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»Sie kamen mit mir nach draußen, um Ihren Sohn zu retten. Das war tapfer und heldenhaft.«

»Tapferkeit und Heldentum helfen uns nicht weiter«, sagte der König. »Sehen Sie sich um, Julia! Mein Heer ist aufgelöst, die Burg wird belagert, und ich habe nicht einmal genug Leute, um die Wehrgänge zu besetzen. Zwölf Generationen unseres Geschlechts haben das Waldkönigreich aufgebaut und stark gemacht. Eine Generation reichte aus, um es zu zerstören – ein einziger unfähiger König.«

»Es war nicht Ihre Schuld…«

»Nein? Der König ist das Land, und das Land ist der König. Ich habe als Herrscher versagt, und nun muss das Land den Preis dafür bezahlen.«

»Blödsinn!«, rief Julia. »Sie sind ein Mensch wie jeder andere, und Sie taten alles nur Erdenkliche, um diese unmögliche Aufgabe zu bewältigen. An Ihnen lag es nicht, Johann.

Der Dunkelwald schert sich nicht darum, wie tapfer oder stark Sie sind. Er ist ein Teil der Natur, wie ein Erdbeben oder ein Sturm. Sie können nicht darauf hoffen, ihn mit Schwertern, Streitäxten und Truppen zu besiegen.«

»Was soll ich dann tun? Aufgeben?«

»Nein«, fuhr Julia auf. »Wir kämpfen weiter, aber anders als bisher. Wir haben es mit Waffen und mit Magie versucht, und beides war vergeblich. Nun bleibt uns nur noch eine Möglichkeit. Überlegen Sie, Johann! Was ist das eigentliche Herz des Dunkelwalds, was gibt ihm Sinn und Zweck? Der Dämonenfürst! Vernichten Sie ihn, und Sie vernichten den Dunkelwald!«

»Ich glaube, ich höre nicht recht«, ließ sich Rupert vernehmen. »Wir haben alle Mühe, die Belagerer von der Burg fern zu halten, und du verlangst, dass wir in den Dunkelwald ziehen und uns den Dämonenfürsten höchstpersönlich schnappen! Wir würden da draußen keine fünf Minuten überleben!«

»Wir müssen es versuchen«, beharrte Julia. »Es ist unsere einzige Hoffnung.«

»Einen Augenblick«, sagte Rupert. »Ich schlage das nur ungern vor, aber wie wäre es mit einem neuerlichen Teleport-Versuch? Wenn der Zauberer diesmal alles richtig macht, könnte er uns geradewegs zum Dämonenfürsten bringen.«

»Nein«, erklärte der Zauberer ruhig. »Für diese Art von Zauber reicht meine Magie nicht mehr aus.«

»Der Drache!«, rief Rupert. »Er könnte uns über den Dunkelwald hinwegtragen!«

Der Große Zauberer schaute ihn an. »Ihr habt einen Drachen? Hier?«

»Klar«, bestätigte Julia. »Er schläft in den Ställen.«

Der Zauberer schüttelte bedächtig den Kopf. »Warum erfahre ich das jetzt erst?«

»Als ich ihn das letzte Mal besuchte, konnte ich ihn einfach nicht wach kriegen«, berichtete Rupert. »Vielleicht schaffen Sie es ja, Sir Zauberer.«

»Es wäre zumindest einen Versuch wert. Aber vorher muss ich ausruhen.«

»In Ordnung«, meinte der König. »Ich schlage vor, wir versuchen alle, ein wenig Kraft zu schöpfen. In einer Stunde treffen wir uns wieder – falls die Dämonen die Burg nicht vorher stürmen.«

»Du warst schon immer ein elender Pessimist, Johann«, knurrte der Große Zauberer.

Der Zauberer saß auf der untersten Stufe der Treppe, die zum Haupteingang führte, und betrachtete verdrießlich die leere Weinflasche in seiner Hand. Noch vor wenigen Stunden hätte der bloße Gedanke an Nachschub gereicht, um ihn mit dem edlen Nass zu versorgen, aber jetzt… Er seufzte und stellte die Flasche so ab, dass er sie nicht im Blickfeld hatte. Ein düsteres Lächeln huschte über seine Lippen, als er an das Giftgebräu dachte, das ihm der Diener kredenzt hatte. Vielleicht sollte er die Warnung ernst nehmen und das Weintrinken ganz aufgeben. Im Moment war ihm ohnehin eher nach einem Gläschen Brandy zumute. Er überlegte, ob er die Weinkeller des Königs plündern sollte, entschied sich aber dagegen. Die Dämonen konnten jeden Moment den Burgwall erstürmen, und dann musste er bereit sein. Wieder seufzte er.

