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»Du hast richtig gehört«, meinte Julia und ließ ihn los.

»Die Finsternis ist über die Burg hereingebrochen. Die Dämonenhorden hämmern gegen die Tore, und es kann nicht mehr lange dauern, bis sie über die Wälle klettern und uns alle niedermetzeln.«

»Immer das alte Lied«, meinte der Drache und gähnte mit weit aufgerissenem Maul. Der Große Zauberer war sichtlich beeindruckt, als er die vielen blitzenden, scharfen Zähne sah.

»Ihr habt mir nicht zufällig ein paar Häppchen mitgebracht?«

erkundigte sich der Drache.

»Drache…«, begann Julia.

»Ich weiß«, unterbrach sie der Koloss gelassen, »wir schweben alle in unmittelbarer Lebensgefahr. Aber ich habe jetzt monatelang geschlafen, und obwohl ich es gewohnt bin, geraume Zeit im Winterschlaf zu verbringen, habe ich Hunger. Großen Hunger. Ein paar Hühner vielleicht, für den Anfang, und dann ein bis zwei Rinder. Oder drei.«

»Drache«, sagte Rupert, »wir sind auf deine Hilfe angewiesen. Es geht darum, den Dämonenfürsten aufzuspüren.

Dafür muss uns jemand über den Dunkelwald fliegen. Tätest du das?«

»Selbstverständlich«, erklärte der Drache. »Gleich nach dem Essen.«

Der Zauberer sah Rupert und Julia an. »Jetzt weiß ich endlich, weshalb sich Drachen als Haustiere nie durchsetzen konnten.«

Eine Eisschicht überzog die innere Burgmauer und machte das Kopfsteinpflaster im Hof spiegelglatt. In einem Dutzend schmiedeisernen Kohlebecken loderten helle Feuer, aber auch sie konnten die bittere Kälte nicht vertreiben, die sich wie eine schwere Decke über die Burg gelegt hatte. Man hatte die Verwundeten nach drinnen gebracht, wo sie noch einen kleinen Rest Wärme fanden; der Drache kauerte allein auf dem Hof und fraß sich durch einen Berg der verschiedensten Fleischsorten. Einige Wachposten und Gardisten verstärkten die Barrikaden an den Haupttoren; sie trugen unförmige Pelze und Fäustlinge und bewegten sich plump wie Bären. Jenseits des Burgwalls erstreckte sich die endlose Schwärze.

Rupert und Julia standen am Fuß der Haupttreppe, beide in dicke Pelzmäntel gehüllt, und unterhielten sich leise. Als König Johann plötzlich am Eingang erschien und die Treppe herunterkam, um sich zu ihnen zu gesellen, verstummten sie und rückten enger zusammen. Rupert und Julia verneigten sich steif, und der König nickte ihnen kurz zu.

»Die Augenklappe gefällt mir«, meinte König Johann.

»Ausgesprochen schick, dieser Seeräuber-Look!«

»Fang du nicht auch noch an!«, fauchte Rupert. »Der nächste Gardesoldat, der mich auffordert, ein Shanty zu singen, wird platt gemacht!«

»Reg dich nicht auf, Liebster«, tröstete ihn Julia. »Wenn diese Geschichte vorbei ist, kaufe ich dir ein Glasauge.«

»Ich kann es kaum erwarten«, knurrte Rupert.

König Johann fand, dass es an der Zeit war, das Thema zu wechseln. »Wie lange dauert es noch, bis der Drache aufsteigen kann?«, erkundigte er sich.

»Ich denke, er ist bald so weit«, sagte Rupert. »Unsere letzten Fleischvorräte hat er jedenfalls verputzt.«

»Der Dämonenfürst«, meinte Julia nachdenklich. »Wie sieht er eigentlich aus?«

»Das weiß niemand«, entgegnete der König. »Kein Mensch, der ihn je sah, hat diese Begegnung überlebt.«

»Klasse«, murmelte Julia. »Echt Klasse. Und wie sollen wir ihn finden, wenn wir nicht wissen, wie er aussieht?«

»Thomas Grey wird euch zu ihm führen«, erklärte der König. »Wenn ihr mich einen Augenblick entschuldigt…« Er nickte ihnen kurz zu und trat an ein Kohlebecken, an dem der Astrologe und der Große Zauberer standen, sich die Hände wärmten und leise über allerlei Zunftgeheimnisse plauderten.

Der Astrologe schaute auf, als der König näher kam, und flüsterte dem Großen Zauberer etwas zu. Der verneigte sich höflich und schlenderte ohne Eile zum Drachen hinüber. Der König trat neben den Astrologen und hielt seine Hände ebenfalls über die rötliche Glut.

