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»Johann«, sagte der Große Zauberer, »wenn du dich in den Dunkelwald begibst, kehrst du wahrscheinlich nicht mehr zurück!«

»Das weiß ich«, erwiderte der König. »Aber irgendwie hat jeder von uns seine Anwandlung von Edelmut. Wir leben für diese Momente der Größe, oder?«

»Nun kommt endlich«, warf Rupert ein. »Je länger wir hier herumstehen und reden, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Dämonen den Wall erstürmen. Drache! Bist du bereit?«

»Natürlich, Rupert«, sagte der Drache ruhig. »Steig auf, und wir können starten!«

Rupert und Julia gingen auf den Drachen zu, gefolgt von dem Astrologen. Der König blieb noch einmal stehen, als Harald im Haupteingang erschien. Er wartete geduldig, bis sein ältester Sohn die Treppe heruntergekommen war und sich zu ihm gesellt hatte. Einen Moment lang suchten beide nach den richtigen Worten.

»Wenn wir nicht zurückkehren, Harald«, sagte König Johann dann unvermittelt, »wirst du meine Nachfolge als König antreten. Erhalte das Reich am Leben, so gut du es vermagst.

Die Finsternis kann nicht ewig dauern. Falls die Dämonen über den Wall kommen oder die Tore aufbrechen, zieht euch ins Innere der Burg zurück und verbarrikadiert die Eingangskorridore. Kämpft um jedes Gemach, um jede Galerie! Die Burg wurde so gebaut, dass sie auch langen Belagerungen standhält. Es gibt genug Geheimgänge, um die Dämonen jahrelang in die Irre zu führen. Wenn du einen klaren Kopf behältst, kannst du es schaffen. Lass das Land nicht im Stich, Harald! Lass das Land nicht im Stich!«

»Versprochen, Vater«, entgegnete Harald. »Du gehst jetzt besser. Die anderen warten.«

Rupert und Julia hatten den Drachen erklommen und beobachteten, wie sich Harald und der König ein letztes Mal umarmten. Julia warf einen Blick auf den Astrologen, der geduldig neben dem Drachen wartete, schlang dann beide Arme um Ruperts Taille und beugte sich vor, bis ihre Lippen sein Ohr berührten.

»Glaubst du, wir sollten etwas sagen?«, flüsterte sie.

»Wenn Harald der Verräter ist…«

»Das nützt doch nichts«, murmelte Rupert. »Wir haben keine Beweise. Du hast selbst gehört, was mein Vater sagte: Nachdem der Schutzzauber gelöst war, hätte jeder das Curtana an sich nehmen können.«

»Aber ihm die Obhut der Burg zu überlassen…«

»Wir können nichts dagegen tun, Julia. Zumindest jetzt nicht.«

Sie schwiegen, während der König über den Hof eilte und sich ungeschickt auf den Drachen schwang, gefolgt von seinem Hofastrologen. Alle machten es sich mehr oder weniger bequem, und der Drache spreizte versuchsweise die Flügel.

»Steif«, murmelte er. »Total steif.«

»Bist du sicher, dass du das schaffst, Drache?«, fragte Rupert. »Wir sind zu viert, und es könnte ein langer Flug werden…«

»Gebe ich dir Ratschläge für den richtigen Umgang mit einem Schwert?«, knurrte der Drache. »Natürlich schaffe ich das. Haltet euch nur gut fest, und ich bringe euch ans Ziel.

Falls einer von euch weiß, wo dieses Ziel ist. Und noch eines, Rupert…«

»Ja?«

»Weck mich das nächste Mal bitte, bevor die Lage außer Kontrolle gerät!«

Rupert dachte noch über eine entsprechend giftige Antwort nach, als sich der Drache unvermittelt aufrichtete. Der Prinz umklammerte rasch den Nacken des Kolosses, während die mächtigen Schwingen auf und ab schlugen, und dann warf sich der Drache so kraftvoll in die Lüfte, dass Ruperts Magen einen Satz tat. Der Burghof unter ihnen wurde kleiner – und im gleichen Moment überwanden die Dämonen den Außenwall. Rupert beobachtete mit Entsetzen, wie sie die Verteidiger auf den Wehrgängen überrannten und sich überall verteilten. Der Große Zauberer stand allein da und schleuderte den Angreifern seine Blitze entgegen. Krachend splitterten die Eichenbohlen der Torflügel, und Scharen von Dämonen drängten ihn auf den Burghof.

Und dann stieg der Drache höher, und die Burg versank in der Nacht. Unter ihnen breitete sich der Dunkelwald im fahlen Schimmer des Blauen Mondes aus.

»Es ist alles vorbei«, sagte Rupert mit gepresster Stimme.

»Die Dämonen haben gesiegt.«

»Wir müssen umkehren!«, rief Julia. »Drache…«

»Nein«, unterbrach sie der König. »Wir fliegen weiter.

