernungen richtig abzuschätzen. Ihm kam ein einäugiger alter Wachmann in den Sinn, der ihm einmal erzählt hatte, dass er nicht mehr mit dem Schwert kämpfen konnte, weil ihm das Gefühl für die Raumtiefe abhanden gekommen war. Erneut stieg Panik in ihm auf.

»Wie zum Teufel soll ich ein Schwert benutzen, wenn mir ein Auge fehlt?«

»Mach dir darüber keine allzu großen Sorgen«, sagte Harald leichthin. »Da draußen wimmelt es derart von Dämonen, dass du sie gar nicht verfehlen kannst!«

Einen Moment lang hatte Julia das Verlangen, Harald für diese Gefühlskälte umzubringen, aber sie nahm die Hand vom Schwertgriff, als sie merkte, dass Rupert lachte.

»Du alter Schweinehund!« Rupert grinste seinen Bruder an. »Vielen Dank, dass du wieder mal die Perspektive zurechtrückst!«

»Eines meiner nützlicheren Talente«, meinte Harald. »Aber wenn ihr mich jetzt entschuldigt – ich möchte nachsehen, ob die Wehrgänge ausreichend besetzt sind.«

Er verbeugte sich höflich und schlenderte über den Burghof. Julia schaute ihm kopfschüttelnd nach.

»Es gibt Zeiten«, sagte sie langsam, »da mir der Mann ein Rätsel ist.«

»Mir auch«, pflichtete ihr der König trocken bei. Julia sah ihn forschend an, während er sich müde die Augen rieb.

»Sie sehen ganz schön fertig aus, Johann. Wie lief es in der Schlacht für Sie? Sind Sie verletzt?«

»Nur ein paar Kratzer und blaue Flecken, meine Liebe.

Und wie die Schlacht lief? Ich führte meine Leute in den Kampf und brachte einige von ihnen wieder auf die Burg zurück. Eine Weile fühlte ich mich fast wieder wie ein König.« Er betrachtete mit unbewegter Miene den Berg von Toten, den man in eine Ecke des blutverspritzten Hofes aufgeschichtet hatte. Dann schüttelte er den Kopf. »Der Preis war zu hoch.«