»Thomas, wir müssen miteinander reden.«

»Natürlich, Johann.«

»Der Drache scheint wieder auf dem Damm zu sein. Er kann sicher bald aufsteigen.«

»Gut. Ich denke von Stunde zu Stunde, dass es nicht mehr kälter werden kann – aber es wird immer noch kälter.«

»Thomas…« Der König starrte lange in das Kohlebecken, als suche er in den knisternden Flammen nach einer Eingebung. »Ich hätte nie geglaubt, dass es so weit käme. Das Reich in Ruinen, die Burg belagert, die vielen Toten… und alles durch unsere Schuld!«

»Mach dir keine Vorwürfe, Johann! Wer hätte das je ahnen können?«

»Wir hätten weiter denken müssen, Thomas.«

»Wir taten, was wir für das Beste hielten.«

»Und mein tapferer Champion ist tot! Wenn er die Zugbrücke nicht verteidigt hätte, wäre die Burg bereits jetzt in den Händen der Dämonen. Er hat uns alle gerettet. Und er starb ganz allein in der Finsternis, ohne zu wissen, ob sein Opfer sich gelohnt hatte oder nicht. Ich vermisse ihn, Thomas. Ich war es so gewohnt, ihn an meiner Seite zu haben. Er hatte seine Fehler, aber er war tapfer und treu und auf seine Weise sogar ehrenwert. Ich glaube, er war der einzige Mann im ganzen Königreich, auf den ich mich voll und ganz verlassen konnte.«

Der Astrologe zog die Augenbrauen hoch. »Der Einzige, Johann?«

Der König lachte und klopfte dem Astrologen auf den Rücken. »Von dir natürlich abgesehen, Thomas. Dir würde ich mein Leben anvertrauen.«

»Ich sah dich vorhin bei Rupert stehen«, sagte der Astrologe. »Weiß er inzwischen, dass wir ihn in den Dunkelwald begleiten wollen?«

»Noch nicht«, antwortete der König. »Das wird einiges an Überredung kosten. Deshalb wollte ich vorher noch einmal mit dir sprechen. Ich finde, wir sollten ihm die Wahrheit sagen. Die ganze Wahrheit…«

Der Astrologe zuckte zusammen und sah ihn scharf an.

»Hältst du das wirklich für klug, Johann?«

»Das wohl weniger, Thomas. Aber ich halte es für notwendig.«

Rupert beobachtete, wie König Johann den Astrologen verließ und wieder auf ihn zusteuerte. Er sah, dass der Astrologe den Arm ausstreckte, wie um den König zurückzuhalten, ihn dann jedoch sinken ließ, als habe er es sich anders überlegt.

Und in diesem kurzen Moment entdeckte der Prinz, dass der Astrologe ein Seitenschwert trug, das er sorgfältig unter seinem Umhang verborgen hielt. Rupert grinste spöttisch.

Allem Anschein nach hatte der Astrologe kein so grenzenloses Vertrauen in seine Magie, wie er immer vorgab. Das Schwert war wohl als Rückversicherung gedacht. Der Prinz setzte wieder eine ernste Miene auf, als der König näher kam.

Er spürte, wie Julia sich bei ihm unterhakte, und drückte ihren Arm sanft an sich. Im Augenblick konnte er ein wenig moralische Unterstützung gut gebrauchen. Der König blieb vor ihm stehen und zögerte, als suche er nach den richtigen Worten.

»Du musst nicht in den Dunkelwald zurückkehren, Rupert.

Du hast diese Pflicht nun schon so oft auf dich genommen…«

»Und gerade deshalb muss ich sie noch einmal auf mich nehmen. Niemand besitzt meine Erfahrung.«

»Und ich begleite ihn«, sagte Julia entschlossen. »Er braucht jemanden, der ihm Rückendeckung gibt. Jemanden, dem er vertrauen kann.«

Der König zog die Stirn kraus. »Wie viele Menschen kann der Drache denn tragen?«

»Höchstens vier«, meinte Rupert. »Das wären bis jetzt wir und der Große Zauberer…«

»Nein«, unterbrach ihn der Zauberer, der seine Unterhaltung mit dem Drachen beendet hatte und nun zu ihnen her­

über geschlendert kam. Rupert fiel zum ersten Mal auf, dass die Haare des Zauberers schlohweiß waren.

»Was soll das heißen – nein?«, erkundigte sich Julia. »Wir brauchen Sie!«

»Tut mir Leid, Julia«, sagte der Zauberer leise. »Aber ich habe praktisch meine letzten Reserven verbraucht, als ich den Drachen weckte. Jetzt, da die Wilde Magie auf die Welt losgelassen ist, muss ich mit meinen Kräften haushalten. Nehmt den Astrologen an meiner Stelle mit! Ich bleibe hier und beschütze die Burg, so gut ich es vermag. Meine Schwäche wird vergehen. Eine Atempause von nur vierundzwanzig Stunden – und ich kann die Dämonen wieder ganz schön auf Trab halten!«