Etwas anderes können wir nicht tun.«

Der Drache setzte seinen Weg in die Dunkelheit fort, und lange Zeit sprach keiner von ihnen. Bitterkalte Luft rauschte vorbei und biss sich in die ungeschützte Haut ihrer Hände und Gesichter. Rupert spürte, wie Julia sich enger an ihn schmiegte, und versuchte sie mit seinem Körper gegen den Wind abzuschirmen. Der Himmel war sternenlos, aber der Blaue Mond erfüllte das Dunkel mit einer uralten Macht. Die Wilde Magie dröhnte durch die Nacht wie der Herzschlag eines Riesen, sonderbar und der Menschenart ganz und gar fremd. Rupert spürte, wie in der Tiefe Dinge erwachten und in Bewegung gerieten, die nicht in das Zeitalter der Menschen gehörten. Die Welt selbst schien sich schleichend zu verändern, während der Drache seine Fracht tiefer in die Finsternis trug. Immer deutlicher hatte Rupert das Gefühl, dass die Menschen nicht hierher gehörten, dass die Erde sich weiter gedreht hatte und kein Platz mehr für ihn und seinesgleichen war.

Die Wilde Magie des Blauen Mondes; stark genug, um die Realität selbst zu verändern.

Rupert schüttelte rasch den Kopf, um die wirren Gedanken zu vertreiben. Bis jetzt war dem Land kein Schaden zugefügt worden, der sich durch den Tod des Dämonenfürsten nicht rückgängig machen ließe. Zumindest hatten das die anderen behauptet. Rupert runzelte die Stirn. Er merkte, dass er nicht mehr viel darauf gab, was andere sagten.

»Wie kommst du zurecht, Drache?« Der Prinz brauchte den Trost einer Stimme, selbst wenn es nur die eigene war.

»Großartig«, erklärte der Drache. Er bewegte seine Schwingen kraftvoll und gleichmäßig auf und ab. »Ich fühle mich wieder… jung. Meine Knochen schmerzen nicht mehr, ich kann tief durchatmen, und ich sehe endlos weit. Ich hatte vergessen, wie schön das Jungsein ist. Das macht die Wilde Magie, Rupert. Ich spüre sie. Sie singt in meinem Blut. Die Wilde Magie herrscht wieder über die Welt. Wie damals in meiner Jugendzeit. Als es noch keine Menschen auf der Erde gab.«

»War das eine bessere Zeit für dich?«, fragte Rupert nachdenklich.

»Besser?« Der Drache schwieg eine Weile und furchte die breite Stirn, während er mit unverminderter Geschwindigkeit durch das Dunkel flog. »Sie war… anders.«

Der Dunkelwald erstreckte sich in der Tiefe, ein endloses Gewirr eng verflochtener Baumkronen. Knorriges Astwerk bildete ein undurchdringliches Dach über den morschen Stämmen. Scharfe Dornen ragten in die Nacht, und der süßliche Gestank von Verwesung war überall.

»Entschuldigt meine naive Frage«, sagte Julia, »aber wie sollen wir den Dämonenfürsten in dem Labyrinth da unten jemals aufstöbern? Es kann Stunden dauern, bis wir uns einen Weg durch das Gestrüpp gebahnt haben – und niemand garantiert uns, dass es der richtige Weg ist!«

»Keine Sorge, ich finde den Dämonenfürsten«, erklärte der Astrologe grimmig. »Meine Magie wird uns geradewegs zu ihm führen.«

»Und was geschieht, wenn wir ihn gefunden haben?«, wollte Julia wissen.

»Wir vernichten ihn«, erklärte der König. »Das Land schreit nach Rache!«

»Klar«, sagte Julia. »Wir vernichten ihn. Einfach so. Sie haben nicht die leiseste Ahnung, wie wir das bewerkstelligen sollen, stimmt's?«

»Wir werden unser Möglichstes tun«, meinte Rupert. »Zuerst versuchen wir es mit Stahl und Eisen. Wenn das nichts hilft, greifen wir zur Magie. Wenn das nichts hilft, lassen wir den Drachen Feuer speien.«

»Und wenn das nichts hilft?«

»Dann haben wir ein Problem.«

»Klasse«, sagte Julia. »Echt Klasse.«

Das undurchdringliche Geflecht der Baumkronen wogte wie ein endloses Meer in der Tiefe. Das lastende Entsetzen der langen Nacht war über dem Dunkelwald etwas leichter zu ertragen, aber dennoch drang die Schwärze von allen Seiten auf den Drachen ein. Sie lastete auf seinen Schwingen und wog immer schwerer, je weiter er vordrang, fast als stemme sie sich gegen ihn. Rupert spürte einen wachsenden Druck, als sie ihren Weg fortsetzten, und der Drache musste sich gewaltig anstrengen, um sein Tempo beizubehalten. Das Schlagen seiner Flügel nahm einen rastlosen Rhythmus an, und sein Atem ging immer schneller. Stimmen drangen aus dem Dunkel, ein Murmeln, Lachen, Kreischen, und mehr als einmal spürte Rupert, wie etwas seine Hände oder sein Gesicht streifte. Er wusste nicht, ob es den anderen ebenso erging wie ihm, und fragte auch nicht danach, weil er es gar nicht wissen wollte. Am liebsten hätte er den Hals des Drachen losgelassen und wild um sich geschlagen, um die unsichtbaren Kreaturen auf Distanz zu halten, aber er nahm sich eisern zusammen. Er durfte jetzt nicht die Beherrschung verlieren, keine Sekunde lang. Ruhig bleiben, mein Lieber, dachte er. Sie versuchen dich zu erschrecken, das ist alles.