Выбрать главу

Der Drache war die einzige Hoffnung, die dem Waldkönigreich noch blieb.

Der Große Zauberer pfiff leise durch die Zähne, als er sah, wie groß der Drache war, und nickte nachdenklich. »Wie lange liegt er schon so da?«

»Zwei oder drei Monate«, entgegnete Julia. »Er hat sich nie richtig von den Wunden erholt, die er bei unserer ersten Reise durch den Dunkelwald erlitt. Nachdem er hier Quartier bezogen hatte, döste er die meiste Zeit vor sich hin, bis wir ihn schließlich überhaupt nicht mehr wecken konnten.«

Der Zauberer runzelte die Stirn. »Seltsam. Im Allgemeinen sind Drachen schnell wieder auf dem Damm. Eine Wunde verheilt oder bringt sie um.«

Er trat dicht an den Drachen heran und strich ihm mit einer Hand langsam über den Kopf. Den Koloss umspielte ein fahles Leuchten, das gleich darauf wieder verschwand. Der Drache schlief ungerührt weiter, während der Große Zauberer grimmig vor sich hin nickte.

»Dachte ich es mir doch! Er steht seit Monaten unter einem Bann.«

»Einem Bann?«, stieß Rupert hervor. »Heißt das etwa, dass ihn jemand zum Schlafen zwingt?«

»Leider ja. Und wer immer den Bann aussprach, muss sich hier in der Nähe befinden, sonst wäre die Magie längst erloschen.«

»Ich kann es nicht glauben«, sagte Julia. »Ich kann es einfach nicht glauben. Noch ein Verräter? Das darf nicht wahr sein! Darius und seine Verschwörer waren die Einzigen, die einen echten Groll gegen König Johann hegten. Aber die sind alle entweder tot oder im Exil. Wer sonst käme für einen Verrat in Frage?«

»Weshalb sehen Sie mich an?« Der Zauberer hob abwehrend die Hände. »Ich bin politisch nicht auf dem Laufenden.«

»Wer immer hinter dieser Geschichte steckt, hat es wohl auf die Krone abgesehen«, sagte Rupert langsam. »Für ein geringeres Ziel würde sich das Risiko nicht lohnen. Also müssen wir nach jemandem suchen, der König werden will…

oder der es nicht erwarten kann, auf dem Thron zu sitzen.«

»Nein«, widersprach Julia. »Das glaube ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil… er das einfach nicht fertigbrächte. Darum nicht.

Immerhin hat er sich gegen die Verschwörer gewandt, die ihn zum König machen wollten!«

»Wenn ich die Geschichte richtig verstanden habe, dann wäre er bestenfalls ein Marionettenherrscher der Barone geworden.«

»Vielleicht bin ich etwas begriffsstutzig«, warf der Zauberer gereizt ein, »aber könntet ihr mir mal erklären, von wem hier die Rede ist?«

»Von Harald natürlich«, erklärte Rupert grimmig. »Von Kronprinz Harald, meinem Bruder. Er war schon immer sehr

… ehrgeizig.«

»Harald«, wiederholte der Zauberer nachdenklich. »Ich kannte ihn gut, als er noch ein Kind war. Kräftiger kleiner Bursche, für den es nichts Schöneres als die Jagd gab. Ich war eine Zeit lang sein Lehrer, aber er besaß keinen Funken Talent für die Magie.«

»Da hast du es!«, sagte Julia vorwurfsvoll. »Unser Verräter muss ein ziemlich mächtiger Zauberer sein.«

»Nicht unbedingt«, meinte Rupert. »Das Curtana wurde nie gefunden…«

»Das Schwert des Zwangs!«, rief Julia. »Natürlich! Die Waffe, die der König ursprünglich gegen die Dämonen einsetzen wollte!«

»Genau«, stimmte Rupert zu. »Nur ging es während des Aufstands verloren. Die Landgrafen behaupteten steif und fest, dass sie es nie besessen hätten, und ich neige dazu, ihnen zu glauben. Ich kenne die Schutzvorkehrungen, die man für die Schwerter der Hölle getroffen hatte. Die Waffen waren nur Angehörigen der Herrscherfamilie zugänglich. Jeder Außenstehende, der versucht hätte, sie an sich zu nehmen, wäre auf der Stelle getötet worden. Es erscheint nur logisch, dass das Curtana auf ähnliche Weise verwahrt wurde.«

»Wer immer also das Schwert an sich nahm, muss ein Mitglied des Königshauses gewesen sein«, sagte der Große Zauberer nachdenklich.