Jemand gesellte sich zu ihm. Er hob den Kopf und sah, dass es König Johann war.

»Du siehst schrecklich aus.«

»Danke, Johann.«

»Dein Haar ist in den letzten Stunden völlig grau geworden.«

»Da siehst du, was es bringt, ohne Alkohol zu leben!«

König Johann musste gegen seinen Willen lachen. »Du verlierst deine Zauberkraft, nicht wahr?«

»Sieht ganz danach aus. Das ist aber auch kein Wunder.

Ich musste an einem Tag mehr zaubern als sonst in einem ganzen Jahr. Und der Kampf gegen diesen Gifttrank hat meine letzten Reserven aufgezehrt. Jetzt werde ich mit jedem Bannspruch ein wenig älter. Ich spüre den Winter in meinen Knochen. Und ich werde vergesslich. Dabei hasse ich nichts mehr, als wenn mich mein Gedächtnis im Stich lässt.«

»Ich weiß«, sagte der König. »Mir geht es manchmal ähnlich. In gewisser Weise ist es aber auch ein Segen. Schließlich gibt es in deinem und in meinem Leben ein paar Dinge, an die wir uns nicht gern zurückerinnern.«

Julia schnallte die lange Silberscheide von der Schulter und betrachtete sie nachdenklich. Nun, da sie das Höllenschwert nicht mehr enthielt, sah sie irgendwie anders aus. Das Silber selbst wirkte matt und glanzlos, und die alten Runen, die tief in das Metall eingraviert waren, schienen keine geheime Botschaft mehr zu vermitteln. Julia wog die Scheide in beiden Händen und warf sie in hohem Bogen auf einen Stapel Waffen, den die heimkehrenden Kämpfer in einer Ecke des Hofes aufgeschichtet hatten. Aus der Ferne betrachtet war sie nun nur noch eine Schwertscheide unter vielen.

Julia lehnte sich gegen den Ostwall und schloss die Augen.

Es kam ihr fast verwerflich vor, sich auszuruhen, während alle anderen über den Hof rannten wie Hühner, die vor dem Kochtopf fliehen, doch solange der Zauberer nicht einsatzbereit war, gab es für sie nichts zu tun. Also setzte sie sich auf den Boden, presste den Rücken gegen das Mauerwerk, streckte die Beine aus und versuchte sich zu entspannen. Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie mit der Rechten das Seitenschwert umklammerte. Rupert hatte ihr dieses Schwert vor einer halben Ewigkeit geschenkt – zumindest schien ihr das so –, und es hatte ihr stets gute Dienste geleistet. Und das war mehr, als sie von Hundsgift behaupten konnte. Mit dem Höllenschwert in der Hand hatte sie sich nie wohl gefühlt. Sie hätte es behalten können, anstatt es in der Erdspalte verschwinden zu lassen, zusammen mit dem Monster, das es töten sollte, aber sie hatte es absichtlich losgelassen und war immer noch überzeugt davon, dass sie das Richtige getan hatte. Hundsgift war mehr als nur ein Schwert; sehr viel mehr. Es lebte und besaß ein eigenes Bewusstsein, und es hatte versucht, von ihrem Verstand und von ihrer Seele Besitz zu ergreifen. Und Julia wusste, dass sie diesem Schwert verfallen wäre, wenn sie es nur lange genug benutzt hätte. Am Ende hatte sie es aufgegeben, weil sie merkte, wie schwer sie sich davon trennen konnte.

Schritte näherten sich. Sie blinzelte kurz, erkannte Harald und schloss die Augen wieder.

»Ich sehe, du hast die Schwerthülle weggeworfen«, sagte Harald. »Eine gute Entscheidung, wenn du mich fragst. Wenn die alten Legenden stimmen, dann können die Schwerter der Hölle nie zerstört werden, und wenn man sie verliert oder sich von ihnen befreit, kehren sie irgendwann zurück zu ihren Hüllen.«

»Du glaubst diesen Quatsch?« Julia machte sich nicht die Mühe, die Augen zu öffnen.

»Ich habe in jüngster Zeit viele Dinge erlebt, die ich früher nie für möglich gehalten hätte«, entgegnete Harald ruhig.

»Deshalb habe ich die Hülle meines Zauberschwerts ebenfalls weggeworfen.«

Julia öffnete die Augen und sah ihn an. Die Schwertscheide war von seinem Rücken verschwunden, und Julia hatte das Gefühl, dass Harald ohne das Ding ein Stück größer wirkte.