Tut mir Leid, Julia, dachte er verzweifelt, während ihn das Dunkel einhüllte. Ich hätte so gern eine Heldentat f ür dich vollbracht.
Licht warf sich tosend gegen die Finsternis. Rupert kam wankend auf die Beine, während funkelnde Kaskaden auf ihn niederregneten. In seinen Ohren rauschte der Donner mächtiger Wasserfälle. Die Zeit schien zu stocken und stillzustehen.
Gleißende Farben brannten in Ruperts Augen, als er den Kopf nach hinten warf und die Arme nach dem Glanz des Regenbogens ausstreckte.
Und dann erlosch der Regenbogen, und die Nacht war schwärzer als zuvor.
Einen Moment lang blieb Rupert einfach stehen, verzückt von der Herrlichkeit des Regenbogens. Dann senkte er langsam den Kopf und sah sich um. Wo das Ende des Regenbogens die Erde berührt hatte, standen die knorrigen, verkrüppelten Bäume hoch aufgerichtet da; dicht belaubte Zweige umrahmten eine Öffnung in der Kuppel des Waldes, durch die helles Mondlicht strömte und den Prinzen mit einem silbernen Lichtkreis umgab. Und im Moos zu seinen Füßen lag ein Schwert. Rupert bückte sich und hob es auf. Es war ein ganz gewöhnliches Schwert, scharf geschliffen und gut gewichtet.
Rupert lächelte bitter, während die Dunkelheit näher an ihn heranrückte. Der Schatz am Ende des Regenbogens… wieder eine solche Legende. Von weit weg drang Kampflärm an sein Ohr, und als Rupert sich umdrehte, sah er den schimmernden Pfad, der nur darauf zu warten schien, ihn zu seinen belagerten Freunden zu führen. Er wog das Schwert in der Hand und rannte zurück durch den Dunkelwald.
Er stürmte auf die Lichtung, und einen Moment lang sah er nichts außer einer wogenden, ineinander verkrallten Masse von Dämonen. Der Drache stürzte sich immer wieder mit kräftigen Flügel- und Schwanzhieben ins Gewühl, während der Feuerschein rötlich über seine Schuppen zuckte. Blut strömte ihm von den Furcht erregenden Fängen. Julia stand geduckt hinter dem Drachen, das Schwert in der Hand, den Umhang blutgetränkt, verzweifelt darum bemüht, das Feuer als Barriere gegen die Dämonen zu nutzen. Vom Einhorn war nichts zu sehen. Während Rupert zögernd am Rand der Lichtung innehielt, durchbrach ein Angreifer die Deckung des Drachen, stieß die Prinzessin zu Boden und warf sich über sie. Rupert schrie auf und rannte los. Ein Dämon hechtete ihm entgegen. Er hieb ihn in zwei Teile und rannte weiter ohne innezuhalten. Eine ganze Gruppe von Gegnern blockierte ihm den Weg. Das Schwert in seiner Hand schien schwerelos zu sein. Dämonenblut bedeckte das Moos wie schwarzer Tau.
Er erreichte die Prinzessin im gleichen Moment, als sie den Dämon aufschlitzte, der sie zu Boden gedrückt hatte. Sie schaute auf und wischte sich mit der blutverschmierten Hand über die Stirn.
»Du hast dir ganz schön Zeit gelassen!«
Rupert grinste. Sie zückten die Schwerter und stellten sich Rücken an Rücken auf, um dem nächsten Ansturm der Dämonen zu begegnen. Julia setzte ihre Waffe mit wild entschlossener Miene und erstaunlichem Geschick ein. Rupert wirbelte umher und holte einen Gegner nach dem anderen von den Beinen, aber er wusste, dass es hoffnungslos war.
Die wuselnden Geschöpfe schwärmten in schier endloser Zahl aus dem Dunkel, und er war bereits am Ende seiner Kräfte. Irgendwann würden sie ihn überwältigen. Die einzige Hoffnung der Gruppe war der Regenbogen-Lauf gewesen, und der hatte nichts gebracht. Rupert stöhnte, als ihm ein Dämon mit seinen Klauen den Brustkorb aufriss. Er tötete den Angreifer mit einem Schwertstreich, aber er spürte, wie ihm das Blut die Rippen entlanglief. Ihm wurde schwindlig, doch der Schmerz hielt ihn auf den Beinen. Immer mehr Dämonen drangen auf ihn ein, und Rupert erkannte, dass er nicht mehr schnell genug war, um sie alle abzuwehren. Lautlos verfluchte er das Einhorn wegen seiner verdammten Feigheit und umklammerte das Schwert noch fester. Er hoffte nur, dass sie keinen qualvollen Tod sterben mussten.
