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»Sicher.« Der Tonfall des Einhorns klang barsch. »Ich bin doch nicht vertrottelt. Aber was macht ihr danach – wenn ihr die Herde gefunden habt?«

»Ich weiß noch nicht«, antwortete Rupert. »Warum?«

Das Einhorn warf schnaubend den Kopf hoch. »Wenn ihr etwa glaubt, ich lasse euch einfach so durch die Gegend ziehen, dann habt ihr euch getäuscht. Ohne mich würdet ihr keine zehn Minuten überleben, keiner von euch, das wisst ihr ganz genau. Jemand muss darauf achten, dass ihr nicht in euer Unglück rennt!«

Rupert und Julia lachten und umarmten Sturmwind abwechselnd. Das Laternenlicht spiegelte sich golden in seinem Horn.

»He, Rupert«, sagte Julia plötzlich, »was ist in diesem Sack?«

Rupert grinste. »Der zweite Grund für meine Verspätung.«

Er stellte den schweren Packen ab, stützte ihn gegen einen Schemel und öffnete ihn. Julia keuchte und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. Der schäbige alte Ledersack enthielt hunderte von schimmernden Juwelen. Julia zögerte, doch dann ließ sie eine Hand voll der glitzernden Steine durch die Finger rieseln.

»Wo zum Henker hast du diese Klunker her, Rupert? Die müssen ein Vermögen wert sein.«

Rupert lachte. »Sie sind ein Teil des Schatzes, den der Seneschall mit deiner Hilfe im Südflügel entdeckt hat. In der Hektik kam niemand mehr dazu, ihn richtig zu verwahren. Sie schafften das Zeug einfach in eine Vorratskammer und sicherten es mit einem Vorhängeschloss sowie einem einfachen Bann zum Schutz gegen Eindringlinge, der nur von Angehörigen der Königsfamilie gelöst werden konnte. Und da wir keinen einzigen Wachposten entbehren konnten, beließen sie es dabei. Also wartete ich einen günstigen Moment ab, knackte das Schloss und den Zauber und bediente mich. Bis Harald merkt, dass etwas fehlt, sind wir längst über alle Berge.«

Er verschnürte den Sack wieder und stöhnte ein wenig über sein Gewicht, als er ihn auf den Rücken nahm. »Ich betrachte die Steine als mein Erbteil, nun da mein Vater… von uns gegangen ist.«

Julia legte ihm sanft eine Hand auf den Arm. »Wir wissen nicht, ob er tot ist, Rupert. Man hat seine Leiche nirgends gefunden. Und der Zauberer ist ebenfalls verschwunden.«

»Ich kann einfach nicht glauben, dass er fort ist«, sagte Rupert. »So lange ich mich zurückerinnern kann, war mein Vater hier – ein Teil meines Lebens wie das Essen oder Schlafen oder die Pflichten. Wir standen uns nie besonders nahe, aber das war Absicht. Und gerade jetzt, da wir uns besser verstanden, da ich anfing, ihn zu mögen…« Rupert unterbrach sich, senkte den Blick und schluckte. »Er ist tot, Julia. Das spüre ich einfach. Er hätte das Reich niemals aus freien Stücken verlassen. Das konnte er nicht.«

»Aber du kannst es«, sagte Julia. »Dich hält nichts mehr hier zurück.«

»Du hast Recht.« Rupert hob den Kopf und sah sie an. »Es wird höchste Zeit, dass wir uns auf den Weg machen.«

»Eine Frage noch«, hielt ihn Julia zurück. »Angenommen, Harald schickt uns nicht die halbe Armee hinterher, um seine Juwelen zurückzuholen – hast du dir schon überlegt, wovon wir in Zukunft leben sollen?«

»Hm, eigentlich nicht«, gestand Rupert. »Bisher musste ich mir nie meinen Lebensunterhalt verdienen. Die Edelsteine müssten eine Weile reichen.«

»Ja.« Julia nickte. »Wir könnten eine Kneipe aufmachen.«

Rupert schüttelte den Kopf. »Elend später Dienstschluss.«

»Und wie wäre es mit einem Bauernhof?«

»Klingt irgendwie nach Schwerarbeit.«

»Was schlägst du dann vor?«

Rupert zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vorzugsweise aber etwas Friedfertiges, weil ich es satt habe, das Schwert zu schwingen.«

»Einverstanden«, sagte Julia. »Zumindest so lange, bis ich meine Schwerthand wieder gebrauchen kann.«

»Komm jetzt«, meinte Rupert. »Ich fühle mich erst sicher, wenn ein paar Meilen zwischen uns und der Residenz liegen.«

»Rupert«, sagte Julia, »du musst das Land nicht verlassen.