»Genau«, bestätigte Rupert. »Mein Vater, Harald oder ich.

Ich war weit weg, als das Schwert verschwand, und dass der König selbst es an sich nahm, ergibt keinen Sinn. Demnach bleibt nur… Harald.«

»Das ergibt auch keinen Sinn«, beharrte Julia. »Wenn sich das Curtana in seinem Besitz befände, hätte er es inzwischen längst benutzt. Ganz sicher wäre er nicht in die Entscheidungsschlacht gegen die Dämonen gezogen, ohne es mitzunehmen.«

Rupert zuckte mit den Schultern. »Vielleicht gibt es einen Grund dafür, dass er das Schwert noch nicht einsetzen kann.

Aber es kommt einfach niemand außer Harald in Frage.«

»Nein«, sagte Julia. »Das glaube ich nicht.«

»Du meinst, du willst es nicht glauben«, fuhr Rupert sie an. »Wenn man dem Hofklatsch glauben darf, hast du dich sehr gut mit Harald verstanden, während ich fort war.«

»Und was soll das jetzt wieder heißen?«

»Du weißt verdammt genau, was das heißen soll!«

»Schrei mich nicht an!«

»Ich schreie dich nicht an.«

»Ruhe!« fauchte der Zauberer und blitzte die beiden jungen Leute wütend an, bis sie ihr Gezänk einstellten.

»Schlimmer als die kleinen Kinder! Ist es vielleicht zu viel verlangt, dass ihr euch endlich mit dem eigentlichen Problem befasst? Und falls ihr es vergessen habt – es geht darum, diesen verdammten Drachen irgendwie wach zu bekommen!«

»Tut mir Leid«, murmelte Julia zerknirscht. Rupert grunzte ebenfalls eine Entschuldigung, und die beiden tauschten versöhnende Blicke, während sich der Zauberer abwandte, um erneut den schlafenden Drachen zu betrachten. Er zog die Stirn in Falten, dachte nach und streckte beide Arme über dem Koloss aus. Ein schwaches Licht umspielte seine Finger, erlosch jedoch, noch ehe er die Schuppen des Drachen erreicht hatte. Der Zauberer konzentrierte sich und versuchte es noch einmal. Diesmal war der Lichtschimmer heller, erreichte den Drachen aber wieder nicht. Der Große Zauberer stieß eine halblaute Verwünschung aus, die zarte Gemüter erschreckt hätte, und hob die Arme in einer beschwörenden Geste. Eine Sekunde lang ging von seinen Händen ein blutroter Schein aus, und dann schwebte eine helle, knisternde Flamme vor ihm in der Luft. Sie sank langsam auf den schlafenden Drachen nieder, loderte plötzlich auf und flackerte unruhig an Ort und Stelle, als sei sie gegen eine unsichtbare Wand gestoßen. Der Zauberer setzte zu einem fremdartigen Singsang an, der beängstigend in der Stille widerhallte.

Schweiß lief ihm über das Gesicht, und seine Hände zitterten, aber die Flamme schwebte immer noch mitten in der Luft und kam dem schlafenden Drachen keine Spur näher. Der Große Zauberer spreizte die Beine, um sich besser abzustützen, und sprach mit lauter Stimme einen Befehl. Sein Mund verzerrte sich wie im Krampf, gleißendes Licht hüllte ihn ein und fiel gleich darauf in sich zusammen. Aber die rote Flamme senkte sich langsam auf die glänzenden Schuppen des Drachen. Die Atmosphäre im Stall war plötzlich verändert, als sei eine kaum spürbare Spannung zusammengebrochen und habe sich in nichts aufgelöst. Der Drache wälzte sich unruhig hin und her. Dann schlug er die großen goldenen Augen auf und hob den mächtigen Kopf aus dem schmutzigen Stroh. Julia schlang ihm ungestüm die Arme um den Nacken und schmiegte sich an ihn.

»Ach, Drache… Drache!«

»Julia? Was ist los, Julia?«

»Nichts. Alles kommt in Ordnung, jetzt, da du wieder wach bist!«

Der Drache betrachtete Rupert, und seine Pupillen weiteten sich ein wenig.

»Rupert«, sagte er langsam. »Bist du doch noch heimgekehrt? Wie lange habe ich denn geschlafen?«

»Zwei oder drei Monate«, erwiderte Rupert mit einem Lächeln. »Es ist schön, dich wiederzusehen.«

»Das gilt auch umgekehrt, Rupert. Julia und ich machten uns allmählich echte Sorgen um dich. Sagtest du eben Monate?«