Und dann bäumte sich der Drache wie in alten Zeiten hoch auf, und ein Feuerstrahl zerriss die Nacht. Dämonen rollten sich zusammen wie welke Blätter, als der flammende Atem des Drachen über sie hinwegstrich. Andere wälzten sich in lautloser Qual am Boden, ehe sie ihr Leben aushauchten. Der Furcht erregende Schädel des Drachen schwenkte hin und her, und das Feuer schlug breite Breschen in die Reihen der Angreifer. Doch dann flackerten die Flammen schwächer und erloschen.
Im letzten Feuerschein sah Rupert, wie die Überlebenden in die Schatten jenseits der Lichtung flohen, wo sich ihre Gefährten versammelt hatten. Horden von Dämonen. Mit jeder Minute schienen es mehr zu werden. Rupert senkte langsam das Schwert und stützte sich darauf. Er wagte es nicht, sich hinzusetzen, weil er Angst hatte, nicht wieder hochzukommen. Er setzt sich zur Wehr mit dem Mut von zehn Recken, denn rein ist sein Herz und lauter sein Sinn. Barden.
Rupert seufzte leise. Julia plumpste neben ihm zu Boden, weil ihre Knie nachgaben. Ihre Augen waren glasig vor Erschöpfung, aber sie hielt mit letzter Kraft das Schwert umklammert. Neue Wut stieg in Rupert hoch, als er bemerkte, dass die roten Flecken auf Julias Gewändern nicht nur Dämonenblut waren. Die Prinzessin hatte mehr als eine tiefe Wunde davongetragen, und Rupert machte sich bittere Vorwürfe.
Wenn er sie nicht aus der Drachenhöhle geholt hätte; wenn er sie nicht in den Dunkelwald mitgenommen hätte; wenn er nicht zugelassen hätte, dass sie einer Legende nachjagte…
Wenn. Du bist ein tapf eres Mädchen, Julia, dachte Rupert müde. Du hast etwas Besseres verdient als mich. Er starrte in die Finsternis hinaus, weil er Julias Anblick nicht ertragen konnte. Er hörte, wie die Dämonen sich zum nächsten Angriff sammelten. Es schien ihnen nicht an Nachschub zu mangeln.
Rupert wandte sich dem Drachen zu, der erschöpft am Feuer kauerte. Ein Flügel hing schlaff und halb zerfleddert herab, und goldenes Blut rann unentwegt über die zitternde Flanke.
Langsam hob der Drache den großen Kopf und musterte den blutbespritzten Prinzen.
»Hast du das Ende des Regenbogens erreicht?«
»Ja«, sagte Rupert. »Es war ein herrlicher Anblick.«
»Und was hast du am Ziel gefunden?«
»Ein Schwert. Ein ganz gewöhnliches Schwert.« Rupert konnte seine Enttäuschung nicht verbergen, als er die Waffe vor sich auf den Boden warf. Der Drache sah das Schwert lange an und senkte den Blick.
»Die Wilde Magie neigt manchmal zu… Kapriolen.« Er starrte in die Dunkelheit. »Ich glaube, die Dämonen sind bereit. Eine letzte Attacke – und wir haben alles hinter uns.«
»Wir dürfen jetzt nicht einfach aufgeben«, widersprach Rupert. »Wir haben sie zweimal in die Flucht geschlagen…«
»Ich bin verletzt, Rupert«, sagte der Drache ruhig. »Und ich bin zu alt für solch unsinnige Kämpfe.«
Rupert schüttelte den Kopf. Er suchte nach einem Ventil für seinen Ärger, um die wachsende Verzweiflung zurückzudrängen. »Was ist eigentlich mit dem Einhorn los?«
»Es liegt dort drüben.«
Rupert folgte dem Blick des Drachen. Keine zehn Meter vom Feuer entfernt lag das Einhorn reglos am Boden, alle viere von sich gestreckt, halb begraben unter einem Berg von Dämonenleichen.
»Einhorn!« Rupert kniete neben seinem Reittier nieder.