Du könntest bleiben und dich zum König krönen lassen. Ein Großteil der Untertanen steht hinter dir, nach allem, was du für das Reich getan hast.«

»Ich will kein König sein«, entgegnete Rupert schlicht.

»Ich tauge nicht für dieses Amt. Außerdem wird es auch ohne einen Bürgerkrieg verdammt schwierig sein, die Monarchie wieder aufzubauen. Ich habe mein Leben nicht aufs Spiel gesetzt, um mitanzusehen, wie das Waldkönigreich endgültig zerstört wird. Nein, Julia! Wenn ich fortgehe, ist das der beste Dienst, den ich dem Land erweisen kann. Meine letzte Pflicht. Danach bin ich endlich frei.«

»Und es stört dich nicht, dass Harald den Thron übernimmt?«

»Ganz und gar nicht. Trotz seiner Schwächen – und davon hat er mehr als genug – wird Harald ein guter König sein.

Ganz bestimmt ein besserer König, als ich es je sein könnte.«

»Ich bin ganz deiner Meinung«, sagte Harald.

Rupert und Julia fuhren herum und entdeckten Harald, der lässig an der Stalltür lehnte. »Es wäre besser gewesen, das Tor zu verriegeln, Rupert«, fuhr der Kronprinz ruhig fort.

»Du wirst leichtsinnig, mein Lieber.«

»Versuch ja nicht, uns aufzuhalten, Harald«, sagte Rupert.

»Ich denke nicht im Traum daran, dich aufzuhalten, Bruderherz«, entgegnete Harald. »Wie du selbst so schön erkannt hast, würde deine Anwesenheit im Reich nur zu Problemen führen. Anders sieht das mit Prinzessin Julia aus.«

»Ach ja?«, fragte Julia.

»Du gehst nicht, Julia«, erklärte Harald. »Du bleibst hier und wirst meine Königin!«

»Ich denke nicht daran«, sagte Julia. »Dieser Ehekontrakt wurde ohne meine Einwilligung geschlossen. Für mich ist er deshalb so gut wie ungültig. Außerdem wird mein Vater kaum auf die Einhaltung des Vertrags pochen. Da die Schäden, die der Dunkelwald im Hügelland angerichtet hat, vermutlich ebenso schwer sind wie hier, hat er vermutlich andere Sorgen als eine Invasion ins Waldkönigreich. Und falls es dir um ein politisches Bündnis geht – ich habe jede Menge Schwestern…«

»Die können mir gestohlen bleiben«, entgegnete Harald.

»Ich will, was mir zusteht. Ich will dich.«

»Harald«, sagte Julia energisch, »schlag dir das aus dem Kopf! Ich würde dich selbst dann nicht heiraten, wenn die Alternative ein Kloster wäre. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

Harald blieb gelassen. »Ich verstehe dich nicht. Nach allem, was zwischen uns war… Hast du Rupert in dieser Hinsicht reinen Wein eingeschenkt?«

»Das musste sie nicht tun«, meinte Rupert. »Ich war noch keine Stunde daheim, als mir deine Leute mehr oder weniger zartfühlend hinterbrachten, dass sie in meiner Abwesenheit mit dir geschlafen hat. Und weißt du was, Harald? Das ist mir verdammt egal! Sie dachte, ich sei tot, und du warst schon immer ein Charmeur. Nein, Harald. Was zählt, ist die Tatsache, dass sie sich am Ende doch für mich entschied, weil sie mich genauso liebt wie ich sie.«

»Genau«, bekräftigte Julia und trat neben Rupert. »Du bist endgültig aus dem Rennen, Harald.«

»Wir verlassen jetzt die Burg«, sagte Rupert. »Gib den Weg frei, Bruder!«

»Eher lasse ich euch beide hängen!«

Er griff nach seinem Schwert, und Rupert versetzte ihm einen Kinnhaken. Harald geriet aus dem Gleichgewicht, taumelte gegen die Stalltür, und Rupert setzte mit einem Magenschwinger nach. Der Kronprinz klappte zusammen wie ein Taschenmesser, worauf Julia ihm zur Sicherheit noch einen Handkantenschlag ins Genick mitgab. Harald stürzte zu Boden und rührte sich nicht mehr. Rupert kniete neben ihm nieder, vergewisserte sich, dass sein Puls regelmäßig ging, und richtete sich grinsend wieder auf.

»Das wird er noch eine Weile spüren.« In seiner Stimme schwang Genugtuung mit. »Auf diesen Moment habe ich lange gewartet.«

»Ich auch«, sagte Julia. »Ich auch.«

Sie reichten einander feierlich die Hand.

»Ich störe nur ungern«, meinte das Einhorn trocken, »aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass Harald allein hier aufgekreuzt ist. Wollt ihr nicht lieber nachsehen, ob draußen ein paar Wachleute auf euch warten?«